Schlechtes Arbeitsklima

Neue Selbstmordserie erschüttert France Télécom

20.08.2009
Von pte pte
Nach mysteriösen Selbstmorden von Finanzjongleuren in London und New York sorgt nun erneut die France Télécom mit 20 Suiziden seit Beginn des Jahres für Schlagzeilen.

So haben sich im Monat durchschnittlich mehr als zwei Mitarbeiter der France Telecom das Leben genommen - hinzu kommen weitere zwölf Selbstmordversuche seit Februar 2008. Dabei sind die Selbstmorde bei dem Telekommunikationsriesen keine Seltenheit. Ähnliche Fälle traten auch bei französischen Autoherstellern auf. Bei PSA Peugeot-Citroën waren es vor drei Jahren sechs Angestellte, bei Renault drei Beschäftigte, die den Freitod gewählt haben. Stress ist dabei die häufigste Ursache.

"Suizide sind eine äußerst komplexe Angelegenheit und lassen sich nie auf nur eine Ursache zurückführen. Daher wäre es verkürzt zu sagen, dass ausschließlich der Stress in der Arbeit für einen Selbstmord verantwortlich gemacht werden kann", erläutert Manfred Wolfersdorf, Suizidforscher und Leiter der Psychiatrischen Klinik des Bezirkskrankenhauses Bayreuth, gegenüber pressetext. Laut dem Experten muss auch immer die individuelle Lebensgeschichte des Einzelnen mitberücksichtigt werden. Die Häufigkeit von Suiziden bei französischen Unternehmen lässt erahnen, wie schlecht das Arbeitsklima sein muss. Trotz hinterlassener Abschiedsbriefe winken Verantwortliche ab.

Die Schreiben der Toten führen nicht selten übereinstimmend aus, dass die Vorgesetzten sie jahrelang terrorisiert hätten. Angesichts der Zahlen gibt sich die France Télécom inzwischen gesprächsbereit. So kündigte die Direktion in einem internen Schreiben an, die Hintergründe jedes einzelnen Freitods zu analysieren und den Ursachen auf den Grund zu gehen. So seien auch bereits Gespräche mit den Gewerkschaften angelaufen - auch soll das Arbeitsklima im Unternehmen nachhaltig verbessert werden. Französische Gewerkschaften wie die Sud-PTT oder FT-Est beklagen unterdessen die größer werdende Flut an zu bewältigenden Aufgaben. Eine Studie aus 2008 beweist, dass sich zwei Drittel der Mitarbeiter bereits für gestresst hält.

"Überforderung am Arbeitsplatz und nicht selten daraus resultierende Beziehungskrisen sind ein erster Anhaltspunkt, warum einige Menschen mit dem Gedanken spielen, einen Suizid zu begehen. Zudem sollte berücksichtigt werden, dass nicht jeder gleich mit Stress auf der Arbeit umgeht und die Belastungsgrenzen unterschiedlich sind", sagt Wolfersdorf auf Nachfrage von pressetext. Einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" zufolge ist ein erstes Anzeichen, dass ein Mitarbeiter unter Stress leidet, wenn er gehäuft "krankfeiert". Bei der France Télécom sind 70 Prozent der Belegschaft verbeamtet. Diese Gruppe des ehemaligen Staatsmonopolisten lässt sich im Schnitt mehr als einen Monat im Jahr krankschreiben.

Der Druck auf die Mitarbeiter nimmt nicht nur wegen des Sparkurses bei vielen Unternehmen zu. Die France Télécom strukturiert zudem erheblich um und verringert die Zahl der Beamten. "Unerwünschte Versetzungen können negative Auswirkungen haben. Das Management sollte sich darüber im Klaren sein, dass Entscheidungen auch immer psychische Folgen haben", fügt Wolfersdorf hinzu. Neben den Suiziden sprechen auch andere Zahlen Bände. Allein 2008 sind 4.000 Beamte dem Konzern nach "freiwillig" ausgeschieden. Mit Suiziden wird jedoch längst nicht überall offen umgegangen. Während Japan internationaler Spitzenreiter ist, werden diese in Deutschland nicht einmal gezählt und tauchen demnach auch in keiner Statistik auf. (pte)