DV-Branche benötigt andere Kommunikationsformen

Neue Märkte außerhalb der eigenen Wagenburg suchen

07.03.1997

Die Informationsgesellschaft ist längst (technische) Wirklichkeit. Die einschlägige Industrie hat diese Entwicklung gestaltet, indem sie die entsprechenden Technologien eingeführt und Standards gesetzt hat. Nur die (Markt-)Kommunikation hinkt dieser Entwicklung bislang hinterher. Das Wissensdefizit in der Öffentlichkeit ist immer noch riesig. Jahrzehntelang haben die DV-Unternehmen ihre Produkte fast von selbst verkauft. Der Markt war klein und fest umrissen. Die Kunden verfügten zwar über immenses Fachwissen, warteten jedoch gleichzeitig geradezu begierig auf die jeweils neuesten Produkte "ihres" Herstellers.

Doch je mehr auch (anfangs) kleine und hungrige Unternehmen ihren Appetit am wachsenden DV-Kuchen stillen wollen, je stärker Hard- und Software zu Massenprodukten werden, desto nachhaltiger verändern sich auch die Anforderungen an die Kommunikation. Der Verkäufer- wandelt sich zum Käufermarkt. Die Unternehmen müssen daher heute aktiv kommunizieren, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Das reicht aber nicht: Die jeweiligen Hersteller müssen ihre Kommunikationsstrategie auch nach Zielgruppen differenzieren, um nicht in der Masse der Wettbewerber unterzugehen.

Der Leidensdruck auf einen enger gewordenen Markt zwingt also Unternehmen zu neuen Strategien - und er veranlaßt sie vor allem, nach neuen Märkten mit relevantem Kundenpotential Ausschau zu halten. Denn bei den Industrie- und Bürolösungen ist, sieht man vielleicht von der Ausnahme des Internet beziehungsweise der Intranets ab, in vielen Bereichen ein gewisser Sättigungsgrad erreicht. Neue Produkte dienen dort häufig nur der Optimierung vorhandener Lösungen. Hingegen entpuppt sich der Consumer-Bereich - lange Zeit ein weitgehend vernachlässigter Markt - als künftig immer interessanteres Absatzziel.

Darauf stellen sich die Unternehmen zunehmend ein. Microsoft etwa produziert seit einigen Jahren Spiele für den privaten Consumer-Markt und hat dafür eine eigene Marke kreiert: "Microsoft Home".

Auch die enormen Wachstumspotentiale, die im Home-Banking-Bereich stecken, werden verstärkt genutzt.

Die Konzentration auf Massenprodukte für den Home-Markt erfordert aber zwangsläufig ganz andere Kommunikationsstrategien als die Kommunikation mit der langsam gewachsenen, klar definierten Zielgruppe industrieller DV-Anwender. Letztere werden mit den Mitteln der Business-to-Business-Kommunikation primär über die Händler und den Vertrieb angesprochen.

Den Anwender an die Hand nehmen

Der Verkauf in den Massenmarkt folgt indes den Gesetzen einer automatisierten Kaufentscheidung. Die Kommunikation muß daher den User verstärkt an die Hand nehmen, seine Kaufentscheidung vorbereiten und ihm - so banal es klingt - sagen, wo er all die schönen Produkte kaufen kann.

Wollen die Unternehmen der DV-Branche in diesem "increasing market" auf Dauer erfolgreich mitspielen, werden sie sich der Orientierung hin zu mehr Markenkommunikation nicht verweigern können. Microsoft hat hierzu, wie bereits erwähnt, den ersten Schritt getan. Oder man denke an die massive TV-Kam- pagne zur Bewerbung des Intel-Prozessors mit dem mehr als bekannten Slogan "Intel Inside". Beide Beispiele zeigen: Massive TV-Präsenz, Direkt- und sogenanntes Event-Marketing werden wesentliche Bestandteile erfolgreicher Kommunikationsstrate- gien sein.

Doch neue Märkte lassen sich nicht einfach per Dekret oder einfacher Willenserklärung erobern. Man muß sich auf ihre Bedingungen einstellen. Damit tut sich die IT-Branche noch schwer. Und man muß sich auf die spezifischen Kommunikationsformen einstellen und die Sprache seiner Zielgruppe sprechen - damit tut sie sich noch schwerer. Man könnte dies auch so ausdrücken: Die Branche, die die technischen Voraussetzungen für eine grenzenlose Kommunikation erst schafft, ist selbst nur bedingt kommunika- tionsfähig.

Viele Menschen stehen den neuen Kommunikationsmöglichkeiten noch indifferent bis ablehnend oder gar ängstlich gegenüber. Eine Analyse der Universität Leipzig hat ergeben, daß die Informationsgesellschaft in den Medien stark mit Begriffen wie "Vereinsamung", "Sackgasse", "Bedrohung" und "Angst" assoziiert wird. Mit diesen emotionalen Vorbehalten kontrastiert eine überwiegend rationale Darstellung der vermeintlichen Vorteile der Informationsgesellschaft wie "neue Arbeitsplätze", "Chancen" und "Ressourcenschonung".

Die Ängste in der Bevölkerung vor dem Multimedia-Zeitalter werden derzeit eher noch geschürt. Zum Beispiel durch eine Berichterstattung, die in ihrer Euphorie ob der gewaltigen Dimensionen der Informationsgesellschaft nur noch die Antipode, also die kritische Durchleuchtung dessen, was da auf uns zukommt, und damit primär den warnenden Zeigefinger, zuläßt. Hier ist unbedingt dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, beizupflichten, der in einem anderen Zusammenhang, nämlich zur Diskussion über die Einführung des Euro, vor allzu forsch vorgetragenem Optimismus warnte: "Ein Grund für die noch ungenügende Akzeptanz sowohl in der Bevölkerung als auch in weiten Teilen der Industrie liegt in der teilweise übertriebenen Schilderung der Vorteile durch die Erfinder und Förderer dieses Projekts."

Aufgabe von Kommunikation muß es daher sein, zwischen den Unternehmen und den Konsumenten zu vermitteln. Sie sollte den Ängsten und Vorbehalten weiter Bevölkerungskreise Rechnung tragen und die positiven Aspekte moderner Technologie emotional transportieren. In diesem Zusammenhang wäre es übrigens fatal, auf eine biologische Lösung dieses Problems zu setzen - etwa in der Annahme, nachwachsende Generationen würden ganz selbstverständlich mit PC und CD-ROM, mit Internet und ISDN aufwachsen. Nur die Erschließung neuer Zielgruppen sichert dem stagnierenden High-Tech-Markt eine Zukunft. Denn die oft beschworene Vision einer globalen Multimedia-Welt wird in ihren Ansätzen steckenbleiben, wenn es nicht gelingt, die Menschen für sie einzunehmen.

In Deutschland verfügen mittlerweile gut zwei Millionen Haushalte über einen Internet-Zugang. In den USA gibt es nach konservativen Schätzungen 9,5 Millionen Internet-Surfer, von denen die Hälfte erst im vergangenen Jahr auf den Online-Zug aufgesprungen ist. Die Umsatzprognosen für das Jahr 2000 nähren das multimediale Goldfieber. Fünf Milliarden Mark bei den Offline-Medien, zehn Milliarden Mark im Online-Geschäft und zwei bis drei Milliarden Mark beim noch nicht einmal existierenden digitalen Fernsehen.

Die Erschließung dieser Märkte erfordert aber andere Kommunikationsstrategien und -Inhalte als bisher. Die Markt- und damit Markenkommunikation der Hard- und Softwarehersteller muß sich den "customer's value" zum Leitbild küren und den Nutzen eines Produktes für den potentiellen Kunden herausstellen.

Erfolgreiche Markenkommunikation orientiert sich demnach an den elementaren Kundenbedürfnissen. Ausgehend von diesem Anforderungsprofil muß sie Visionen entwickeln und selbige in positive Botschaften kleiden. Dafür aber muß - auch das kann man nicht oft genug wiederholen - die DV-Industrie ihre Wagenburg aufbrechen, sie durchlässig machen und sich selbst auf die Welt außerhalb der Wagenburg einlassen.

Laien müssen vor Handbüchern kapitulieren

Die größte Hürde, die die DV-Hersteller dabei überwinden müssen, ist die Verständlichkeit ihrer Sprache. Wer heute als zwar interessierter, aber nur mäßig informierter Laie Gebrauchsanweisungen, Handbücher und Fachmagazine in die Hand nimmt, muß spätestens auf Seite drei ob des Stakkatos von Fachtermini die Segel streichen. Für Kommunikationsprofis bedeuten diese Marktveränderungen eine große Chance - indem sie dafür sorgen, daß die Menschen die Möglichkeiten der neuen Informationsgesellschaft überhaupt verstehen.

Gemeinsam mit den Unternehmen müssen sie daher Zielgruppen jenseits der bis dato klassischen User von DV- und High-Tech-Equipment, vor allem auch Jugendliche, definieren und ansprechen - auch wenn in vielen Bereichen nicht nur die Techniken und Anwendungen, sondern auch die Märkte und damit zum Teil auch die Instrumente zur Marktkommunikation zusammenwachsen werden. IT-Technik ist, wenn man das geflügelte Wort der Info-Society nimmt, dabei, gesellschaftsfähig zu werden. Nicht umsonst hat das US-Bundesgericht für den District East-Pennsylvania zwar in einem anderen Zusammenhang, gleichwohl aber in einem aufsehenerregenden Urteil vom 11. Juni 1996 für die Definition des Internet einen einleuchtenden historischen Vergleich gezogen: "Immer noch nageln die Luthers unserer Zeit ihre Thesen an die Wand, aber eher an das elektronische Nachrichtenbrett als an die Tür der Schloßkirche von Wittenberg."

Angeklickt

Schluß mit dem Fachchinesisch! Wenn mit dem Internet die allumfassende Datenautobahn letztlich bis ins Wohnzimmer der professionellen wie privaten Anwender führt, muß sich die DV-Branche endgültig von ihrer bis dato eher einseitig strukturierten Marktkommunikation verabschieden. Die IT-Technik hat dabei die vielleicht einmalige Chance, im wahrsten Sinne des Wortes gesellschaftsfähig zu werden.

*Jürgen Leipziger ist Honorarprofessor am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Leipzig sowie geschäftsführender Gesellschafter der Leipziger & Partner Kommunikationsgruppe in Frankfurt am Main*Franz Miltenberger ist Leiter der Abteilung High-End-Kommunikation der PR-Agentur Leipziger & Partner GmbH in München