Firmen helfen Hochschulen auf die Sprünge

Neue IT-Studiengänge: Aus der Not eine Tugend machen

20.08.1999
Von Angelika Fritsche* Längst mischt die IT-Branche kräftig bei der Realisierung neuer Informatikstudiengänge mit. Aktuellstes Beispiel: Der Studiengang "IT-Bachelor" an der Fachhochschule Dieburg, der von über 30 Firmen mitgetragen wird und zum Wintersemester 1999/2000 mit 40 Plätzen an den Start geht. Das Besondere: Die Hälfte der Ausbildung findet an der FH, die andere Hälfte in einem Betrieb statt.

Am Anfang stand der Vorstandsbeschluß der Deutschen Telekom AG, die in ihrer Trägerschaft stehende Hochschule demnächst zu schließen. Das ehemalige Staatsunternehmen sah nach der Privatisierung keine Notwendigkeit mehr, eine Hochschule mit staatlicher Anerkennung zu unterhalten. In Dieburg, 1968 gegründet, werden derzeit noch die Studiengänge Nachrichtentechnik, Telekommunikationsinformatik und Betriebswirtschaftslehre angeboten.

Die drohende Schließung hat den Bundesverband Informations- und Kommunikations-Systeme (BVB) auf den Plan gerufen. "Angesichts der ohnehin schon schwierigen Nachwuchssituation in unserer Branche, haben wir befürchtet, daß der Engpaß dann noch größer werden würde. Schließlich wurden in Dieburg früher bis zu 1200 IT-Spezialisten ausgebildet", erklärt Werner Senger, Geschäftsführer des BVB.

Der Verband, dem rund 300 Unternehmen aus den Sparten Hardware, Software und Telekommunikation angehören, wurde bei seinen Mitgliedsfirmen und dem hessischen Wissenschaftsministerium vorstellig, um die FH Dieburg zu erhalten und gleichzeitig die Chance zu ergreifen, dort mit einem verkürzten, praxisorientierten Informatikstudiengang an den Start zu gehen. Die Intervention hatte Erfolg: Das Land Hessen übernimmt künftig die Finanzierung der FH Dieburg, die organisatorisch der nahe gelegenen FH Darmstadt angeschlossen wird. Sie behält aber ihren eigenen Standort. Zum Wintersemester 1999/2000 nehmen erstmals 40 Studierende ihr Informatikstudium mit dem international anerkannten Abschluß Bachelor of Science in Dieburg auf. Ginge es nach dem BVB, soll die Zahl der Studienplätze bereits zum Studienjahr 2000/2001 auf rund 100 erhöht werden. Das allerdings hängt von der Finanzlage des Bundeslandes Hessen ab.

Das Konzept des neuen Studienganges ist stark an die vor allem in Baden-Württemberg beheimateten Berufsakademien angelehnt und sieht eine duale Ausbildung vor. Die dreieinhalbjährige Ausbildung soll vier Semester an der Hochschule und drei Semester in einem Unternehmen stattfinden - und zwar alternierend, damit die Studierenden ihr theoretisches Wissen rasch in die betriebliche Praxis umsetzen können. Vorgesehen ist, daß sie von Anfang an in den Firmen an konkreten Projekten mitarbeiten.

Gut 30 Firmen haben sich dem Pilotprojekt inzwischen angeschlossen. Neben reinen IT-Unternehmen wie der Controlware GmbH in Dietzenbach oder der Software AG in Darmstadt engagieren sich auch Anwender wie die Deutsche Bank oder der Pharmakonzern Merck. "Wir wollen eine kurze Studiendauer, die Integration der Praxis, verringerte Einarbeitungszeit beim Berufseinstieg und zukunftsorientierte modulare Studieninhalte erreichen", erläutert Helmut Wörner, Geschäftsführer von Control- ware, das Interesse der Unternehmen.

Die Curricula für die beiden zur Wahl stehenden Studienrichtungen Telekommunikationsinformatik und betriebliche Informatik sind neben einigen Basiseinheiten modular aufgebaut. Das soll den Studierenden mehr Wahlmöglichkeiten bieten und bewirken, daß die neuesten technologischen Entwicklungen aufgegriffen werden können.

Abgrundet wird der Bachelor-Studiengang durch das Nebenfach Betriebswirtschaftslehre. Für BVB-Geschäftsführer Werner Senger steht bereits jetzt fest: Die Hybridausbildung bietet den Studierenden beste Jobaussichten, wenn sie den Wechsel zwischen Theorie und Praxis für sich zu nutzen verstehen.

Auch die Fernuniversität in Hagen hat die Zeichen der Zeit erkannt: Ebenfalls zum bevorstehenden Wintersemester bietet sie erstmals ein Informatik-Fernstudium mit einem Bachelor-Abschluß an. Neu an der auf sechs Semester angelegten Ausbildung ist, daß durch ein integriertes Nebenfach besondere Schlüsselqualifikationen wie Teamfähigkeit, Konflikt-Management oder Projektkompetenz erworben werden können. Zunächst werden Kompetenzen aus Arbeits- und Organisationspsychologie, Rechtswissenschaft, dem IT-Management und technischem Englisch vermittelt. Weitere Angebote sollen folgen.

"Wir unterscheiden nicht mehr im klassischen Sinn zwischen Hauptfach und Nebenfächern", erklärt Rektor Helmut Hoyer. Im Hauptfach Informatik können die Studierenden zwischen verschiedenen Schwerpunkten wählen, die aktuellen Berufsbildern entsprechen und die flexibel weiterentwickelt werden. So können sich künftige System- oder Datenbankadministratoren, Software-Entwickler, Bilderzeuger oder Internet-Spezialisten schnellstens auf aktuelle Entwicklungen einrichten. Um den Praxisbezug zu sichern, sind Praktika in allen Schwerpunkten vorgeschrieben. Das IT-Fernstudium kann als Teilzeit- oder Vollzeitstudium absolviert werden und ist daher besonders attraktiv für Berufstätige.

Kontakte

BVB, Werner Senger, Telefon: 06172/9384-0, E-Mail: geschäftsstellebvb.de, Internet: www.bvb.deFernuniversität Hagen, Gerd Dapprich, Telefon: 02331/987-2422 E-Mail: gerd.dapprichfernuni-hagen.de oder: Studentensekretariat, Telefon: 02331/987-2444.

*Angelika Fritsche ist freie Journalistin in Bonn.