Versorgungswirtschaft/Haftungsrisiken mit Dokumenten-Management im Griff

Neue Instrumente zur Vorbeugung gegen Organisationsverschulden

02.06.2000
"Organisationshaftung von Führungkräften" ist ein ungeliebtes Thema. Dokumenten-Management und Workflow-Management-Systeme können helfen, hier zu einem gewissen Automatisierungsgrad und hoher Sicherheit zu gelangen. Kuno Karsten* durchleuchtet die Grundlagen und Anforderungen dieser Systeme.

Führungskräfte sind besonderen Haftungsrisiken ausgesetzt. Sie werden zunehmend von der Rechtsprechung zur Verantwortung gezogen, weil man davon ausgeht, dass sie durch eine sorgfältige Erfüllung ihrer Lenkungs- und Steuerungsaufgaben Schadensfälle verhindern können.

Wenn aufgrund von Fehlern in der Aufbau- oder Ablauforganisation einem Dritten Schaden zugefügt wird, so spricht man von einem Organisationsverschulden, für das die betreffende Führungskraft haftet. Eine Grundlage dafür bilden die Vorschriften der Paragraphen 823 und 831 BGB. Viele Gerichtsurteile zeigen, dass dabei das Prinzip der Beweislastumkehr angewendet wird: Kann man davon ausgehen, dass der Geschädigte nicht in der Lage ist, ein Verschulden nachzuweisen - weil er zum Beispiel die internen Organisationsstrukturen nicht einsehen kann -, so wird vom beklagten Unternehmen verlangt nachzuweisen, dass ein Organisationsverschulden nicht vorliegt.

Neben dieser Verschuldenshaftung ist im Zivilrecht auch die Gefährdungshaftung geregelt, welche die Haftungssituation weiter verschärft. Im Rahmen dieser Gefährdungshaftung (zum Beispiel Paragraph 1 Produkthaftungsgesetz, Paragraph 1 Umwelthaftungsgesetz) wird von einer besonderen Verantwortung des Produzenten beziehungsweise Anlagenbetreibers ausgegangen, die dazu führt, dass im Schadensfall der Geschädigte lediglich den Kausalzusammenhang nachweisen muss. Ein schuldhaftes Handeln muss dabei nicht vorliegen.

Während zivilrechtliche Haftungsansprüche in der Regel an das Unternehmen als juristische Person gestellt werden, richtet sich die strafrechtliche Haftung immer gegen natürliche Personen. Dies führt dazu, dass Führungskräfte persönlich haften.

Wie die zivilrechtliche, so wird auch die strafrechtliche Haftung stetig verschärft. Dieser Trend wird besonders im Bereich des Umweltstrafrechts (zum Beispiel gemäß Paragraph 324 ff StGB) deutlich, ein Bereich, in dem die Zahl der strafrechtlichen Ermittlungen laufend zunimmt.

Möglichkeiten zur Entlastung von Haftungsforderungen bietet vor allem der Nachweis des bestimmungsgemäßen Betriebes. Ein solcher Nachweis ist aber ohne klare und dokumentierte Organisationsstrukturen nicht zu führen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Dokumentationssysteme einzusetzen, die, unterstützt von Management-Systemen, eine klare Verteilung von Verantwortung und eine transparente Prozesslandschaft vorsehen. Beispiele für solche Management-Systeme sind Qualitäts-, Sicherheits- und Umwelt-Management-Systeme.

Hierarchischer Aufbau notwendigUm ein Dokumentationssystem rechtssicher zu gestalten, muss es hierarchisch aufgebaut sein - was aber nicht gleichbedeutend ist mit einer streng hierarchischen Unternehmensorganisation. Es muss sich von strategischen Dokumenten bis zu operativ nutzbaren Dokumenten konkretisieren. Eine Integration unterschiedlichster Dokumente in ein systematisches Dokumentationssystem schafft zum einen Rechtssicherheit, ist aber auch aus Gründen der Transparenz zu empfehlen. Wesentlich ist, dass das Dokumentationssystem möglichst vollständig ist sowie Eindeutigkeit und Widerspruchsfreiheit gewährleistet sind.

Möglichst vollständig bedeutet dabei, dass sämtliche Dokumente erfasst werden, die für die gültigen Regelwerke des jeweiligen Unternehmens als Mindestanforderung benötigt werden. Beispiele für solche Regelwerksanforderungen sind:

-Erstellen von Betriebsanweisungen (Paragraph 618 BGB, diverse UVV, Paragraph 20 Gefahrstoffverordnung, Paragraph 120 a Gewerbeordnung, Paragraph 34 Strahlenschutzverordnung)

-Nachweis des bestimmungsgemäßen Betriebes einschließlich Haftung im Schadensfall (Umwelthaftungsgesetz)

-Bestellung verantwortlicher Personen (Paragraph 6 Bundesimmissionsschutzgesetz, TA Abfall/ Siedlungsabfall, Entsorgungsfachbetriebeverordnung, Pflichtenübertragungen gemäß Paragraph 9 OWiG/ Paragraph 15 SGB VII)

-Erstellung von schriftlichen Unterlagen (Paragraph 6 Störfallverordnung, TA Abfall/Siedlungsabfall)

Hinzu kommen Dokumente, die für die transparente Darstellung von Aufbau- und Ablauforganisation zusätzlich notwendig sein können. Auf diese Weise ist es durchaus Realität, dass bereits in einem Industriebetrieb mit 500 Mitarbeitern 1000 bis 5000 organisatorische Einzeldokumente zusammenkommen.

Doch damit ist es noch lange nicht genug. Neben den organisatorischen Dokumenten ist zusätzlich eine Fülle von Aufzeichnungen zu führen, die letztendlich für den Nachweis der bestimmungsgemäßen Abläufe definierter technischer und organisatorischer Prozesse von unschätzbarem Wert sein können.

Diese Aufzeichnungen sind in der Regel prozessgesteuert und müssen am Ende des Prozesses unter Berücksichtigung einer vorgeschriebenen Aufbewahrungsfrist archiviert werden. Die Anzahl dieser Aufzeichnungen umfasst oft ein Vielfaches der oben genannten Menge von organisatorischen Dokumenten.

Aufgrund des Umfangs und der Komplexität der Dokumentationen sind viele Unternehmen überfordert. Auch wenn sie, oft ohne es zu wissen, bereits Millionen für die Dokumentation ausgeben, so ist diese doch meist veraltet, undurchsichtig und hat keine vorbeugende Wirkung.

Eine Lösung dieses Problems bieten langfristig IT-gestützte Dokumenten-Management-Systeme, die sich speziell auf die Prozesse und die Dokumentationsstruktur des Unternehmens anpassen lassen. Dazu existiert bereits eine Reihe von kommerziell verfügbarer Software. Diese so genannte DMS-Software muss in die bestehende IT-Architektur des betreffenden Unternehemens eingefügt werden. Die Abbildung zeigt eine typische Architektur.

Anforderungen an diese Systeme sind:

-Verwaltung und Strukturierung der Dokumente

-Attributierung der Dokumente

-Autorisierbarer Zugriff, unterstützt durch geeignete Such- und Filterfunktionen

-Versions-Management

-Unterstützung bei der Pflege des Systems durch einen Workflow für den Änderungs/Erstellungs-Prüfungs-Freigabe-Verteilungsprozess

-Archivierung (gegebenenfalls auf separaten Datenträgern) gemäß gesetzlicher Vorschriften

-Automatisierung von ereignisgesteuerten Prozessen zur Generierung und Bearbeitung von Aufzeichnungen und Dokumenten

Unterschiedliche Ebenen eng verflechtenDas System muss sowohl Dokumente im engeren Sinne - das heißt Dokumente, welche die Organisation festlegen, wie Verfahrensanweisungen, Stellenbeschreibungen etc. - als auch Aufzeichnungen, die den bestimmungsgemäßen Betrieb protokollieren, verwalten können. Letztere sind zum Teil Dokumente, die erst im Rahmen der Workflows vom System generiert oder verarbeitet werden müssen.

Beim Aufbau und der Umsetzung dieser Systeme ist zu beachten, dass die organisatorischen, fachlichen und informationstechnischen Ebenen eng miteinander verflochten sind. Dadurch ist es möglich, alle Vorteile, die ein solches System bietet, voll auszuschöpfen. Diese Vorteile sind:

-direkte Einsparungen (niedrigere Papier- und Kopierkosten, geringerer Bedarf an Raum und Austattungen)

-Prozessverbesserungen (geringerer Aufwand, höhere Bearbeitungsgeschwindigkeit, bessere Motivation)

-mehr Sicherheit (höhere Transparenz, Aktualität, Verfügbarkeit, Qualität).

Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen lassen sich mit IT-gestützten Dokumenten-Management-Systemen - vorausgesetzt, sie können auf die speziellen Prozesse und die Dokumentationsstruktur des Unternehmens angepasst werden, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Es wird mehr Sicherheit und Transparenz im Unternehmen geschaffen - bei gleichzeitiger Reduzierung der für die Dokumentation entstehenden Kosten.

* Dr. Kuno Karsten ist strategischer Unternehmensberater bei der Sercon GmbH in Böblingen.