Verwirrung bei den Anwendern - Schock bei der Konkurrenz

Neue IBM 370/138 und 148Hardware zu weniger als halbem Preis

09.07.1976

STUTTGART - IBM kündigte jetzt als neue Zentraleinheiten der Serie 370 die Modelle 138 und 148 an, die sich Weniger durch technische Neuerungen als durch sensationell niedrige Preise auszeichnen. War dieses Announcement von Branchen-Insidern erwartet worden (CW-Nr. 22/23 vom 4. Juni 1976: "Gute Nachrichten für IBM-Anwender"), so überrascht, daß IBM gleichzeitig als Modelle 135-3 und 145-3 zwei Zentraleinheiten unterhalb der 138 und 148 auf den Markt brachte. Bereits installierte Systeme 135 und 145 können durch entsprechende Umbausätze zu Modell 3-Varianten hochgerüstet werden.

Der Marktführer gab ferner neue Maximalgrenzen für den Speicherausbau der 115- und 125-Zentraleinheiten frei, die nunmehr bei 384 KB (115) und 512 KB (125) liegen. Auch im unteren Bereich Neues von IBM: Ein "Top-of-the-Line"-Modell 15 D für das System 3 und neun "Spar-Konfigurationen" des Systems 32. (Siehe nebenstehenden Beitrag: "IBM macht auch unten dicht".) Schließlich ermäßigte der Marktführer die Kaufpreise für Zentraleinheiten der Serie 370 um bis zu 22 Prozent (Tabelle 1).

Geradezu spektakulär sind die Niedrig-Preise der neuen Mittelklasse-Systeme 138 und 148 (Tabelle 2). Dazu ein Beispiel: Die 148 mit 1 Megabyte kostet rund 2 Millionen Mark, eine entsprechende 145 mit ebenfalls 1 Megabyte kostete etwa 3,3 Millionen Mark. Eine Leistungserhöhung von 30 bis 40 Prozent, wie sie von IBM für die 148 genannt wird, ergäbe einen theoretischen Kaufpreis von 4,4 Millionen Mark. Ergebnis: IBM senkt im Mittelklasse- bis Großrechner-Markt die Preise um mehr als die Hälfte. Eine Revolution, nach der die DV-Welt ganz anders aussieht.

Bei der Computerwoche liefen die Telefone heiß: Anwender, Mitbewerber und Leasingfirmen wollten bestätigt wissen, ob denn das alles wahr sei. Es ist wahr: Die wichtigsten Merkmale der Neuankündigungen sind erhöhte interne Leistung, größere Hauptspeicher in Mosfet-Technik, erweiterte SPC-Unterstützung für OS/VS 1- und VM/370-Benutzer - SPC steht für System Control Program - sowie neue Hardware-Features.

145-Anwender Hugo Schwenk, EDV-Leiter der Papierwerke Waldhof-Aschaffenburg (PWA), in Raubling: "Bisher konnte man bei der IBM davon ausgehen, daß Neuankündigungen wohldosierte Leistungssteigerungen brachten, jedoch immer, auch reale Kostensteigerungen." Mit dieser "traditionellen" Preispolitik habe der Marktführer jetzt radikal gebrochen: "Eigentlich unvorstellbar, daß die Einsparungen diese Größenordnungen erreichen".

Die neuen Zentraleinheiten gibt es in Hauptspeicher-Ausbaustufen von 0,5 und 1 Megabyte bei der 370/138 sowie 1 und 2 Megabyte bei der 370/148. Neben dem Mosfet-Speicher ist einzig "bemerkenswerte" Hardware-Neuheit der ladbare Mikroprogrammspeicher in schneller bipolarer Technik, der bei beiden Modellen 128 KB hat, was bei der 138 gegenüber der 135 fast einer Verdreifachung (die 135 hat 48 KB Mikroprogrammspeicher) und bei der 148 gegenüber der 145 (64 KB) einer Verdoppelung gleichkommt. An neuen Systemkomponenten gibt es dann noch - das gilt für 138 und 148 - eine 1920-Zeichen-Bildschirm-Konsole und einen Direktanschluß für den Schnelldrucker 3203-4.

Das lange Warten ist vorbei

Das Announcement der Preisschlager kam gerade rechtzeitig. Denn viele Anwender der Systeme 135 und 145 - das sind hierzulande insgesamt Tausend (135:600, 145:450) - waren durch Gerüchte (kommt die 148 - kommt sie nicht?) verunsichert. Wer eine 145 kaufen oder leasen wollte, hielt mit der Unterschrift zurück, wie Hilmar Lotz, Oberkreisdirektor und im Vorstand des kommunalen Rechenzentrums Minden-Ravensberg/Lippe: "So wie das Bild jetzt aussieht, werden wir wohl die neue 148 nehmen." Zumal es nicht sehr lukrativ erscheint, auf eine 135-3 oder 145-3 "upzugraden". Das kostet bei der 135 (Voraussetzung 256 K) immerhin 11 000 Mark monatlich (360 000 Mark Kaufpreis) und 17 000 Mark Monatsmiete bei der 145 (560 000 Mark Kaufpreis). Die "Altmodelle" 135 und 145 dürfen zwangsläufig im Wiederverkaufswert fallen - ein Schock für die ganze Leasingbransche: "Einkalkulierte Spekulationsgewinne werden sich nicht realisieren lassen", befürchtet ein Branchen-Insider, der verständlicherweise nicht genannt sein will.

Leistungsloch gestopft

Unschwer erkennbar, welche Marketing-Strategie IBM mit der neuen Modell- und Preispolitik verfolgt: Mit den jetzt verfügbaren Hauptspeicher-Kapazitäten kommt das virtuelle Konzept voll zum Tragen; die höhere interne Leistung soll es dem Benutzer ermöglichen, verstärkt Datenbank- und TP-Anwendungen zu realisieren. Dazu Norbert Speicher, der den Geschäftsbereich Marketing, Daten und Prognosen bei der IDC-Deutschland GmbH, München, leitet: "Die Loyalität der IBM-Kunden wird zunehmend - da muß sich die Konkurrenz wieder etwas ausdenken." Denn Mitbewerber wie Univac, Honeywell und Siemens waren bekanntlich drauf und dran, IBM im Markt der "gehobenen Mittelklasse" ernstlich weh zu tun: Zwischen der 145 und der 158 klaffte ein "Leistungsloch" (Grafik Seite 1), das nunmehr gestopft wurde (siehe auch die Maurer-Kolumne, Seite 7).

Das System 370 Modell 138 wird in Montpellier (Frankreich), das Modell 148 in Mainz hergestellt. Erstauslieferungen: März, April 1977.