Interview mit Anita Ganti, Wipro

Neue Geschäftsmodelle brauchen Kreativität

26.08.2015
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Im Rahmen seiner Product Engineering Services (PES) will Wipro seinen Kunden helfen, ihre Produktentwicklung zu transformieren und Innovationen voranzutreiben. Wie das funktioniert und welche Rolle dabei Trends wie das Internet of Things (IoT) spielen, erklärt im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE Anita Ganti, Senior Vice President & Global Head des Bereichs PES bei Wipro.

CW: Wipro kennt man in erster Linie als Service-Provider. Welche Rolle spielt der Bereich Product-Engineering innerhalb der Gesamtstrategie?

Anita Ganti: Die Welt verändert sich schnell. Für die heutigen Unternehmen ist Innovation der Schlüssel zum Überleben. Product Engineering Services (PES) treiben diesen Wandel voran und ermöglichen den Kunden von Wipro Innovation und Transformation. PES ist daher ein strategischer Schlüsselbereich für Wipro. Durch die immer stärker vernetzte Welt ändern sich auch die Erfahrungen hinsichtlich der Art und Weise, wie wir miteinander interagieren. Und an genau dieser Stelle setzt unser PES-Business für unsere Kunden an.

Anita Ganti, Senior Vice President und Global Head Product Engineering Services, Wipro Ltd: "Die ganze Welt wird digitaler, die Banken, der Handel, die Medien."
Anita Ganti, Senior Vice President und Global Head Product Engineering Services, Wipro Ltd: "Die ganze Welt wird digitaler, die Banken, der Handel, die Medien."
Foto: Wipro

CW: Wie fügt sich Product Engineering in das gesamtheitliche Serviceangebot von Wipro ein?

Anita Ganti: Für uns ist Product Engineering ein Service, mit dessen Hilfe unsere Kunden neue intelligente Produkte entwerfen und entwickeln können. Wir bauen schließlich keine eigenen Produkte unter unserer eigenen Marke, sondern transformieren die Produktentwicklung unserer Kunden. So hat zum Beispiel eines der weltweit größten Softwareunternehmen dank unserer Services innovative Testing-Modelle zur Perfektionierung ihrer von Milliarden Menschen genutzten Software entwickeln können, und ein führender Halbleiterhersteller und Anbieter von Netzwerkequipment war in der Lage, das entsprechende Produkt von Grund auf herzustellen.

CW: Aus welchen Bestandteilen besteht Ihr Product-Engineering-Angebot?

Anita Ganti: Das Spektrum umfasst eine breite Spanne: Vom Design integrierter Schaltkreise für die Halbleiterindustrie über das Testen bis hin zur Entwicklung von Systemen und Produkten, die diese Schaltkreise nutzen, und der Software, mit der diese Produkte laufen. Wir arbeiten außerdem mit den großen Software-Providern zusammen und helfen ihnen bei der Produktentwicklung und dem Testing der Programme. Genauso bieten wir aber auch Services rund um Engineering-Design und Product-Design an. Hier geht es um Product Lifecycle Management (PLM) und Material-Management, Software und Tools, die die Entwicklung eines Produkts ummanteln und erst möglich machen.

CW: Das hört sich nach einem regelrechten Bauchladen an?

Anita Ganti: All das hält letztendlich die Dinge zusammen und macht zuletzt das eigentliche Gesamtprodukt aus. Es gibt keine Produkte, die isoliert nur aus Hardware oder Software bestehen. Beide Bestandteile sind heute sehr eng miteinander verzahnt und greifen tief ineinander.

CW: Wie ist das Product Engineering intern bei Wipro aufgestellt?

Anita Ganti: Unsere Product Engineering Service Line richtet sich nach bestimmten Märkten und Applikationsbereichen. Ein wichtiges Segment ist für uns beispielsweise Automotive. Wir arbeiten und entwickeln mit unseren Kunden zum Beispiel an einem Automotive Instrument Cluster sowie Infotainment- und Fahrerassistenzsystemen.

Gerade diese Themen erfordern eine enge Verzahnung von Hardware und Software. Ein weiterer Fokus liegt im Bereich Medienübertragung, beispielsweise Videos. Wir arbeiten an Systemen für die Authentifizierung und das Management von Video-Übertragungen. Ein anderer Bereich, in dem wir sehr aktiv sind, sind Peripherie-Geräte. Die Spanne reicht von Druckern und Kopierern über Videokameras bis hin zu Sicherheits- und Payment-Systemen.

CW: Und wie passt das Alles in die große Wipro-Organisation?

Anita Ganti: Wipro ist vertikal nach Industrien und Servicelinien organisiert - eine typische Matrixorganisation. Unser Industriefokus richtet sich nach den Marktanforderungen. Unser Product Engineering erfüllt die Engineering- und R&D-Anforderungen unserer Kunden aus allen möglichen Bereichen, seien es die Fahrzeugindustrie, Luftfahrt und Verteidigung, Gesundheitswesen, Medien und Unterhaltung, Druck und Peripheriegeräte, Energie und Versorgung oder auch Mobilgeräte.

Alle Dinge im Leben werden smarter

CW: Welche Rolle spielen Trends wie das Internet der Dinge in ihrer Strategie?

Anita Ganti: Alle möglichen Produkte, mit denen wir tagtäglich zu tun haben - das kann der Garagentüröffner, das Home-Security-System oder eine Settop-Box sein - sind integraler Bestandteil unsere Connected World Strategie. Im Laufe der Zeit werden immer mehr Dinge miteinander vernetzt. Das ist ein fortlaufender Prozess, in dem wir uns befinden.

Alle Dinge in unserem Leben werden immer smarter, wie beispielsweise die Autos. Sie sammeln Daten zum Fahrverhalten oder über die Batterielebensdauer. Der nächste Schritt wird sein, dass sämtliche Produkte um uns herum miteinander kommunizieren werden. Beispielsweise erkennen Hotels anhand von GPS-Daten aus einem Smartphone, wenn ein Gast anreist. Das Einchecken funktioniert dann automatisch. Der Gast bekommt seine Zimmernummer aufs Smartphone und öffnet die Tür per NFC.

CW: Das mag smart klingen - ich habe allerdings den Eindruck, dass viele Unternehmen noch keine Idee haben, wie sie aus den vielen Daten und neuen Möglichkeiten auch zusätzliches Geschäft generieren können.

Anita Ganti: Das glaube ich nicht. Die Daten sind schließlich da. Die Menschen sind zunehmend bereit, Informationen zu teilen. Es macht ihr Leben komfortabler. Zudem werden die meisten Daten anonym aggregiert, um bestimmte Muster zu erkennen. Aber klar - man muss kreativ sein, dann lassen sich daraus durchaus Geschäftsmodelle entwickeln.

Nehmen Sie das Hotelbeispiel: Der Service für die Kunden wird besser und die Betreiber können Geld sparen, weil niemand mehr rund um die Uhr am Empfang stehen muss. Künftig werden sich die Kunden ihre Anbieter danach aussuchen, wie komfortabel sie bedient werden.

CW: Gerade hier in Deutschland gibt es in diesem Umfeld viele Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit. Wie beurteilen Sie die Security-Problematik?

Anita Ganti: Die Sicherheit in diesem Umfeld muss sich definitiv verbessern. Das Niveau an dieser Stelle ist noch nicht so wie es sein sollte. Wir lesen immer wieder, dass Kunden-Datenbanken von großen Online-Händlern gehackt wurden. Doch die ganze Welt wird digitaler, die Banken, der Handel, die Medien. Angesichts dieser Entwicklungen führt kein Weg daran vorbei, dass auch wir uns transformieren und digitaler werden. Wer es nicht versteht, in einer digitalen Welt zu leben, dessen Leben wird schwieriger. Genauso wichtig ist es daher, dass sich auch die Sicherheit weiter verbessert.

CW: Arbeiten Sie auch selbst an Security-Produkten?

Anita Ganti: Ja, das tun wir. Aber wir vermarkten diese Lösungen nicht unter der Wipro-Marke. Das läuft unter der IP unserer Kunden, mit denen wir hier zusammenarbeiten und die am Ende die gemeinsam entwickelten Produkte auf den Markt bringen. Sehr oft arbeiten wir an End-to-end-Services. Das bedeutet, wir entwerfen das Gesamtsystem für unseren Kunden, von der Software über das Backend bis hin zum Daten-Management. In diesem Zusammenhang kümmern wir uns auch um die Sicherheit der Systeme und garantieren die Security.

CW: Was tut sich aus Ihrer Sicht derzeit im Umfeld von Security-Produkten?

Anita Ganti: Momentan kommen viele junge Unternehmen mit neuen Security-Ideen auf den Markt. Wir haben das im Blick und sehen uns diese Lösungen genau an, testen sie und benchmarken sie. Auf dieser Basis geben wir unseren Kunden dann Empfehlungen, welche Security-Lösung am besten zu welchem Einsatzgebiet und zu welcher Software passt. An dieser Stelle beobachten wir auch sehr intensiv Open-Source-Produkte.

CW: Ein wichtiges Open-Source-Produkt im Daten-Management-Umfeld ist Hadoop. Halten Sie das Framework schon tauglich für den Unternehmenseinsatz?

Anita Ganti: Ich gehe davon aus, dass die Arbeiten an dieser Stelle weitergehen werden. Als Ingenieurin glaube ich nicht, dass die Entwicklung an einem Produkt jemals abgeschlossen ist. Wir prüfen ständig unsere Produkte und entwickeln sie weiter. SQL-Datenbanken gibt es schon so lange und die Entwickler haben sehr viel Arbeit in diese Systeme gesteckt. Allerdings werden diese Datenbanken meist klassisch im Business eingesetzt, für die Finanzsysteme, Lagerhaltung etc. Heute fließen aber wesentlich mehr Bestandteile unseres täglichen Lebens in Datenbanken. Entsprechend muss man sich überlegen, wie man diese verändern und weiterentwickeln sollte.

Unternehmen definieren Rolle des CIO neu

CW: Heute wandert immer mehr IT-Kompetenz in die Fachabteilungen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Anita Ganti: Da ist ein wichtiger Punkt, wie sich Unternehmen hinsichtlich der IT intern aufstellen und strukturieren. Einige Unternehmen definieren die Rolle des CIO und der IT-Abteilung neu und räumen diesem Bereich eine größere Rolle ein. Andere Unternehmen bauen in den Fachabteilungen mehr IT-Knowhow auf, die entsprechend mehr Verantwortung übernehmen.

Teilweise übernimmt auch der Chief Marketing Officer mehr IT-Verantwortung. Das sind Entwicklungen, die in jedem Unternehmen anders und individuell verlaufen. Wir sehen zudem bei vielen unserer Kunden eine neue Rolle, die sich um ‚Technology IT‘ kümmert. Das betrifft sämtliche IT-Aspekte rund um die eigene Produktentwicklung und den gesamten Lifecycle.

CW: Es gibt also unterschiedliche Wege, mit den Herausforderungen fertig zu werden?

Anita Ganti: Genau - verschiedene Firmen gehen unterschiedliche Wege. In manchen Unternehmen hat das Management den CIO damit betraut, neue Geschäftsmodelle und Ideen zu entwickeln. In anderen Unternehmen macht das der Chief Product Officer oder der Chief Marketing Officer. Wie wir beobachten, macht es nicht jeder auf die gleiche Art und Weise.

CW: Wie wichtig ist angesichts dieser Entwicklungen Branchen-Knowhow für Ihr Geschäft?

Anita Ganti: Das ist sehr kritisch. Es sind zwei Dinge, die Kunden bei der Wahl des passenden Partners beachten. Sie erwarten, dass man den Markt sehr genau kennt. Auf der anderen Seite suchen sie auch einen Partner, der neue Ideen mitbringt und ihnen bei Innovationen hilft. Ein Beispiel: Im Bereich Haushaltsgeräte wie beispielsweise Waschmaschinen wird es künftig stark um die Mensch-Maschine-Schnittstelle gehen.

Hier kommen neue technische Möglichkeiten wie Spracherkennung mit ins Spiel. An dieser Stelle bringen wir Erfahrungen aus anderen Bereichen wie der Unterhaltungselektronik mit, die wir hier einbringen können. Unsere Entwickler können also neue Perspektiven eröffnen: Dinge, die in einer Industrie entwickelt wurden, in einem anderen Bereich einbringen. Es geht also darum, auf der einen Seite das Business und auf der anderen Seite die Technik zu verstehen.

CW: Wie unterscheidet sich Wipro von anderen Product-Engineering-Anbietern?

Anita Ganti: Der kritische Aspekt für Wipro ist, dass wir End-zu-End-Lösungen anbieten, was bedeutet, dass wir Business-Transformation durch einen Ansatz anbieten, welcher Consulting, Advisory und Business Support, Geräte- und Modulengineering, Systemintegration sowie Applikations- und Betriebsdienste und Managed Services abdeckt. Viele andere Anbieter konzentrieren sich auf bestimmte Aspekte und Teillösungen, beispielswiese das Lifecycle Management oder die Softwareentwicklung.

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal liegt in unseren Business-Modellen. Wir stellen nicht nur Leute ab und berechnen deren Arbeitskraft, sondern nehmen den Output als Maßstab. Wir stecken unsere Entwicklungskapazitäten in den Bau eines Produkts, der Kunde oder Partner übernimmt die Vermarktung und wir teilen uns den Profit beziehungsweise Umsatz. Es geht also nicht nur um das Spektrum des Angebots sondern auch um die Service- und das Geschäftsmodelle.