Erste Modelle im Frühjahr 1997

Neue Generation von PCs wird fast alles können

06.09.1996

Es ist nicht einfach ein PC. Ein schnöder Fernseher schon gar nicht. Man kann seine Hi-Fi-Anlage damit genauso steuern wie die Waschmaschine. Oder im Urlaub die Wohnung per Videokamera und Bildübertragung auf den Notebook überwachen. Was ist das?

Einfach gesprochen, ein Multitalent im PC-Outfit, das aber mehr als die herkömmlichen Aufgaben eines PCs bewältigt. Als zentrales Informations- und Steuerungsterminal soll es in Haushalten eingesetzt werden. Mit ihm wird es nicht nur möglich sein, die gesamte Bandbreite aller Online-Dienste unterschiedlicher Diensteanbieter, vulgo Content Providers, und so das Wissen dieser Welt anzuzapfen.

Darüber hinaus soll die Maschine auch als Regelzentrale dienen, um etwa Waschmaschine, Kühlschrank, elektronische Jalousien, Stereoanlage oder Videokameras anzusteuern.

Durch die Verquickung "intelligenter" PC-Technologie mit Entwicklungen aus der Consumer-Electronic-Branche mausert sich der Tischrechner zum universellen Infoterminal. Eine Reihe von Herstellern haben solche Systeme als Hoffnungsträger ausgemacht, um sinkende Verkaufszahlen im PC-Markt aufzufangen.

Compaqs Antwort auf die stagnierenden Stückzahlen im PC-Markt sind zunächst drei neue "Presario"-Modellinien, die Video-, TV-, Audio- , Telefon-, Fax- sowie Anrufbeantworterfunktionen in einem System vereinen. Die Texaner bewerben die neuen PCs mit deren kinderleichten Bedienfunktionen: "Sie können Ihren Fernseher und Ihre Stereoanlage bedienen! Also können Sie auch den Presario bedienen."

Im kommenden Januar dann will Compaq mit Thomson auf der CES in Las Vegas ein Gerät präsentieren, das über einen noch erheblich erweiterten Funktionsumfang verfügen soll.

Wie Toon Bouten, der Europa-Vice-President von Compaqs Consumer Group, erklärt, habe Thomson hierzu das TV-Display entwickelt und "wir die Computer-Hardware und -Software". Der Zwitter aus PC- und Consumer-Electronics-Technologie, der noch keinen Namen hat, sei das erste in einer Reihe von zu erwartenden Produkten für den privaten Bereich.

Denkt Bouten an den digitalen Alleskönner, spricht er euphorisch vom "Home of the future" - schöner wohnen mit dem PC also wohl! Kern dessen ist ein vernetztes Heim-System namens "Compaq Network Device". Mit diesem läßt sich der Haushalt digital in den Griff nehmen.

Thomson hatte ein erstes Modell des für Januar avisierten Rechners unter dem Namen "RCA Genius Theater" bereits im April 1996 in New York vorgestellt, ohne allerdings auf die Kooperation mit Compaq zu verweisen. Über einen eingebauten digitalen Empfangsdecoder können Kabel- oder Satellitensignale empfangen werden. Ein Modem gehört ebenso zur Standardausstattung wie eine Fernbedienung für den Fernsehteil sowie eine Infrarot-Tastatur. Bouten sagte, das System werde mit einem 29, 33 oder 37 Zoll großen High-Definition- Monitor bestückt.

Zum Lieferumfang gehören ein WWW-Browser sowie Optionen, um Videokonferenzen durchführen zu können. Teile des Alleskönners seien ferner eine Videokamera (was Voraussetzung für Videokonferenzen ist) und ein CD-ROM-Laufwerk für das heute noch nicht angebotene Verfahren "Digital Video Disk" (DVD).

Hierbei handelt es sich um einen Technologiestandard, auf den sich Firmen wie Philips, Toshiba, NEC, Sony und diverse große Medienkonzerne geeinigt haben. Die neue CD-ROM-Technologie bietet Platz für bis zu 8,4 GB an Daten. In Verbindung mit dem Kompressionsstandard MPEG-2 lassen sich abendfüllende Filme in Pal-plus-Qualität mit mehrsprachigen Tonkanälen auf solch einer CD speichern.

Compaq bediente sich bei den Innereien des Geräts der Technologie, die die Intelon Inc. entwickelt hat, ein Unternehmen, an dem Compaq seit Dezember 1995 Anteile besitzt. Von Intelon stammt die CE-Bus-Technologie, die in Consumer-Elektronikgeräte integriert werden kann und so den Verbund mit dem PC erst möglich macht.

Compaq werde, so Bouten weiter, auf der CES eine Reihe von Systemen präsentieren, die Techniken aus verschiedenen Industriebereichen kombinieren.

Ganz neu ist die Idee von Compaq-Thomson übrigens nicht: Bereits auf der Funkausstellung in Berlin Ende August 1995 zeigte die Siemens Electrogeräte GmbH, daß der PC als TV nicht der Weisheit letzter Schluß ist, sondern seine "Intelligenz" erst die Grundlage bildet für ein Haushaltsgerät der ganz neuen Art.

Die Tochterfirma des bayerischen Großunternehmens entwickelte das "Siemens Home Electronic System" (HES), den Prototypen einer Steuersoftware, die alle heimischen Elektrogeräte über einen PC und Windows-ähnliche Software unter Kontrolle hat. Der Geschäftsbereich der Siemens AG will HES als Management-System für den privaten Haushalt vermarkten, "mit dem sämtliche Funktionen im Haus bedient, gesteuert und kontrolliert werden können".

Das heimische Elektroinventar muß über einen sogenannten Instabus an den PC angebunden werden. Hierbei, so die Siemensianer, handelt es sich um einen genormten Kommunikationsweg, auf dem alle Informationen zwischen den einzelnen Komponenten fließen. Die Topologie dieser Bus-Leitung kann linien- oder sternförmig ausgelegt sein. Zudem lassen sich die in Haushalten üblichen Stromkreisverteiler und Gerätedosen verwenden.

Mit seiner Neuausrichtung auf den Heim-Markt steht Compaq nicht allein: Eine Menge von PC-Herstellern bieten Multimedia-Optionen in ihren PCs an.

Europa schaut in die Röhre

Gateway 2000 präsentierte bereits im März 1996 den PC-TV "Destination", einen Rechner mit TV-Empfangsteil, schnurloser Tastatur und Fernbedienung sowie einem großen Bildschirm. Ähnlich ausgestattete Modelle brachten Olivetti ("Envision"), SNI ("Scenic") und die kleine kalifornische Firma Net TV Inc.

Und obwohl - insbesondere in Deutschland - diese multimedial aufpolierten Consumer-PCs nicht der große Hit sind, glauben auch sehr potente Hersteller aus der Consumer-Electronic-Branche wie etwa Sony und die Victor Company of Japan Ltd. sowie riesige Mischkonzerne wie Mitsubishi Electric oder Hitachi Ltd., daß dem neuen Gerätetyp die Zukunft gehören könnte.

Europäer schauen übrigens vorerst in die Röhre: Das digitale Werkstück des Thomson-Compaq-Duos soll zunächst ab dem Frühjahr 1997 für rund 3000 Dollar in den USA angeboten werden. In Deutschland, so die Pressesprecherin der Compaq-Deutschland GmbH, Beate Keller, sei mit dem guten Stück nicht vor Ende 97 zu rechnen.