Problem 2000/Eine Gelegenheit für gründliche Darstellungen

Neue deutsche und amerikanische Fachliteratur zum Problem 2000

19.06.1998

Seit einiger Zeit hat die Tagespresse das Problem 2000 wahrgenommen. Ihre - gelegentlich seitenfüllende - Berichterstattung beschreibt im wesentlichen die Dringlichkeit, die Jahreszahlenumstellung anzugehen. Die Fachpresse ist einige Schritte weiter, wendet sich derzeit vor allem unterschätzten Detailproblemen zu, zum Beispiel Testing und Embedded Systems. Dadurch ergibt sich eine Lücke und eine gute Gelegenheit, das Problem noch einmal umfassend darzustellen. Bücher bieten den dafür nötigen Raum.

Peter Haase: Das Jahr 2000 in der EDV. Bewältigung des Jahr-2000-Problems in Ihrem Unternehmen. Oldenbourg Verlag, München und Wien 1998, ISBN 3-486-24737-9, 211 Seiten, 98 Mark

Haase ist ein selbständiger Berater, der bis 1996 Sprecher der Tandem-Anwendervereinigung im deutschsprachigen Raum war. Das erklärt vielleicht die Eigenart, die Leser immer direkt anzusprechen. Bei Forumulierungen wie "Wir wollen hoffen ..." ist nicht ganz klar, ob er mit dem Leser unter einer Decke stecken möchte oder aber den Pluralis majestatis verwendet.

Bemerkenswerterweise kritisiert er schon eingangs, daß deutsche Medien "nur selten und wenig spektakulär" über das Problem 2000 berichten - gefolgt von einer Vielleicht-doch-nicht-Schuldzuweisung: "Möglicherweise ist gerade deswegen die Funktionsfähigkeit unseres Wirtschaftssystems besonders gefährdet." Es folgen einige Kapitel über "Sonne, Mond und Sterne" und die Zeit überhaupt. Die ersten 40 Seiten kann der eilige Leser getrost überblättern.

Dann wird es allerdings doch interessanter und vor allem gründlicher. Haase kommt von einem knappen allgemeinem Abriß der Dimension eines DV-Problems sehr zügig zu den detaillierten Aufgaben und ihren Schwierigkeiten in den betroffenen Unternehmen.

Er beschreibt Projekt-Management, Bestandsaufnahme und Analyse, Lösungswege sowie Testverfahren. Außerdem umreißt er die Wirkungen und Grenzen der zahllosen angebotenen Tools. Ein Kapitel gibt eine Einführung zu Rechts- und Versicherungsfragen, ein anderes behandelt das delikate Feld der Beziehungen in Wirtschaftsketten, also den Datenverkehr zwischen Lieferant und Kunden.

Darüber hinaus bespricht Haase die DV im Jahr 2000 und darüber hinaus. Er diskutiert hier nochmals Haftungsfragen, geht aber auch auf mögliche Konsequenzen für den Softwaremarkt und den Umgang mit DV auf Anwenderseite ein und sieht durchaus eine Chance in der gegenwärtigen Krise.

Jedes Kapitel des Buchs beschließt ein Absatz "Was folgt daraus?". Leider sind diese Empfehlungen stark verallgemeinernd und recht vage. Den Abschluß bilden ein Glossar, Web-Adressen und ein Index. Haases häufige Konjunktive und die oft knappen Aufzählungen machen das Buch keineswegs zu einer flotten Lektüre. Sätze wie "Er kann in Ihrem Konzern oder im Markt gefunden werden kann", verraten, daß das Problem 2000 für manchen Buchverlag auch ein anderes Zeitproblem in sich birgt.

Daniel Aebi: Zeitsprung 2000. Beispiele, Checklisten, Lösungen. Für Manager und Informatiker. Carl Hanser Verlag, München und Wien 1998, ISBN 3-446-19335-9, 225 Seiten, 79 Mark

Der Autor, Dozent an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, kommt schnell zur Sache. Ruck, zuck sind die Existenz des Datumsproblems und seine verschiedenen Erscheinungsformen skizziert, die Ursachen erklärt.

Ab Seite 45 kommt Aebi in 21 Kapiteln zu seinem Hauptanliegen; der Lösung des Problems. Er teilt zunächst die Vorgehensweise in fünf Phasen von Bewußtseinsbildung, Betroffenheitsanalyse, Umsetzung beziehungsweise Korrektur über Testen bis hin zu Wiederinbetriebnahme respektive Abschlußarbeiten ein.

Ab Kapitel zehn wendet sich der Autor Einzelfragen zu. So der Koordination mit Geschäftspartnern, dem Ausweg Outsourcing, den Kosten, der bisher noch kaum angesprochenen Eventualplanung, dem Mangel an Fachkräften, juristischen Aspekten und der Beurteilung von Werkzeugen. Schließlich bespricht Aebi auch Embedded Systems und Probleme mit PCs, und zwar einschließlich Schwierigkeiten mit deren Software.

Die Reihenfolge dieser Kapitel erscheint nicht immer schlüssig, was aber nicht weiter stört, denn jede Einzeldarstellung ist auch wenn man die vorhergehenden Kapitel nicht gelesen hat, verständlich. Die Ausführungen sind häufig im Stil von Aufzählungen gehalten, auch dort, wo es nicht nötig, sondern im Sinne der Lesbarkeit in ganzen Sätzen möglich gewesen wäre. Äußerst angenehm ist aber, daß Aegi zu jedem Aspekt die Vor- und Nachteile deutlich vor Augen führt.

Hilfreich ist auch der Anhang. Er enthält Musterbriefe an Lieferanten von Hard- und Software, Hinweise auf weiterführende Informationsquellen einschließlich zahlreicher Web-Links, Checklisten aller Art sowie Formeln und Algorithmen. Der Autor geht so weit, selbst Aufkleber zur Kennzeichnung von PCs vorzuschlagen.

Das Buch beschließen ein Glossar und ein Literaturverzeichnis. Leider fehlt ein Stichwortverzeichnis. Diesen Mangel vermag auch die ausführliche Gliederung nicht wettzumachen. Auch Aebi kritisiert Teile der Presseberichterstattung, aber nicht etwa als schwach, sondern als "stark überzeichnet", weshalb er sie mit "Weltuntergangsszenarien" vergleicht. Den Autor selbst hat das nicht davon abgehalten, derlei in einem "Prolog" noch in den Schatten zu stellen. Was damit zusammenhängt, daß sich nicht nur Zeitschriften, sondern auch Bücher verkaufen müssen.

Je weniger Spezialkenntnisse zu Rechtsfragen in Institutionen vorhanden sind, desto häufiger entsteht die Illusion, doch gegen alles versichert zu sein. Daß die Aussichten keineswegs so gut sind, wissen auch Haase und Aebi. Was juristische und versicherungstechnische Feinheiten anbetrifft, müssen aber beide sehr bald die Flagge streichen. Ein Spezialist hat für alle, die solchen Problemen nachgehen sollten, bevor sie sich aus dem Fenster lehnen, die Grundlagen zusammengestellt:

Michael Bartsch: Software und das Jahr 2000. Haftung und Versicherungsschutz für ein technisches Großproblem. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1998, ISBN 3-7890-5287-6, 303 Seiten, 59 Mark

Bartsch führt nur sehr knapp in das Problem ein; schon gar nicht ist von Lösungsmethoden die Rede. Es geht gleich um die Rechtsgrundlagen. Die Basis der folgenden Zusammenstellung bildet ein Gutachten, das der Karlsruher Rechtsanwalt und Lehrbeauftragte an der dortigen Universität für die Kölnische Rückversicherungs AG verfaßt hat.

Der Autor beschreibt verschiedene in der Datenverarbeitung üblicheVertragsformen und ihre möglichen Konsequenzen. Er erläutert mit der Genauigkeit eines Juristen gesetzliche Grundlagen, beispielsweise die Produkthaftung, allgemeine Geschäftsbedingungen, Haftungsfragen innerhalb eines Unternehmens sowie Durchgriff und Regreß.

Ausführlich widmet sich Bartsch auch dem Versicherungsschutz auf der Grundlage verschiedener Policen. Nur äußerst knapp wagt er sich allerdings an eine Kalkulation der Risiken. Der Anhang enthält Fragebögen und Adressen, ein Literatur- sowie ein Stichwortverzeichnis.

Das Bemühen des Verfassers, für möglichst viele verständlich zu sein, ist dem Buch anzumerken. Allerdings erfordert die Sache nun doch eine unzweideutige Sprache, die keinesfalls Unterhaltungswert besitzt. Hier muß der Leser gehöriges Engagement mitbringen. Schon gar nicht sollte er exemplarische Hinweise auf Lösungen analog zu seiner Problemlage erwarten. Noch ist kein einziger Fall eines Jahr-2000-Problems vor einem deutschen Gericht verhandelt worden.

In den USA ist man den Deutschen diesbezüglich weit voraus, auch auf dem Buchmarkt. Allerdings sind entsprechende Werke nicht ohne Zeitaufwand zu beschaffen. Deshalb nur drei knappe Hinweise auf Bücher, die dort Ende letzten Jahres erschienen sind:

William Ulrich, Ian Hayes: The Year 2000 Software Crisis, Challenge of the Century. Yourdon Press, Upper Saddle River (NJ) 1997, ISBN 0-13-655664-7, 587 Seiten, 39,95 Dollar (87,90 Mark)

Auch dieses Buch beleuchtet das Problem 2000 von allen Seiten und beschreibt Vorgehensweisen sowie Lösungsmethoden. Allerdings sprechen die Autoren eine weniger technisch spezialisierte Zielgruppe an. Den beiden Beratern geht es vor allem um IT-Verantwortliche, gehobenes Management auf Anwenderseite sowie um deren "Counterparts" in Softwarehäusern. Entsprechend stehen hier die Koordination mit Kunden und Zulieferern, der Umgang mit Aktionären (!) sowie Budgetierung und Management von Umstellungsprojekten im Vordergrund. Ein weites Feld sind auch Kriterien zur Auswahl von Softwarewerkzeugen, Vertragsgestaltung und Evaluierung von Dienstleistungsangeboten.

Peter de Jager, Richard Bergeon: Managing 00. Surviving the Year 2000 Computing Crisis. John Wiley & Sons Inc., New York etc. 1997, ISBN 0-471-17937-X, 226 Seiten, 19,99 Dollar (39,90 Mark)

Peter de Jager ist ein gefragter Berater. Er war der erste, der auf das Problem 2000 aufmerksam gemacht hat. Zusammen mit dem Herausgeber des "Millenium Journal" ist ihm ein Musterbeispiel dafür gelungen, wie manche nordamerikanische Autoren auch komplexe oder weitläufige technische und Management-Probleme so darzustellen vermögen, daß die Lektüre unterhaltsam ist.

Die Verfasser plündern gnadenlos in Sprache und Geschichte: von der berühmten Apollo-13-Meldung "Houston, we have a problem" bis zum Beatles-Titel "Won't you please, please help me". Sie unterziehen auch Leser ohne sonderliche Fachkenntnisse einem Wechselbad aus Amüsement und Entsetzen. Beiläufig erfährt er so gut wie jeden Aspekt des Jahreszahlenproblems.

Ganz anders das folgende Buch, in dem allenfalls die zahlreichen Cartoons etwas Ablenkung von den sehr anspruchsvollen Darstellungen verschaffen:

Leon Kappelman: Year 2000 Problem. Strategies and Solutions from the Fortune 100. International Thomson Computer Press, Boston etc. 1997, ISBN 1-85032-913-3, 447 Seiten, 44,99 Dollar oder 88,90 Mark

Dieses Werk richtet sich an Leser, die in Jahr-2000-Projekten unmittelbar beteiligt sind. Je mehr technische Bildung der Leser mitbringt, desto besser. Denn Kappelman und einige Co-Autoren aus der Year 2000 Working Group der Society for Information Management (SIM) gehen richtig ans Eingemachte. Die Beschreibung der verschiedenen Aspekte des Datumsproblems ist ausführlich geraten.

Verschiedene Lösungsmethoden sind sehr detailliert beschrieben. Vor allem eins könnte für hiesige Leser besonders interessant sein: Diverse Autoren stellen dar, wie sie als Verantwortliche für Jahr-2000-Projekte in einigen der weltgrößten Unternehmen vorgehen. Eine beigefügte CD-Rom enthält Test- und Assessment-Tools.