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Neue Details zur Kieler "SAP-Affäre"

30.01.2002
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MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Das Finanzministerium von Schleswig-Holstein unter Minister Claus Möller (SPD) sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, bei der Einführung eines SAP-Systems im Jahr 1998 jegliche Wirtschaftlichkeitsberechnungen außer Acht gelassen zu haben. Zudem geriet die ehemalige Projektleiterin der Behörde in den Verdacht der Korruption. Die Kieler Staatsanwaltschaft ist eingeschaltet.

Ein Bericht des Landesrechnungshofs (LRH) Schleswig-Holstein brachte den Stein ins Rollen: Darin wird der Finanzbehörde vorgeworfen, sie habe bei der "Auswahl eines Mittelbewirtschaftungs- und Kostenrechnungssystems für die Landesverwaltung" im Jahr 1998 "wesentliche Vorschriften des Vergabe- und Haushaltsrechts verletzt" und sich "gravierende Verstöße" zuschulden kommen lassen. Insbesondere habe das Ministerium nicht nachweisen können, dass es das wirtschaftlichste Verfahren gewählt habe.

Dubioses Auswahlverfahren

Die Wibera Wirtschaftsberatung AG mit Hauptsitz in Düsseldorf hatte in einem Prüfverfahren der sechs in die engere Wahl gezogenen Anbieter 1998 festgestellt, dass die SAP-Lösung "unter fachlichen und finanziellen Aspekten" jeweils nur die fünftbeste Lösung sei. Pressesprecher Herbert Schnelle vom Finanzministerium des Landes Schleswig-Holstein sowie die LRH-Sprecherin Gabi Meyer machten keine Angaben dazu, um welche sechs Anbieter es sich handelte.

CW-Recherchen ergaben, dass auch Oracle und Baan mit geboten hatten. Ferner wurden Lösungen der Firmen Dogro ("Pro Fiskal") , Mach und die Lösung eines kleines Unternehmens namens Müller IVR begutachtet.

Der LRH moniert, die Möller-Behörde habe "die Grundsätze des Haushaltsrechts nicht beachtet". Überdies sei ein Erweiterungsvertrag mit dem Dienstleister Debis "ohne haushaltsrechtliche Ermächtigung abgeschlossen" worden, "Verpflichtungen für die Zahlungen der Lizenzen und der Pflegeentgelte" habe das Land in seinem Rechnungswesen "nicht mehr ausgewiesen".

Vertrag ist nicht gleich Vertrag

Der Vertrag, der zwischen Finanzministerium und SAP am 15. Juli 1998 abgeschlossen wurde, enthalte außerdem keine Zusicherung, dass SAP Schadenersatzansprüche an das Land leiste, wenn geforderte Leistungen nicht erbracht würden. Genau diese Zusicherung hatte das Finanzministerium im Vorfeld der Vertragsvergabe aber gegenüber dem Finanzausschuss als gegeben behauptet. Hierzu erklärte die SAP gegenüber der CW, solche Zusicherungen seien Verhandlungssache. Zumindest im Fall des Stadtstaates Hamburg, der das gleiche System wie Schleswig-Holstein einführte, ist hier offensichtlich besser verhandelt worden als im umgrenzenden Bundesland: "Im Falle Schleswig-Holstein hat SAP etwaige Schadensersatzleistungen abgelehnt, Hamburg wurden sie aber zugestanden," so LRH-Sprecherin Meyer.

In einer Presseerklärung äußerte sich Finanzminister Möller zu den Vorwürfen, er habe bei der Einführung des Systems den Finanzausschuss des Landtages und das Kabinett nicht korrekt und umfassend informiert. Die Grundlagenentscheidungen für eine Kosten- und Leistungsrechnung aus den Jahren 1995 und 1996 seien ausgiebig in Ausschuss und Kabinett erörtert worden. "Aus den Protokollen des Finanzausschusses geht eindeutig hervor, dass die Auswahl des nunmehr eingesetzten Systems SAP R/3 sehr intensiv beraten wurde", sagte Möller.

Minister Möller räumt rückblickend Probleme ein

Möller äußerte sich auch zu dem Auswahlprozess. Nach einer Ausschreibung Ende 1997, an der sich 13 Firmen beteiligt hatten, waren nach einer ersten Prüfung noch sechs Wettbewerber in der engeren Auswahl. Zwar habe "ein externer Gutachter" (die Wibera, Anm.d.Red.) ein Ranking ermittelt, indem das Duo Debis/SAP nicht den ersten Platz erreicht hatte. Zwei interne interministerielle Arbeitsgruppen (IMAG) kamen aber zu einem anderen Ergebnis, das letztlich die Firma Debis/SAP als besten Anbieter ermittelte. Ein entscheidendes Kriterium war dabei die Zukunftsfähigkeit der einzusetzenden Software.

Der Finanzminister gab zu, dass es "eine Reihe von haushaltsrechtlichen Vorwürfen des LRH gäbe, von denen einige aus heutiger Sicht geteilt würden". Auf diese Einwände werde sein Haus ausführlich im Haushaltsausschuss eingehen, sagte Möller.

Einflussnahme durch heutige SAP-Angestellte?

Die Angelegenheit könnte sich für Finanzminister Möller auch insofern zum Skandal ausweiten, als, wie Finanzministeriums-Sprecher Schnelle sagt, zeitgleich mit dem LRH-Bericht ein anonymes Schreiben bekannt wurde. In diesem wird eine ehemalige Mitarbeiterin der Möller-Behörde der Korruption beschuldigt. Sie soll 1998 als Projektleiterin maßgeblich die Entscheidung für SAP/Debis vorangetrieben haben. Mittlerweile ist sie Angestellte des Walldorfer Softwarehauses. "Wir haben daraufhin sofort vorsorglich die Staatsanwaltschaft eingeschaltet", berichtet Schnelle.

Oberstaatsanwalt Uwe Wick bestätigte unterdessen, dass seine Behörde aufgrund eines Schreibens des Finanzstaatssekretärs Uwe Döring (SPD) prüft, ob der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt. Weitere Erklärungen gab er nicht ab, weil noch keine Unterlagen vorlägen. Ein Strafverfahren werde erst eingeleitet, wenn ein Anfangsverdacht gegeben sei. Ein Ermittlungsverfahren laufe also noch nicht.

Rätsel um anonymes Schreiben

Unklar ist ebenfalls, ob das anonyme Schreiben wirklich existiert. Wick zu dieser Frage: "Uns liegt bisher solch ein Schreiben nicht vor. Unsere Prüfung erfolgt ausschließlich wegen des Schreibens des Finanzstaatssekretärs." LRH-Sprecherin Meyer sagte, dem Landesrechnungshof liege dieses Schreiben ebenfalls nicht vor. Ein Informant erklärte gegenüber der CW allerdings, der finanzpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Wolfgang Kubicki, habe am 24. Januar 2002 sowohl gegenüber Ministerpräsidentin Heide Simonis als auch gegenüber Finanzminister Möller angegeben, er sei im Besitz des besagten Schreibens.

In einer Kabinettspressekonferenz vom 29. Januar gab Kubicki hierzu folgende Stellungnahme ab: "Um das Finanzministerium vor weiteren Fehldeutungen zu bewahren, stelle ich fest, dass ich weder Informant des Ministeriums noch der Staatsanwaltschaft bin, noch jemals anonymer Hinweisgeber war. Als Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion muss ich mich nicht hinter dem anonymen Korruptionstelefon verstecken, das Claus Möller vor geraumer Zeit als große Errungenschaft eingerichtet hat."

SAP-Sprecher Markus Berner bestätigte, dass die Mitarbeiterin des Finanzministeriums seinerzeit zur SAP gewechselt sei. Man sei aber prinzipiell bei Wechseln von Kundenmitarbeitern zum Unternehmen sehr vorsichtig. Es sei übrigens nicht logisch, dass eine einzige Person eine Investitionsentscheidung wie die in Rede stehende fälle. Berner wies den Vorwurf der Korruption zurück.

Ein weiterer Informant der CW lieferte einen möglichen Grund für den Wechsel der Finanzministeriumsmitarbeiterin zur SAP: Danach habe man ihr seinerzeit in der Behörde Karriereoptionen versprochen, die dann allerdings nicht eingehalten wurden.

Niedersachsen fährt billiger mit Baan

Das von Schleswig-Holstein genutzte SAP-System kostet laut Bericht des LRH insgesamt und auf eine Laufzeit von 15 Jahren gerechnet inklusive der Beschaffung, des Betriebs und der Pflege sowie der Personalkosten des Landes etwa 419 Millionen Euro. Das Land Niedersachsen, das sich für ein funktional ähnliches System von Baan entschieden und dieses seit zwei Jahren im Einsatz hat, zahlt hierfür bei 16.000 Nutzern landesweit nach Angaben des stellvertretenden Projektleiters im Finanzministerium Eckard Lau erheblich weniger. Lau sagte, die Investitionskosten für das gesamte System, Schulung, die gesamte Hard- und Software sowie Netzinfrastruktur habe das Land Niedersachsen seit 1997 rund 140 Millionen Euro gekostet. Nur vierzehn Prozent hiervon fielen für den Softwarelieferanten ab. Pro Jahr muss das Land Niedersachen zudem 24 Millionen Euro an Kosten für den laufenden Betrieb in die Bücher einstellen. (jm)