Kolumne

Neue Demokraten braucht das Land

06.02.2007

Kennen Sie Artikel 20 des Grundgesetzes? Dort ist etwa in Absatz 4 zu lesen: "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung (Anmerk. d. Red.: gemeint ist die freiheitlich demokratische Grundordnung) zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." Diese Ordnung beinhaltet auch, wie das Bundesverfassungsgericht 1983 im Volkszählungsurteil feststellte, ein Grundrecht auf ein informationelles Selbstbestimmungsrecht des Bürgers. Weiter konkretisierte das Gericht, die "freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus". Einschränkungen muss der Einzelne lediglich im Rahmen des überwiegenden Allgemeininteresses hinnehmen.

Diese Bestimmungen führen zu der Frage, ob die Politik nicht dabei ist, diese Ordnung zu beseitigen? Vorstöße wie Vorratsdatenspeicherung, der aktuell diskutierte Bundestrojaner zur heimlichen Online-Durchsuchung von PCs, die Erfassung aller Kfz-Kennzeichen unter den Tollcollect-Mautbrücken (vorerst nur zur Abrechnung), die im Vertrag von Prüm vereinbarte Weitergabe persönlicher Daten an andere EU-Staaten ohne rechtsstaatliche Kontrolle, legen ein Ja als Antwort nahe. Mit den jüngsten Überwachungsplänen werden alle Bürger unter Generalverdacht gestellt. Jeder ist ein potenzieller Täter - selbst in Zeiten der Terrorbekämpfung dürfte sich diese extreme Sicht kaum mit den Vorstellungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung decken.

Allerdings wäre es zu einfach, nur die Politiker an den Pranger zu stellen. Bürger und Wirtschaft müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie dem Staat nicht durch ihr tägliches Handeln allzu leichtfertig signalisieren, dass sie auf ihre verbrieften Grundrechte pfeifen. Auf der Jagd nach zwei Cent-Gadgets, die im Rahmen der Kundenbindungsprogramme angepriesen werden, sind die Bürger tagtäglich bereit, beim Einkaufen einen Daten-Striptease zu vollführen. Die Signale aus der Wirtschaft sind auch nicht ermutigender, wenn die Verbände in Sachen Überwachung nur über die drohende Kostenlawine jammern. Oder die Musik- und Filmindustrie, der im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung nur die Frage auf den Nägeln brennt, ob sie auch auf diese Daten zugreifen darf, um endlich 15-jährige Raubkopierer verfolgen zu können.

Verhaltensmuster, die unverständlich sind, denn es ist längst fünf vor zwölf. "Diejenigen, die ihre Freiheit zugunsten der Sicherheit aufgeben, werden am Ende keines von beiden haben", hat Benjamin Franklin gesagt. Dem ist nichts hinzuzufügen.