Zukünftige Potentiale der Sprachkommunikation, Teil 1:

Neue BK-Anwendungen rütteln am Postmonopol

26.08.1988

Das Stichwort "Value Added Services" oder kurz "VAS" skizziert einen Markt, der sich in Aufbruchstimmung befindet. Gemeint sind in der Regel allerdings meist Datenkommunikations-orientierte Dienstleistungen. Dirk Nouvortne und Reiner Pliefke* zeigen in einer dreiteiligen Folge auf, daß auch dem Bereich Sprachkommunikation VAS-Potentiale innewohnen. Ausgehend vom Thema "Dokument" beschäftigen sie sich im ersten Teil mehr grundsätzlich mit der sich abzeichnenden Integration der Kommunikationsformen, im zweiten und dritten Teil stehen "Centrex-Systeme" und "PABX- Networking" als mögliche VAS-Nutzungen im Mittelpunkt.

*Dirk Nouvortne ist Leiter "Bürokommunikation" im Bereich "Datenverarbeitung und Arbeitsverfahren", Reiner Pliefke ist Gruppenleiter "Nachrichtentechnik" im Bereich "Betriebsverwaltung" beim Gerling-Konzern in Köln.

Die Entwicklung der Telekommunikation in Deutschland und ihre Bedeutung für die Volkswirtschaft hängt nicht unwesentlich von der Entwicklung der Öffnung der Deutschen Bundespost ab. Besondere Impulse hat diese Thematik durch den Bericht der Regierungskommission für Fernmeldewesen sowie das Grünbuch der EG-Kommission bekommen, die in ihren Grundaussagen auf eine Liberalisierung des Fernmeldewesens hin drängen. Ziel ist die Zulassung eines Wettbewerbsspielraumes im Bereich der Telekommunikation sowohl was Dienste, Endgeräte und bedingt auch die Netze angeht.

Hinsichtlich der Dienste konzediert der Bericht der Regierungskommission den bundesdeutschen Verhältnissen bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen relativ großen Spielraum zu. Anbieter von "Value Added Services" (VAS) gibt es bereits in respektabler Menge, wobei Mailbox-Services und externe Informationsanbieter am Markt dominieren - obwohl allgemein festgestellt wird, daß im Vergleich zum Ausland (insbesondere USA, Großbritannien und Japan) die Nutzung dieser Services noch der Entwicklung hinterherhinkt.

Neben diesen mehr Datenkommunikations-orientierten VAS spielen VAS auf dem Sektor der Sprachkommunikation noch kaum eine Rolle. Dies ist ordnungspolitisch in Deutschland auch nicht gewollt. Auch die Empfehlungen der Regierungskommission zielen (scheinbar) in Richtung Aufrechterhaltung des Telefonmonopols. Mit der weiteren Durchdringung von Sprachleistungsmerkmalen sowie den immer unklareren Grenzen zwischen Sprach-, Daten-, Text- und Bildkommunikation ist der reine Monopolcharakter, der der Sprachkommunikation zugeordnet wird, auf Dauer nicht mehr aufrechtzuerhalten. Durch die Digitalisierung von Sprache im ISDN einerseits und das Fortschreiten der Speichertechnologie mit ihren immer leistungsfähigeren Speichermedien andererseits - wie den optischen Speichern - wird die Sprachimmer mehr zur Datenverarbeitung.

Die Integration der Kommunikationsformen Daten, Sprache, Text und Bild läßt sich unter Anwendungsaspekten besonders deutlich an dem Begriff des Dokuments verdeutlichen. Gemeinhin wird mit einem Dokument ein Blatt Papier beziehungsweise ein Ausdruck assoziiert, der sich aus Text- und Datenkomponenten zusammensetzt. Mit der DV-spezifischen Anwendung von Computertextverarbeitung und dem technologischen Fortschritt bei den Speichermedien (Bildplatte, CD-ROMS) wird der Begriff des Dokuments durch den Einbezug von Faksimile-Bestandteilen qualitativ angereichert.

Durch die Digitalisierung von Sprache besteht zukünftig darüber hinaus die Möglichkeit, die Anwendung "Voice annotation" - die "Sprechblase" in der Datenbank - zu realisieren. Elektronisch gespeicherte Dokumente, wie Verträge, lassen sich so mit verbalen Erläuterungen versehen, die als Dokumentbestandteil aufzufassen sind.

Das Szenario des Dokument-Entwicklungsrahmens läßt sich durchaus auch auf die Bewegtbildverarbeitung und -kommunikation ausweiten. Als potentielle Anwendung, die zugegebenermaßen flächendeckend erst im nächsten Jahrtausend realistisch ist, ist das Bewegtbilddokument zu sehen. Voraussetzung hierfür ist das IBFN - das integrierte Breitbandfernmeldenetz. Als eine beispielhafte Nutzung dieses Dienstes ist etwa der Versand von Videoclips zu informatorischen oder akquisitorischen Zwecken - etwa via electronic mail auf Basis international standardisierter Protokolle X.400 ff - zu sehen. Mit der Dokumentstandardisierung ODA/ODIF, die bereits heute von ihrer Auslegung her Bild- und Sprachbestandteile berücksichtigt, läßt sich eine derartige Anwendung durchaus realisieren.

Auf Basis dieser prognostizierten Anwendungsentwicklung im Bereich der Bürokommunikation ist eine klare Abgrenzung zwischen den vier Kommunikationsarten auf Dauer nicht mehr haltbar - und damit auch die Forderung nach einer permanenten Monopolstellung des Sprachkommunikationsangebots der Deutschen Bundespost.

Bereits heute lassen sich im Bereich der Sprachkommunikation zwei Value Added Services absehen: "Centrex-Systeme" und "PABX-Networking".

(wird fortgesetzt)