Netzwerk-Konzepte: "Drum prüfe, wer sich ewig bindet"

16.12.1977

Dem Anwender wird es scheinbar leicht gemacht: Im neuen Jahr kann er unter insgesamt neun angebotenen Netzwerk-Konzepten wählen, - es ist für jeden etwas dabei. Wer sich heute noch nicht für "Distributed Processing" entschieden hat, wird dem Schlagwort der Zukunft sicher bald folgen. Die Frage ist nur, ob diese offensichtliche "Euphorie" nicht die Konsequenzen überdeckt, mit denen der Benutzer sich hinterher auseinanderzusetzen hat. Dazu Sarbinowski, DFÜ-Spezialist bei der GMD in Darmstadt: "Netzwerk-Konzepte, wie sie heute angeboten werden, bringen dem Anwender vor allem eines: Langfristige Herstellerbindung. Ist es heute schon nicht leicht , ein System gegen das eines anderen Herstellers auszuwechseln, wird das künftig bei Einsatz eines kompletten Netzwerk-Konzeptes schier unmöglich sein. "

Sein Rat für 1978: Die Ins Haus stehenden Angebote der Bundespost beobachten und weiter auf Kompatibilität drängen CW fragte drei Netzwerk-Erfahrene nach, Ihrer Vorgehensweise . hö

Günter Rogozik, Leiter der Hauptabteilung Datenverarbeitung und Internes Informationswesen der Firma FAG Kugelfischer Georg Schäfer und Co., Schweinfurt

Das Stammwerk der FAG Kugelfischer und die Hauptverwaltung des Unternehmens sind in Schweinfurt ansässig. Zum Unternehmen gehört eine Vielzahl von inländischen und ausländischen Tochtergesellschaften, die teils in Form von Fertigungsbetrieben und teils in Form von Vertriebsgesellschaften fungieren. Das Unternehmen sah sieh bereits frühzeitig vor die Notwendigkeit gestellt die Datenverarbeitung zur Unterstützung der zwischenbetriebahen Kommunikation und Kooperation einzusetzen.

Seit Mitte der 60er Jahre nutzen die Fertigungs-, Entwicklungs- und Beratungsingenieure in der Vertriebsorganisation die in Schweinfurt erarbeiteten und gepflegten Programme für die Berechnung von Wälzlagern. Wenn es darum geht, für eine Einbaustelle das richtige Wälzlager zu finden, um zu erreichen, daß Sicherheit und Wirtschaftlichkeit in einem vernünftigen Verhältnis stehen, wenn zudem ein günstiger Kraftfluß erreicht werden soll, damit Reibung Temperatur und Verschleiß niedrig bleiben - dann hilft in vielen Fällen der Computer. Die weltweite Zusammenarbeit wird durch das internationale Timesharing-Netz der Honeywell Information Systems ermöglicht, in das von Schweinfurt aus Programme eingegeben werden, die von jedem Timesharing-Terminal - also auch von unser entsprechend ausgerüsteten Kunden - abgerufen werden können. Daneben unterhält FAG Kugelfischer insbesondere für die technischen Abteilungen und die Programmentwicklung im Dialog ein innerbetriebliches Timesharing-Netz.

Seit Mitte der 70er Jahre wird die Dialog-Verarbeitung verstärkt für die Unterstützung von dispositiven Funktionen in Vertrieb und Fertigung im Hauptwerk Schweinfurt eingesetzt. Da zeitabhängige Abläufe mit EDV im Stapelbetrieb nicht immer in zufriedenstellender Form zu verwirklichen sind war Voraussetzung, daß hierfür eine funktionierende Dialogverarbeitung aufgebaut wurde. IDS (Integrated Data Store) als Datenbanksystem und TDS (Transaction Driven System) als Betriebssoftware haben sich bei uns. inzwischen bewährt.

Die Rezession der vergangener Jahre und insbesondere die Wettbewerbssituation auf dem WälzIagermarkt zwangen uns zu verstärkten Rationalisierungsmaßnahmen. Die mit eigenen Rechenzentren ausgerüsteten deutschen Fertigungsgesellschaften wurden auch verwaltungsmäßig an die Schweinfurter Zentrale angegliedert. Das führte zur Auflösung von eigenen Rechenzentren und Übergang zum Terminalbetrieb. Die Lösung der damit zusammenhängenden Probleme setzte das Vorhandensein und Funktionieren von DFÜ-Hard- und Software voraus. Das Vorschaltrechnerkonzept des Systems 6000 von Honeywell Bull gestattet uns weitgehende Freizügigkeit in der Ausgestaltung des DFÜ-Netzes. Die eingesetzten modularen Software-Komponenten GRTS (General Remote Terminal Supervisor) als Vorschaltrechner und die DFÜ-Prozeduren VIP (Visual Information Projection), BSC (Binary Synchronous Communication), TTY (Teletype Procedure), RC 115 (Remote Communication für HB Serie 115) sind daher für uns keine kritischen Themen mehr. Auch der Einsatz verschiedener Terminals anderer Hersteller kann mit vorhandenen Prozeduren problemlos praktiziert werden.

Wir sind nicht so vermessen zu behaupten, daß wir schon alle Pionierarbeit zur Verwirklichung eines kompletten Netzwerkes geleistet haben. Die nächsten Jahre werden uns schrittweise der Verwirklichung näherbringen. Wir können uns auf die Lösung der anwendungsspezifischen Probleme konzentrieren - die notwendigen lnstrumentarien Hardware und Betriebssysteme als notwendige Voraussetzungen sind vorhanden.

Wolfgang Wissing, Leiter des Instituts für automatisierte Datenverarbeitung, Stadtverwaltung Düsseldorf

Die in der Zentralisierung von Verwaltungsabläufen liegenden Nachteile wurden bei der Stadtverwaltung Düsseldorf schon sehr früh erkannt. Seit Anfang 1970 wurden Methoden der Dezentralisierung von Zuarbeiten zur zentralen Datenverarbeitung, so zum Beispiel Eingabe mit Plausibilitätskontrollen erprobt und die Auskunftsbereitschaft verschiedener Fachbereiche durch Einsatz von Bildschirmen und Druckern vor Ort hergestellt.

Bereits bei der Installation einer Remote-Job-Entry-Station für ein neues Verwaltungsgebäude, in dem ein Teil der technischen Ämter untergebracht wurde, zeigte sich deutlich, daß der Datenverarbeitungsmarkt auf die zunehmenden Benutzeranforderungen weder in Hardware noch in Software eingestellt war. Entscheidende Nachteile aus unserer Sicht ergaben sich aus einer gewissen Inkompatibilität der auf Einzellösungen abgestellten TP-Steuerungen oder Ein- und Ausgabe-Formate bzw. Übertragungsmodalitäten. Mehrfachlössungen begannen die Zentralanlage unangemessen zu belasten. Es gab Performance-Probleme und Fehlerquellen, bei denen die Aufklärung wegen der gelegentlichen Abhängigkeiten aus dem laufenden Betrieb äußerst schwierig war.

Die Forderung der Benutzer an die Hersteller maßte daher lauten: Die unterschiedlichen anwendungsbezogenen Software-Produkte zu vereinheitlichen. Es sollte zudem erreicht werden, daß die Zentraleinheit von Teilen der TP-Steuerung entlastet wird und das Leitungsnetz durch Mehrfachnutzung auch von verschiedenen Endstellen mit unterschiedlichen Hardware-Ausstattungen besser ausgelastet wird. Diese Forderungen sind von den Herstellern erkannt und werden - hoffentlich - durch entsprechende Systementwicklungen erfüllt. Das SNA-Ronzept jedenfalls scheint nach unserer Auffassung ein wesentlicher Schritt in Richtung auf eine Dezentralisierung auch unter Wirtschaftlichkeits-Aspekten zu sein. Es wäre wünschenswert, wenn diese Konzepte auch auf die heutigen Sicherheitsbedürfnisse in der Datenverarbeitung abgestellt würden.

Dr. Hans-Christian Zedlitz, Computer Systems Manager, Akzo Pharma, Oss/Niederlande

Technisch ist eine Substitution des von uns benutzten Großrechners durch Minicomputer möglich. Nur, was technisch möglich ist, muß für den Anwender noch lange nicht wirtschaftlich sein. Außerdem erleben wir schon jetzt - und in absehbarer Zukunft noch intensiver - , daß unsere Großrechner eigentlich eine Batterie von Minicomputern sind. Denken Sie zum Beispiel an die Massenspeicher-Systeme von IBM. Hier steuert ein Minicomputer den Massenspeicher. Hingegen ist mir kein durch einen "Stand-alone"-Minirechner direkt im Zugriff stehender Speicherplatz bekannt, der es p mit dem am Markt befindlichen, an Großrechner angeschlossenen Massenspeicher-Systemen kostenmäßig aufnehmen könnte. Die vollständige Substitution von Großrechnern durch Minicomputer, wie sie heute in einigen Fällen durch die Fachpresse Ansehen erfährt erscheint mir eher als der konkrete Niederschlag eines übertriebenen Emanzipationsstrebens technisch orientierter EDVGruppen als eine den Unternehmenszielen untergeordnete DV-Strategie.

Deutlich aber ist, daß Minicomputer sowie Mikrocomputer aus ökonomischen und technischen Aspekten neue Anwendungsmöglichkeiten erschlossen haben und noch erschließen werden.

Allerdings hat hier der "Soft waredollar" gegenüber dem "Hardwaredollar" ein gewichtiges Wort mitzusprechen. Der Stand der Dinge heute aber ist daß wir unser eigenes Mikro computersystem haben bauen lassen müssen and die Software selbst entwickelt haben. Programmierkosten für diese Medien folgen leider noch nicht der Miniaturisierung. Der zusätzlichen Anwendungsmöglichkeiten durch den Einsatz von Minis und Mikros sind wir uns schon seit Jahren bewußt und tragen dem bei der Entwicklung neuer Applikationen Rechnung. Unser Rückgrat dabei ist eine Hardware-Policy, die einer Datenfluß-Strategie folgt. Diese wiederum ist der Organisations und damit Kommunikations-Strategie unseres Unternehmens untergeordnet. Jedem Hardwareglied in dieser Datenflußlandschaft sind bestimmte Funktionen zugeordnet. Ein Anforderungsprofil ergänzt diese Funktionsbeschreibung hinsichtlich Kommunikationsprotokoll, organisatorische und Sicherheits- Maßnahmen, erforderliche "skills" für Unterhalt und Bedienung. Damit wollen wir verhindern, daß komplexe Datensammlungen da erfolgen, wo sie die Software noch nicht beherrschen kann und/oder wohin die nötige Kompetenz zu ihrer Verwaltung organisatorisch nicht delegiert wurde und/oder wo wir Schnittstellenprobleme vermeiden wollen. Zum zweiten wollen wir das Entstehen kleiner ADV-Gruppen rund um diese distribuierte Intelligenz aus ökonomischen sowie risikopolitischen und sozialen Gründen aussehließen. Zum dritten müssen wir Auflagen des Gesetzgebers (Datenschutz) sowie anderer Instanzen (Federal Drug Administration) optimal Genüge leisten können. Diese erfordern aber Transparenz und Kontrolle des Datenflusses. Schließlich wollen wir uns nicht den Übergang vom Datenfluß zum Kommunikationsfluß wie Koppelung mit Text-, Bild- und Sprachtransport, -speicherung und -verarbeitung aus pragmatischer Kurzsichtigkeit erschweren.

Eine solche Entwicklungsstrategie haben wir erarbeitet. Im Rahmen einer revolvierenden Planung wird diese schrittweise realisiert. Die Planung ist dabei integraler Bestandteil der Unternehmensplanung, um unserer Hauptaufgabe, dem Unternehmenserfolg, so effektiv wie möglich nachzukommen. Gleichzeitig verschafft uns ein Kontrollsystem das nötige "Feedback" für Verbesserungen.

Konkret entwickelt sich dabei unser Kapazitätsbedarf per Medium und Jahr im Schnitt wie folgt:

Großrechner-Kapazität: 10 Prozent p. a.

Großraumspeicher-Kapazität: 40 Prozent p. a

Minirechner-Kapazität: 100 Prozent p. a.

Mikrorechner-Kapazität: 100 Prozent p. a.

Unsere Hauptzuwachsraten liegen in den kommenden drei bis fünf Jahren; bei den Minis und Micros, gepaart mit einer respektablen Zunahme zentraler Massenspeicherkapazität. Terminals die mit Minis sprechen, haben dabei auch Zugang zu ihrer zentralen Daten. Dies unterstreicht, daß jedes neue technische Medium in unserer Organisation seine sinnvolle Verwendung zugewiesen bekommen sollte, Substitutionen erscheinen mir dabei generell unsinnig. Allderings erscheint mir eine Netzwerksteuerung durch einen Großrechner ("host-controlled networks") ebenso unsinnig, da diesen von ihren Architekten die Funktionen der Kommunikationssteuerung nicht mitgegeben wurde und Verkaufsargumente dieses Manko nicht zudecken können. Hier gilt es, durch eine wirtschaftlich vertretbare Vorab-Analyse eine dann notwendige Substitution der Großrechner durch Minicomputer von vornherein auszuschließen.