Welcher Standardisierungsgrad ist erreicht?

Netzwerk-Inkompatibilität durch Emulation aufbrechen

23.02.1979

ESSEN (CW) - Interface-Emulatoren, die die Verknüpfung von Netzknoten jeglicher Systemzugehörigkeit erlauben, stellen für Albin L. Ockl, Unternehmensberater aus Velbert, die Lösung der vorherrschenden Netzwerk-Inkompatibilität dar. Ockl, der sich auf dem Essener Online-V-Kongreß mit dem bisher erreichten Standardisierungsgrad der Architektur von Datenkommunikationssystemen und den Anforderungen, die an offene Systeme zu stellen sind, auseinandersetzte, ersparte den 250 Zuhörern Mutmaßungen über die Gründe, die zur Entwicklung herstellerspezifischer - und damit regelmäßig inkompatibler - Netzwerke geführt haben.

Besondere Aufmerksamkeit widmete Ockl der Protokollebene 6 (Darstellungsprotokoll) einer normierten Netzwerkarchitektur und der hier über virtuelle Terminal- und Dateiprotokolle gesteuerten Kommunikation. Die Entwicklung virtueller Dateiprotokolle ist - so Ockl - noch rückständig. Hier seine Ausführungen zum Thema Netzwerkarchitektur.

Seit einigen Jahren sind verstärkte Bemühungen im Gange, die Verbindungsmöglichkeiten zwischen Geräten und Systemen verschiedener Hersteller zum Zwecke der Datenkommunikation zu verbessern. Voraussetzung dafür sind normierte Schnittstellen zwischen den Komponenten eines Datenkommunikationssystems, zwischen

- den Datenendeinrichtungen, die von EDV-Herstellern geliefert werden und

- den Datentransporteinrichtungen der nationalen Postgesellschaften.

Derartige Datenend- und Datentransporteinrichtungen erlauben den Endbenutzern eine uneingeschränkte Kommunikation. Die Datenendeinrichtungen haben mithin folgende Anforderungen zu erfüllen:

- Anpassung an normierte Schnittstellen zu den postalischen Datentransporteinrichtungen. Zu diesem Zweck wurden unter Initiative von CCITT (Comité Consultativ International Téléphonique et Telegraphique) und unter Mitwirkung der EDV-Hersteller Normen der V- und der X-Serie erarbeitet.

- Durchführung einer "End-zu-End"-Transportsteuerung, um sicherzustellen, daß die übertragenden Nachrichten den richtigen Weg durch das Transportsystem nehmen.

- Anpassung an die kommunizierenden Endbenutzer (Anwendungsprogramme, Terminals). Zu diesem Zweck werden Protokolle (protocols) und Sprachen (languages) festgelegt, die von den Endbenutzern in ähnlicher Art und Weise anzuwenden sind wie bei Telefongesprächen. Telefonierende Personen müssen sich über die Sprache einig sein, in der sie miteinander kommunizieren wollen, unabhängig vom Telefonnetzwerk.

Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben wurden von den EDV-Herstellern Systemarchitekturen entwickelt, die auf einer Ebenenstruktur (layered structure) basieren. Leider sind diese herstellerspezifischen Systemarchitekturen in der Regel inkompatibel zueinander.

Seit März 1977 ist bei ISO (International Organization for Standardization) eine Arbeitsgruppe (ISO/TC 97/SC 16) tätig, um die Protokolle und Sprachen für die Kommunikation zwischen den Endbenutzern in Datenkommunikationssystemen zu standardisieren. Auf diesen standardisierten Protokollen und Sprachen wird die sogenannte "Open Systems Interconnection" basieren. Die Entwicklung "offener Systeme" erfordert die Zusammenarbeit a)der Benutzer offener Systeme, um anwendungsbezogene Aspekte in ausreichendem Maße zu berücksichtigen, b) der Postgesellschaften als Anbieter öffentlicher Datentransportdienste sowie O der EDV-Hersteller, um normierte Schnittstellen, Protokolle und Sprachen in ihren Geräten und Systemen zu implementieren.

Offene Systeme werden für den Entwicklungsfortschritt der Datenkommunikation große Bedeutung erlangen. Die Normierungsarbeiten zu offenen Systemen haben bei den Ebenenmodellen herstellerspezifischer Netzwerkkonzepte ihren Ausgang genommen. Im folgenden sollen wichtige Begriffe aus modernen Netzwerkkonzepten der Datenkommunikation erläutert werden.

Ein "Netzwerk" (network) zur Datenkommunikation umfaßt nicht nur alle Übertragungsleitungen und alle Übertragungseinrichtungen, sondern auch alle steuernden Betriebsmittel, die erforderlich sind, um eine Nachricht von einem Endbenutzer zu einem anderen Endbenutzer auf wirtschaftliche und sichere Weise zu übertragen. Als Endbenutzer (enduser), die miteinander kommunizieren, können die Terminals (Bildschirmendgerät, Druckerendgerät) oder die Verarbeitungsprogramme betrachtet werden.

Jeder Endbenutzer hat Steuer- und Transportfunktionen zu erfüllen, um mit anderen Endbenutzern eines Netzwerks kommunizieren zu können. Die Steuer- und Transportfunktionen können auf Moduln logischer "Ebenen" (layers) mit hierarchischer Zuordnung aufgeteilt werden (Bild 2). Man spricht daher auch von Ebenenmodellen der Netzwerkkonzepte. Die Abgrenzung der Funktionen einer Ebene ist so durchgeführt beziehungsweise so durchzuführen, daß minimale Abhängigkeiten zwischen den Modulen unterschiedlicher Ebenen bestehen. Dies ermöglicht den Austausch oder die Änderung von Moduln einer Ebene, ohne die Moduln anderer Ebenen ändern zu müssen.

Die Steuer- und Transportebenen eines Endbenutzers haben einen hierarchischen Aufbau. In einer Ebene sind die von der überlagerten Ebene erhaltenen Daten als Nutzdaten zu behandeln, die inhaltlich nicht ausgewertet, sondern zum Zwecke der Weiterleitung durch untergeordnete Ebenen mit Steuerinformationen umgeben werden.

Die Moduln jeder Ebene erfüllen spezifische Steuer- und Transportfunktionen, indem sie der übergeordneten Ebene spezifische, "Dienste" (services) zur Verfügung stellen, unter Ausnutzung der Dienste der untergeordneten Ebene. Dementsprechend gibt es für jede Ebene eine dienstanfordernde Seite (übergeordnete Ebene) und eine dienstbringende Seite (untergeordnete Ebene).

Die Moduln derselben Ebene zweier Netzknoten kommunizieren miteinander entsprechend einem Protokoll (protocol). Das Protokoll enthält die Regeln für den Informationsaustausch innerhalb einer Ebene; es beschreibt Formate, Inhalte, Folgeregeln für den Informationsaustausch zwischen paarigen Moduln derselben Ebene in verschiedenen Netzknoten.

Manchmal wird für das Zusammenspiel zwischen zwei Ebenen von unterschiedlichem Rang (dienstanfordernde Seite der höheren Ebene und diensterbringende Seite der untergeordneten Ebene) auch der Ausdruck "Dienstprotokoll" verwendet. Man sollte, um Mißverständnissen entgegenzuwirken, diesen Ausdruck vermeiden.

Leider sind die herstellerspezifischen Netzwerkkonzepte in der Regel nicht kompatibel zueinander. "Interface-Emulatoren" sind erforderlich, um einen Informationsaustausch zwischen Netzknoten verschiedener Netzwerkkonzepte zu realisieren. Interface-Emulatoren werden rasch an Bedeutung gewinnen, solange offene Systeme nur in der Theorie existieren. Es ist nicht auszuschließen, daß in Zukunft Interface-Emulatoren oder wesentliche Emulatorteile als OEM-Produkte auf Mikroprozessor-Basis erhältlich sein werden.

Die Ebenenstruktur der herstellerspezifischen Netzwerkkonzepte bildet die Ausgangsbasis für die normierte Festlegung der Netzwerkebenen in offenen Systemen. Breite Zustimmung hat das in Bild 2 skizzierte Ebenenmodell gefunden. Entsprechend dieser Darstellung werden die von den einzelnen Ebenen erbrachten Dienste gruppiert in: a) Zugriffsdienste (access services) der Ebenen

- Anwendungssteuerung (application control),

- Darstellungssteuerung (presentation control),

b)Transportdienste (transport services) der Ebenen

- Ende/Ende-Transportsteuerung (end-to-end transport control),

- Netzwerksteuerung (network control),

- Steuerung des Übermittlungsabschnitts (link control),

- Physikalische Steuerung (physical control).

Durch die Datenpaketvermittlung (packet switching) gemäß CCITT/X.25 werden die 3 unteren Ebenen und deren Protokolle festgelegt. Das Protokoll der 3. Ebene - auch Paketebene genannt - ist das Transportprotokoll zum Informationsaustausch zwischen benachbarten Knoten; dies können Anwendungsknoten oder reine Netzsteuerknoten sein. Abgesehen von einer Sequenzkontrolle enthält die Datenpaketvermittlung gemäß X.25 keine Ende/Ende-Transportsteuerung.

Die Protokolle der darüberliegenden Ebenen werden Ende/Ende-Protokolle (end-to-end protocols) der offenen Systeme (Bild 2) genannt, da sie die Regeln für den Informationsaustausch von Endbenutzer bis Endbenutzer enthalten. Die Ende/Ende-Protokolle definieren die Kommunikation zwischen paarigen Transportsteuerungen, Sitzungssteuerungen, Darstellungssteuerungen und Anwendungssteuerungen.

- Sitzungssteuerung (session control); und

Das Ende/Ende-Transportprotokoll der Ebene 4 beschreibt die Kommunikation zwischen paarigen Transportsteuerungen (end-to-end Transport control), die von Benutzern der Transportdienste angesprochen werden. Benutzer der Transportdienste sind die Moduln höherer Steuerebenen: Die Sitzungssteuerung, die Darstellungssteuerung und die Anwendungssteuerung.

Das Sitzungsprotokoll der Ebene 5 (session protocol) regelt die Kommunikation zwischen paarigen Sitzungssteuerungen der Endbenutzer. Eine Sitzung (session) ist eine logische Verbindung zwischen zwei Endbenutzern. Eine Sitzungssteuerung ist verantwortlich für den Aufbau, die laufende Überwachung und den Abbau einer Sitzung. Außerdem sollte über die Sitzungssteuerung ein Kennwortschutz gegen unbefugte Sitzungen möglich sein. Hinzu kommt die Wiederherstellung von Sessions (Restart) nach Fehlern auf den unteren Ebenen.

Das Darstellungsprotokoll (presentation protocol) der Ebene 6 dient dazu, Anwendungsprozesse unabhängig von Terminaleigenschaften und Datendarstellungen zu machen, damit beispielsweise ein Verarbeitungsprogramm mit verschiedenartigen Terminals auf die gleiche Art und Weise kommunizieren kann. In offenen Systemen werden die Darstellungssteuerungen nach virtuellen Terminalprotokollen (VTP) und virtuellen Dateiprotokollen kommunizieren. Virtuelle Terminalprotokolle ermöglichen im Host-Rechner eine abstrakte (virtuelle), geräteunabhängige Darstellungssteuerung, während in der entfernten Darstellungssteuerung eine Umsetzung der virtuellen Gerätefunktionen in reale Gerätefunktionen erfolgt (Bild 3).

Virtuelle Terminalprotokolle beschreiben die Wahrnehmung folgender Funktionen:

- Initialisieren virtueller Terminals;

- Selektion von Terminalparametern;

- Formatkontrolle;

- Datenaustausch und Datenadressierung;

- Abbildung auf Funktionen der realen Terminals;

Virtuelle Terminalprotokolle und virtuelle Dateiprotokolle unterstützen im wesentlichen Datentransformationsfunktionen. Die miteinander kommunizierenden Darstellungssteuerungen müssen sich in einer Abstimmungsphase, in der Terminalparameter zu spezifizieren sind, über die anzuwendenden Transformationsarten einigen. Die Transformationsfunktionen können folgendermaßen gruppiert werden:

a) Unabhängige Datendarstellung: Lokale und geräteabhängige Datenbeschreibungen müssen in abstrakte Datenbeschreibungen übersetzt werden, um ein maschinenunabhängiges Zwischenformat für folgende Datentypen zu erreichen:

- Zeichencodierung,

- Zahlendarstellung,

- Datenelement, -position, -länge, -maßeinheit.

b) Geschützte Datendarstellung: Ver- und Entschlüsseln von Daten zum Zweck der Datensicherheit.

c) Komprimierung/Dekomprimierung zur besseren Ausnutzung der Kommunikationsverbindungen:

-zeichenweise Komprimierung;

-Wörterbuchtechniken, bei denen häufig vorkommende Textteile durch Komprimierungsabkürzungen während der Übertragung ersetzt werden.

Die Entwicklung virtueller Terminalprotokolle ist wesentlich weiter vorangeschritten als die Entwicklung virtueller Dateiprotokolle. Bekannte Entwürfe virtueller Terminalprotokolle sind:

- DEVT (Data Entry Virtual Protocol) für das Datennetz EURONET;

- VDP (Virtual Device Protocol) von den Firmen CII-Honeywell Bull, ICL, Siemens zur Steuerung von zeilen- und seitenorientierten Terminals;

- PIX-VTP: Virtuelles Terminalprotokoll für das Datennetz PIX.

Auch die Anwendungsprotokolle (application protocols) der Ebene 7 (Bild 2) sind teilweise standardisierbar, wie etwa Protokolle für RJE (Remote Job Entry), Elektronische Post, bargeldlosen Zahlungsverkehr etc. In vielen anderen Fällen werden aber Anwendungsprotokolle auf eine ganz bestimmte Benutzungsart zugeschnitten sein.