Anwender behandeln das Thema stiefmütterlich

Netzwartung: Das Geschäft mit der Angst vor dem GAU

30.01.1998

Bei der Hotline klingelt das Telefon. Der Servicemitarbeiter erfragt einige Details zum Störungsfall und leitet diese, eventuell schon mit Reparaturvorschlägen versehen, an den zuständigen Techniker weiter. Der aktiviert seinen Laptop und wählt sich ins Netz des Kunden ein. So einfach könnte die Fehlerbehebung sein. Rund 90 Prozent aller Fehler lassen sich via Fernwartung aufspüren. Hat der Techniker die Fehlerursache diagnostiziert, veranlaßt er die Lieferung der nötigen Ersatzteile.

Allerdings setzt das Beispiel die Wartung des Netzes durch einen externen Dienstleister voraus. Der sollte neben Hotline und remoter Diagnose die Möglichkeit bieten, innerhalb einer bestimmten Zeit einen Techniker vor Ort zu haben und Ersatzteile zu liefern. Die Bezahlung richtet sich nach Zeitaufwand, vereinbarter Reaktionszeit und der Netzgröße. Ob dem Kunden eine Überwachung auf Fehler genügt oder er regelmäßige Reports und Verbesserungsvorschläge erwartet, ist eine Frage des Geldes.

"Die Verträge sind individuell auf die Kundenwünsche zugeschnitten", erläutert Lothar Sukstorf, Assistent der Geschäftsführung bei der NSG Netzwerk-Service GmbH aus München. Je nachdem, ob ein Netzausfall eine Fertigungsstraße zum Stillstand bringe oder nur einen Sachbearbeiter für eine Weile von der Arbeit abhalte, müsse die Reaktionszeit gewählt werden. Von einer Art Notfallhilfe bis zu einem "Rundum-sorglos-Paket" ist alles drin - allerdings kann dann der Preis schwindelnde Höhen erreichen, im Extremfall sogar im Millionen-Bereich liegen.

Offensichtlich finden sich vereinzelt Anwender, die bereit sind, tief in die Tasche zu greifen, denn Netzwartung ist immer auch ein Geschäft mit der Angst. Kaum ein Unternehmen kann es sich leisten, daß das Netz stillsteht, da sonst Produktionsausfälle drohen. Ein Zusammenbruch des kompletten Netzes kommt zwar selten vor, hat aber eine große Wirkung.

"In einem solchen Horrorszenario läßt sich die Fehlerquelle meist schnell finden", berichtet Udo Kriebel, Systemingenieur bei NSG. Die Ursache ist oft banal: ein Stromausfall, Kabelbruch oder Versagen eines Switches.

Größere Schwierigkeiten bereiten häufig sporadisch auftretende Fehler, weil diese zum Teil ein falsch ausgelegtes Netz als Ursache haben. Beispielsweise, wenn ein Netzbetreuer seine 10-Mbit/s-Ethernet-Verbindungen durch Fast Ethernet ersetzt. Hinterher kann er sein blaues Wunder erleben, falls etwa die Festplatte eines Servers einen weiteren Flaschenhals darstellt und den Löwenanteil des erhofften Geschwindigkeitszuwachses auffrißt.

Gelegentlich kommt es zu kuriosen Zwischenfällen: So brach bei einem Kunden von NSG immer um die Mittagszeit das Netz zusammen. Die Firmenvertreter untersuchten das Netz mit einem Sniffer (siehe Kasten "Tools zur Netzwartung") und beobachteten folgendes Phänomen: Wenn die Mitarbeiter zum Mittagessen gingen, wurden nach einigen Minuten auf allen PCs Bildschirmschoner aus dem Netz geladen. Nachdem diese deinstalliert worden waren, traten keine Probleme mehr auf.

Dienstleister wie NSG wünschen sich natürlich möglichst viele Kunden, die ihre Netzwartung komplett auslagern. Sie argumentieren, der Wettbewerb zwischen den Service-Anbietern schaffe bessere Qualität, als wenn eine DV-Abteilung sich hin und wieder damit beschäftige. Ein teilweises Outsourcing bringe nur Abstimmungsprobleme zwischen der DV-Abteilung des Kunden und dem Dienstleister mit sich.

An der Outsourcing-Frage scheiden sich jedoch die Geister: Manche DV-Verantwortlichen scheuen sich, jemanden von außerhalb der Firma an ihr Netz zu lassen. Anwender, die über einen Wartungsvertrag verfügen, sind nicht immer glücklich damit. So zum Beispiel Georg Reisacher, Netz- und Systemadministrator am Goethe-Institut in Augsburg. Das Institut hat mit seinem Dienstleister eine Reaktionszeit von vier Stunden vereinbart. "Aber meist haben wir den Fehler schon gefunden, ehe die eingreifen", schildert Reisacher seine Erfahrungen.

Heiko Rössel, Mitinhaber des Ingenieurbüros Röwaplan in Abtsgmünd bei Aalen empfiehlt zur eigenen Vorsorge, SNMP (billig) und RMON (teuer) als Grundausrüstung selbst parat zu haben. Ansonsten sei es sinnvoll, sich punktuell Expertenwissen von außen zuzukaufen. "Häufig greifen Wartungsverträge nicht, wenn man sie braucht", mahnt Rössel. Deshalb solle man auf die Abstimmung mit den betrieblichen Anforderungen besonderes Augenmerk richten und klären, was wie lange ausfallen darf.

Defizite attestieren Dienstleister und Berater den Benutzern vor allem in Sachen Planung und Überwachung. Wer das Glück hat, ein Netz (zum Beispiel nach einem Umzug) neu zu planen, kann von vornherein die Performance großzügig auslegen und Redundanzen einbauen. Auf diese Weise spart man sich später viel Ärger. Als wartungsarm gelten insbesondere Netze mit strukturierter Verkabelung. Zur Prophylaxe dient darüber hinaus eine ständige Netzüberwachung. Dabei geht Frank Walther, Geschäftsführer von Synapse Mensch + Netzwerke in Bonn, am weitesten: Er hält eine regelmäßige Protokollanalyse für nötig, "und zwar jeden Tag, aber das macht keiner".

Walther betrachtet Synapse als die "letzte Adresse, die von Verzweifelten angerufen wird". Die Unternehmensberatung ist spezialisiert auf Fehler in höheren Protokollschichten sowie Token Ring, weil es dafür am Markt nur wenige Spezialisten gebe. "In Deutschland ist das Netzwerk-Know-how sehr gering", kritisiert er die fachliche Kompetenz in den Firmen. Er habe es schon erlebt, daß wegen Netzstörungen die Existenz von Unternehmen auf dem Spiel stand.

Tatsächlich scheinen viele DV-Verantwortliche den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, daß bei ihnen selbst schon nichts passieren wird. Dafür spricht unter anderem die geringe Auskunftsbereitschaft zu diesem Thema. Nur hinter vorgehaltener Hand war der eine oder andere bereit, diese Nachlässigkeit zumindest allgemein zu bestätigen. "Viele Firmen betrachten Netzwartung als Feigenblatt. Die Aktionen auf dem Gebiet sind eher halbherzig", klagte ein Abteilungsleiter, der anonym bleiben will.

Auskunftsfreudiger zeigten sich Anwender, die für das Thema schon sensibilisiert sind. Sie setzen in der Regel bereits ein Netz-Management-System ein, zumeist "HP Openview". Reisacher vom Goethe-Institut gibt an, außer der Überwachung durch HP Openview keine regelmäßigen Untersuchungen vorzunehmen. Eine Art TÜV für das Netz, meint er, könne durchaus sinnvoll sein, aber er verfüge weder über die Zeit noch über das Personal, so etwas zu machen. Damit spricht er vielen Kollegen aus der Seele: Auch jedes weitere Tool kostet Einarbeitungsszeit.

Für die meisten Administratoren beginnt die Wartung des Netzes dagegen erst mit dem Auftreten eines Fehlers. Die Gründe für diese Feuerwehr-Mentalität sind vielfältig. "Die meisten haben chaotische, weil unreguliert gewachsene Netze", weiß Kaspar Waldherr, Bereichsleiter Süd/Ost bei NSG. Zudem ist die eigene Unternehmensleitung nicht immer leicht von Investitionen in eine vorausschauende Netzwartung zu überzeugen. Neben den schon genannten Zeit- und Personalproblemen erschwert eine verzweigte, unter Umständen internationale Firmenstruktur die Wartung des Netzes. Mit anderen Worten: Die Anwender sitzen zwischen sämtlichen Stühlen. Sie müssen mit dem Netz leben, wie es ist. Und sie sollen alle Risiken abdecken, aber möglichst kein Geld dafür ausgeben.

Diese Probleme lassen sich nicht aus der Welt schaffen, es gibt aber einige Regeln, auf die man achten sollte. Regelmäßige Reports über die Performance des Netzes, die auch der Firmenleitung zukommen sollten, gehören ebenso dazu wie das Setzen von Prioritäten. Welches Segment soll nach einem Netzausfall als erstes wiederhergestellt werden? Hat die Herstellung Priorität gegenüber der Buchhaltung und dem Vertrieb? Solche Fragen gilt es, vorab zu klären. Ein Unternehmen, das im Gegensatz zu vielen anderen tatsächlich monatliche Reports erstellt, ist Hiserv, die DV-Tochter des Chemieriesen Hoechst.

Zuständigkeiten abgrenzen

Des weiteren sollten die Zuständigkeiten im Wartungsteam klar abgegrenzt sein. "Zum Beispiel braucht man einen Netzadministrator, aber auch Techniker, die Umzüge erledigen und neue Mitarbeiter anbinden", rät Barry Rowan, Senior Vice-President der Fluke Corp., zu einer arbeitsteiligen Organisation. Wolfgang Eiba, Fachgruppenleiter Kommunikationsnetze bei NSG, empfiehlt außerdem, zu "vermeiden, daß jeder am Netz rumwurschteln darf". Nur qualifiziertes Personal solle Änderungen vornehmen dürfen, die Endanwender hätten daran nichts zu suchen. Eine Verknüpfung solcher organisatorischer Maßnahmen mit der ständigen Überwachung des Netzes wäre das Tüpfelchen auf dem i.

Eine immer weiter wachsende Last im Netz kündigt sich nämlich frühzeitig an, noch bevor ernsthafte Probleme auftreten. Netz-Management-Systeme können bei der Überschreitung von Schwellwerten automatisch Alarm auslösen. Rössel von Röwaplan empfiehlt, die Mitarbeiter auf diesem Gebiet zu schulen. Eine solche Investition lohnt sich. Periodische Analysen des Netzes inklusive der Erarbeitung von Verbesserungsvorschlägen würden die Netzwartung und -pflege abrunden.