Netz-Companies schmieden auf der Networld+Interop weitere Allianzen Novell oeffnet seine Netzdienste fuer andere Netzwerkhersteller

13.10.1995

CW-Bericht Juergen Hill

ATLANTA - Hatte sich das Gros der Networking-Companies auf der Networld+Interop (N+I) in Paris noch mit Neuigkeiten zurueckgehalten, so zuendeten die Hersteller auf der gleichnamigen Messe in Atlanta ein wahres Feuerwerk an Neuerscheinungen. Der Schwerpunkt lag dabei bei ATM, ISDN, Switching sowie den schnellen Uebertragungsverfahren im LAN und dem professionellen Internet- Bereich. Zudem nutzten zahlreiche Firmen die N+I, um neue Strategien oder Kooperationen einer breiteren Oeffentlichkeit vorzustellen.

Heissester Diskussionsstoff auf der Messe im amerikanischen Bundesstaat Georgia war die strategische Neubestimmung von Novell. Nachdem die Networking-Company bereits im Umfeld der Unixexpo in New York ihre Abkehr von Unixware bekanntgegeben hatte, spezifizierten die Netzwerker in Atlanta ihre kuenftigen Produktplaene.

Hatte das Unternehmen noch vor einem Jahr auf der N+I unter Hinweis auf Unixware die Entwicklung eines Super-NOS als Verschmelzung von Unix und Netware angekuendigt, so ist davon mittlerweile keine Rede mehr. Kuenftig wollen die Netzwerker weniger als Hersteller von Betriebssystemen, sondern vielmehr als Integrationshaus auftreten, das vom Toaster bis zum Mainframe alle Devices ueber ein einziges kohaerentes Netzwerk verbindet.

"Dies ist eine grosse Sache", so Sheldon Laube, Novells Chief Technology Officer, zur Neuorientierung des Unternehmens, "und wir setzen alles auf diese eine Karte." Der Traum vom Systemintegrator, der ein "Smart Global Network" unterstuetzt, markiert den endgueltigen Bruch mit den Visionen des langjaehrigen Firmenlenkers Ray Noorda, der fuer Novell den zweiten Platz hinter Microsoft erkaempft hatte.

Zwar betonte Noorda ebenfalls jederzeit die Bedeutung der Netze, gleichzeitig war er aber auch bestrebt, seinem Erzrivalen Bill Gates auf den wichtigsten Feldern Paroli zu bieten. Frankenberg dagegen setzt mit dem erneuten Kurswechsel des Unternehmens seine Politik fort, Microsoft in Wettbewerbsbereichen konsequent aus dem Weg zu gehen. Im letzten Jahr ueberliess er der Gates-Company bereits kampflos das Geschaeft mit den Desktop-Betriebssystemen.

Vor dem Hintergrund der Integrationsidee scheint es denn auch nur folgerichtig, dass Novell kuenftig seine Netzdienste wie die Netware Directory Services (NDS) auch fuer andere Plattformen wie Unix, OS/2 oder Windows NT anbieten will. Um diese Vision des Smart Global Network zu verwirklichen, hat Novell in Atlanta eine neue Netzwerk-Solution-Architektur (vgl. Abbildung) vorgestellt.

Das neue Networking-Modell umfasst drei Bereiche: Smart Network Services, das Universal Network Interface sowie den Universal Access. Zu den Smart Network Devices gehoeren Novell zufolge Dienste wie die NDS, die, so die Networking-Company, "das Nervenzentrum eines Netzes sind". Ebenso in den Bereich der Netzwerk-Devices fallen die Netware Connect Services, die Novell noch in diesem Jahr gemeinsam mit AT&T anbieten will. Des weiteren unterstuetzt der Dienst Internet-Verbindungen, um so den Aufbau eines globalen Netzes zu ermoeglichen.

Konsequent weiterentwickelt werden soll in den naechsten Jahren auch das Netzwerk-Betriebssystem Netware. Novells Plan, neudeutsch: Roadmap, sieht alle 18 Monate ein neues Release von Netware mit erweitertem Funktionsumfang vor. Neben den Netware- Core-Diensten wie NDS oder den Netware Advanced File Services (NAFS), Sicherheits-, Druck- und Kommunikationsdiensten gehoeren zu den Smart Devices auch die Netware Extended Services. Hier sind neben Object und Management Services unter anderem Commerce Services vorgesehen, die den elektronischen Handel via Netz ermoeglichen und seine Sicherheit garantieren sollen. Bei den Workgroup Services soll laut Novell kuenftig das eigene Groupwise eine zentrale Rolle spielen.

Den Zugriff auf diese Dienste ermoeglicht im Novell-Modell das Universal Network Interface.

"Net 2000" fungiert quasi als Interface zwischen den Netzwerkdiensten und den darueberliegenden Applikationen. Die Net- 2000-Initiative besteht hauptsaechlich aus einem Satz APIs, die die Entwicklung verteilter Applikationen ermoeglichen und die Core- Dienste von Netware unterstuetzen.

Um den Entwicklern die Arbeit zu erleichtern, ist Net 2000 kompatibel zu gaengigen Programmiersprachen. Dazu unterstuetzt Net 2000 sowohl objekt- wie prozeduralorientierte Programmiermethoden. Zudem werden die Net-2000-Interfaces mit OLE/ Com-Objekten fuer Windows sowie Corba erhaeltlich sein.

Auf Client-Seite sollen die Interfaces fuer die Plattformen Windows 3.1, Windows 95, Windows NT, OS/2, Macintosh, HP-UX und SCO-Unix verfuegbar sein. Als Server-Plattform unterstuetzt die Novell- Initiative Netware, Unixware, HP-UX, SCO-Unix und den Windows-NT- Server. Darueber hinaus, so Novell, entspricht die Initiative dem WOSA-Konzept von Microsoft und unterstuetzt Netzwerkprotokolle wie TCP/IP, SPX/IPX oder ATM.

Zu den Applikationen, die via Net 2000 einen "Universal Access" auf das intelligente Netz der Zukunft haben sollen, gehoeren neben den Netware-Clients unter anderem Information-Browser zum WWW- Zugriff im Internet. Bei der Weiterentwicklung der Browser will Novell dann zwei Ziele verwirklichen: Zum einen die Integration der Browser mit Applikationen und Netzwerk-Clients, zum anderen die Verbindung der Browser mit den geplanten Netware Commerce Services. Auf Applikationsseite ist die Weiterentwicklung von Perfect Office vorgesehen, das im Januar 1996 nach der derzeitigen Planung in einer Windows-95-Variante auf den Markt kommt. Fuer die Zukunft ist dann eine staerkere Anbindung an die Netzdienste geplant. Am Ende der Entwicklung koennte ein Perfect-Office-Server stehen, der die gesamte schriftliche und sprachliche Kommunikation eines Bueros verwaltet.

Ebenfalls auf Applikationsseite angesiedelt sind die Smart Devices. Darunter versteht Novell alle moeglichen Geraete wie Kaffeemaschinen, Drucker, Faxgeraete, Automobile etc., die via Nested Netware, bisher als Nest (Netware Embedded System Technology) bekannt, auf Netzdienste zugreifen koennen und via Netz ansteuerbar sind. Nach Angaben der Networking Company entwickeln bereits Hersteller wie Andover Controls, Canon, Castelle, Cheyenne, Digital Products, Fujitsu, Hewlett-Packard, Intel, Lexmark, Mita, QMS, Ricoh, Seiko-Epson, Tektronix und Xerox entsprechende Produkte. Offiziell unbestaetigten Geruechten zufolge arbeitet auch Mercedes-Benz daran, Nested Netware in seinen Fahrzeugen einzusetzen.

In Sachen Groupwise, ebenfalls eine der Universal-Access- Applikationen, erfuhren in Atlanta am Rande der Networld+Interop die Teilnehmer der Mini-Brainshare mehr. Ihnen gewaehrte das Unternehmen einen Blick auf die naechste Version "Groupwise XTD", die im ersten Quartal 1996 auf den Markt kommen soll. Dieses Release soll die derzeitigen E-Mail- und Scheduling-Funktionen mit Workflow, Dokumenten-Management und Discussion-Datenbanken verbinden.

Dazu nutzt die Client-Server-Software die Client-E-Mail-In-Box als zentrales Repository fuer Informationen wie E-Mail, Voice Mail, geroutete Dokumente und URL-Verbindungen. Ergaenzend dazu hat Novell in die neue Version eine Unterstuetzung fuer remote User eingebaut. Diese umfasst unter anderem eine Umsetzung von Texten in Sprache, so dass Anwender ihre E-Mails via Telefon abhoeren koennen. Ebenfalls neu ist die komponentenbasierte Architektur von Groupwise, die Usern modulare Applikationen bereitstellt, die sich an bereits vorhandene Anwendungen und Netzverbindungen anpassen lassen.

Nach aussen verdeutlicht Novell den strategischen Kurswechsel durch ein neues Logo, das aus mehreren nach hinten versetzten roten Kugeln besteht, die wohl als Atome die weltweit vernetzbaren Geraete darstellen sollen.

Fraglich bleibt allerdings, ob alle diese Aenderungen ausreichen, damit Novell im haerter werdenden Wettbewerb des Networking- Business bestehen kann. So erhielt das Unternehmen in Atlanta bereits in Sachen NDS fuer alle eine Abfuhr von IBM. Big Blue kuendigte auf der Networld+ Interop an, dass das Unternehmen nun mit dem Betatest seiner Directory & Security Services (DSS) fuer den OS/2 LAN Server 4.0 beginne. Die Betas, die noch im Laufe des Oktobers fuer Anwender zur Verfuegung stehen sollen, basieren auf dem Distributed Computing Environment (DCE) der OSF.

Auch in Sachen Netware Connect Services droht Novell neue Konkurrenz. In Atlanta gaben MCI und Microsoft bekannt, dass MCI seine Netzdienste kuenftig mit Windows NT und Microsofts Back Office koppelt, um so schluesselfertige WAN-Loesungen anzubieten.

Ueberhaupt schien die Networld+Interop fuer viele Unternehmen das geeignete Forum fuer Firmenuebernahmen oder neue Allianzen zu sein. Neben der Uebernahme von Grand Junction durch Cisco wurde bekannt, dass Bay Networks den Remote-Access-Hersteller Xylogics kauft. Siemens dagegen uebernimmt die israelische Ornet Data Communication Technologies, einen Hersteller von Switched-Ethernet-Produkten. Ebenfalls auf Einkaufsbummel befand sich Cheyenne Software Inc. Das Unternehmen kaufte die in Atlanta beheimatete Chillipepper Software Inc., die Speichertechnologien fuer den Desktop entwickelt. Neben diesen Uebernahmen wurden im Laufe der Messe zahlreiche strategische Allianzen geschmiedet. So wollen beispielsweise Bay Networks und Microsoft kuenftig zusammenarbeiten, und HP schloss gleich mehrere Kooperationsabkommen zur Verwirklichung seiner Internet-Plaene, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Insgesamt zeigte sich bei einem Messerundgang, dass das Internet- Geschaeft im Vergleich zum letzten Jahr in den USA mittlerweile erwachsen geworden ist. Boten vor einem Jahr die Access-Provider noch marktschreierisch ihre Dienste feil, so standen heuer in Sachen Internet die Sicherheit, Stichwort: Firewalls, sowie die Realisierung des elektronischen Handels im Vordergrund. Ueber diese Entwicklung sowie HPs Internet Solutions Program berichten wir auf Seite 31 dieser Ausgabe.

In Sachen WAN haben die Amerikaner neben Frame Relay und ATM - kaum ein Hersteller, der hierzu keine neuen Produkte auf seinem Stand zeigte - nun auch ISDN fuer sich entdeckt. Die wichtigsten Neuvorstellungen in Sachen ATM finden Sie auf Seite 29. Ausser den neuen Technologien wie Fast Ethernet und 100VG Anylan gewinnt im LAN-Segment, wie sich in Atlanta zeigte, das Switching immer mehr an Bedeutung. Vor allem von dieser Technologie versprechen sich die Anwender ohne teure Investitionen in eine neue Verkabelung eine Behebung der Engpaesse, was die zur Verfuegung stehende Bandbreite im Netz betrifft. Informationen hierzu finden Sie in der naechsten Ausgabe der COMPUTERWOCHE.