Zweite Chance durch das Internet

Network-Computer gehören noch nicht zum alten Eisen

18.09.1998

Steigendes Kostenbewußtsein in den Führungsetagen hat die einst ausgemusterten "dummen" Terminals wieder ins Gespräch gebracht. Ob als Thin Client oder Network-Computer (NC), die schlanken Endgeräte versprechen geringere Aufwendungen für Anschaffung, Personal und Pflege. Dafür ist ein Faktor entscheidend: Die Daten- und Programmhaltung kehrt wieder ins Rechenzentrum zurück, das Host-Prinzip wird reanimiert.

Durch die zentralisierte Struktur sind im Idealfall an jedem Arbeitsplatz normierte Programme in einheitlichen Versionsständen vorhanden. Ferner lassen sich die Aufwendungen für Software durch Lizenzbündelung in den Griff bekommen und darüber hinaus der interne User-Support entlasten. Da die Daten zentral gespeichert und verarbeitet werden, sind die Terminals auf gute Verbindungen zum Host angewiesen.

Anwender wünschen sich das Web

Über Local Area Networks (LANs) oder Wide Area Networks (WANs) werden die Endgeräte mit den zentralen Rechnern vernetzt. Entgegen aller Unkenrufe steigt auch die Quote der über das Internet verbundenen NCs rapide an. Nach einer Analyse der Meta Group kommen im Jahre 2002 mehr als zwei Drittel aller Zugriffe auf Legacy-Datenbestände über das Web.

Gerade die Internet-Funktionalität der Host-Anwendungen kann den schlanken Terminals zum Durchbruch verhelfen. NCs sind die geeigneten Komponenten, um die Renaissance der Mainframe-Technik zu begleiten und gleichzeitig am Web-Fortschritt teilzuhaben. Hinzu kommt, daß der Internet-Zugang für die Angestellten aus vielen Unternehmen inzwischen nicht mehr wegzudenken ist.

Die Anwender verspüren den Wunsch, im Web nach Informationen zu suchen und zu kommunizieren. Auch wenn der Mißbrauch des Mediums den Führungsetagen Kopfschmerzen bereitet (siehe CW 35/98, Seite 9), werden sie durch die zunehmende Globalisierung und Dezentralisierung förmlich dazu gezwungen, sich dem Internet zu öffnen. In diesem Zusammenhang prognostizieren die Marktforscher der Gartner Group ein jährliches Wachstum der Fern- und Internet-Zugänge bis zum Jahr 2002 von 60 Prozent, bei WANs sogar um mindestens 300 Prozent.

Allzu euphorische Erwartungen an die Web-Fähigkeit von Anwendungen sind jedoch nicht angebracht. Der Durchbruch für NCs im Internet wird noch auf sich warten lassen, denn nur wenige betriebswirtschaftliche Applikationen unterstützen gegenwärtig den Browser-Zugriff. Schuld ist das Internet-Standardprotokoll HTTP. Ruft ein User eine Web-Seite auf, wird die Verbindung nach erfolgter Datenübertragung ausgesetzt. Es besteht kein permanentes Log-in zum Server.

Für den Zugriff auf betriebswirtschaftliche Programme via Internet ist dies allerdings nötig. Kleine Tools, Active-X-Controls oder Java-Applets, die auf dem Terminal laufen, sollen dieses Dilemma umgehen. Doch auch die meisten PPS-Lösungen unterstützen die neuen Technologien noch nicht. Ohne den verstärkten Einsatz objektorientierter Anwendungen wird es in der nächsten Zeit ein dialoggesteuertes Arbeiten per Web-Browser auf breiter Front nicht geben.

Zusätzlich bremst die Angst vieler Unternehmen vor den Gefahren neuer Technologien das Wachstum der NC-Internet-Zusammenarbeit. Unweigerlich stellen Manager die Frage nach der Sicherheit, wenn Daten über das globale Netz ausgetauscht werden sollen. Die Zurückhaltung ist durchaus begründet, mit den geeigneten Sicherheitsmaßnahmen ist das Problem jedoch beherrschbar. Angefangen von Firewalls über Authorisierungsverfahren bis hin zu speziellen Softwarelösungen reicht inzwischen die Produktpalette, um Web-Verbindungen abzusichern.

Auch wenn die NC-Verbreitung zunimmt, die nächste Zeit wird von einem Nebeneinander schlanker Terminals und PCs geprägt sein. Immerhin prognostiziert die Gartner Group für das nächste Jahr den rasanten Anstieg von Standardlösungen, auf die sich via Browser zugreifen läßt. Die sogenannten Power-User in den Unternehmen können und wollen aber vorerst nicht auf mächtige Rechner am Arbeitsplatz verzichten.

Software-Anbieter dürfen nicht den Fehler begehen, sich mit ihren Produkten nur auf eine Front-end-Variante festzulegen. Für einen gewissen Zeitraum wird die Koexistenz der schlanken und "fetten" Computer vorherrschen; der Übergang gestaltet sich fließend. Priorität bei der Umstellung in den Unternehmen vom PC zum NC sollten diejenigen Geschäftsabläufe erhalten, die für den Erfolg der Firma maßgeblich sind.

Gernot Schäfer ist Leiter des Competence-Centers der Brain International AG, Breisach am Rhein.