Netweaver soll Prozesse steuern

25.10.2007
Von 
Vice President Software & SaaS Markets PAC Germany
SAP hat das Business-Process-Management entdeckt. Anwender sollen individuelle Abläufe künftig grafisch modellieren können.

Der Softwarekonzern will Netweaver nicht mehr nur als technischen Unterbau für die eigenen Geschäftsapplikationen verstanden wissen. Vielmehr möchte er die Infrastruktur als Entwicklungsumgebung für servicegestützte Geschäftsprozesse gegen konkurrierende Softwareplattformen von Microsoft, Oracle und IBM positionieren. Gleichzeitig versucht SAP, das Image des Anbieters vergleichsweise unspektakulärer betriebswirtschaftlicher Anwendungssoftware abzustreifen. Zwar nutzen die meisten Kunden noch das Client-Server-System R/3, doch der Hersteller unterstrich auf der eigenen Konferenz "Teched" in München die Bedeutung von Web-Services und Enterprise SOA (E-SOA) sowie der Entwickler-Community "SAP Developer Network" (SDN), in der angeblich 900 000 Entwickler, Partner und Kunden sich gegenseitig helfen und Ideen austauschen. Registrieren kann sich dort allerdings jeder, auch wenn er kein SAP-Kunde ist und natürlich auch die Konkurrenten des Softwarekonzerns.

MySQL für Netweaver

SAP wird die Datenbank "Max DB" (vormals SAP DB) wieder allein weiterentwickeln und vermarkten. Damit endet die im Jahr 2003 geschlossene Partnerschaft mit MySQL, dem Anbieter der gleichnamigen Open-Source-Datenbank. Der Datenbankspezialist gab ferner bekannt, eine für Netweaver angepasste Version von MySQL auf den Markt bringen zu wollen. Technische Details, etwa, ob das System auch für den Betrieb von SAPs Business-Intelligence-Umgebung taugen wird, sowie das Verfügbarkeitsdatum des Produkts, wollte MySQL nicht mitteilen. Fest steht jedoch schon jetzt, dass Netweaver-Kunden demnächst eine Alternative zu den Datenbanken von Oracle, Microsoft und IBM erhalten.

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was SAP mit Netweaver 7.1 an Neuerungen bringt;

welche Rolle das zugekaufte Unternehmen Yasu Technologies dabei spielt;

dass Entwickler Netweaver nun abonnieren können;

wie Anwender Abläufe grafisch gestalten können sollen;

dass sich Services in der Praxis nicht so leicht entwickeln lassen, wie es die Präsentationsprofis der SAP darstellen.

Firmenübergreifende Geschäftsprozesse

Zusammenarbeiten und sich zu "Business Networks" vernetzen sollen auch Kunden, Lieferanten und Partner. War die SAP-Software R/3 bisher dazu genutzt worden, die firmeninterne IT zu steuern, soll es mit SAP ERP und der Enterprise SOA gelingen, unternehmensübergreifende Geschäftsprozesse zu gestalten vorausgesetzt natürlich, alle Beteilig-ten nutzen Programme von SAP oder zumindest solche, die der Konzern in seiner SOA-Umgebung duldet. Der strukturierte Datenaustausch zwischen Firmen ist in vielen Branchen, beispielsweise der Autoindustrie, bereits gängige Praxis. Künftig soll die Zusammenarbeit ("Collabora-tion") nicht mehr auf der Grundlage von Datenstandards und Programmschnittstellen, sondern auf Basis von SAP-gestützten Software-Services stattfinden.

Um möglichst viele Unterstützer für Netweaver zu gewinnen, hat SAP nun ein neues Angebot für Entwickler vorgestellt. Mit der "Netweaver Development Subscription" erhalten SDN-Mitglieder die Software sowie Informationsmaterial. In Deutschland kostet die Entwicklerlizenz für ein Jahr 1750 Euro. Die Experten dürfen die Plattform allerdings nur für interne Zwecke und nicht kommerziell nutzen. Im Paket sind die Komponenten "Business Intelligence", "Master Data Management", "Netweaver Mobile" und das "Netweaver Portal" sowie Entwicklungswerkzeuge für "Web Dynpro" und "Composition Environment" (CE) enthalten. Bei Letzterem handelt es sich um ein grafisches Tool, mit dem sich Benutzeroberflächen und "Composite Applications" gestalten lassen. Das sind Anwendungen, die aus Software-Services aus dem "Enterprise Services Repository" (ESR) bestehen. Das Repository enthält unter anderem Servicebeschreibungen von SAP-Applikationen.

Das Composition Environment ist eine Weiterentwicklung des "Composition Application Framework" und eignet sich laut SAP dazu, neue Geschäftsprozesse sowohl aus bestehenden SAP-Services zu bauen als auch aus Softwarediensten, die von Drittprodukten stammen. Voraussetzung dafür ist, dass diese Fremdsysteme über Service-Schnittstellen verfügen. Diese müssen jedoch nicht gezwungenermaßen im Enterprise Services Repository von SAP zur Verfügung stehen. Softwareexperten ermuntert der Softwarekonzern dazu, sich CE über das SDN-Portal zu laden. Um richtige Anwendungen damit zu bauen und zu betreiben, ist ein ERP-System erforderlich. Wer nur die Funktionen testen will, kann die Servicebeschreibungen vom "Enterprise Services Workplace" beziehen, der ebenfalls über SDN zugänglich ist. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, aus den Services des "Discovery Server" Anwendungen zu modellieren. Dieses Stand-alone-System soll Firmen dazu dienen, mit SAPs Service-orientierten Verfahren erste Erfahrungen zu sammeln. Es umfasst ein abgespecktes ERP-System und Netweaver.

Aus "Exchange Infrastructure" wird "Process Integration"

Während das Composition Environment und das ESR jetzt zur Verfügung stehen, wird die Netweaver-Komponente "Process Integration" (PI), eine Weiterentwicklung des Integration Broker "Exchange Infrastructure", Ende des Jahres an erste Testkunden ausgeliefert. Zu den Neuerungen von PI zählen unter anderem ereignisgesteuerte Dienste und "Reliable Messaging" für den zuverlässigen Transport von Nachrichten zwischen Web-Services. Ereignisse können zum Beispiel Statusänderungen in einem ERP-System sein, auf die ein Service reagieren muss.

SAP-Experten gaben einen Ausblick auf künftige Erweiterungen von Netweaver in Richtung Prozesssteuerung und modellierung. Mit Hilfe des "Process Composer" soll es möglich sein, Abläufe grafisch zu definieren, wobei die Notation dem Standard Business Process Modelling Notation (BPMN) folgt. Heraus kommen dabei in Business Process Execution Language (Bpel) verfasste Workflows. Mit dem Tool sollen Softwareentwickler ausführbare Programme nebst GUI erzeugen können. Laut Hersteller werden sich künftig mit "Aris" von IDS Scheer und anderen Tools erzeugte deskriptive Prozessmodelle als Blaupause im Process Composer verwenden lassen.

Netweaver lernt BusinessProcess Management

Im Process Composer kann der Nutzer Elemente (beispielsweise Personen oder ein ERP-System) auf einer Oberfläche platzieren und deren Interaktion festlegen. Aus dieser abstrakten Darstellung soll dann Netweaver lauffähige Module bauen. Auf diese Weise könnten Anwender Services konstruieren, die menschliche Interaktion (etwa Freigaben) sowie Softwaredienste einbeziehen. Nach Angaben von SAP soll es auch möglich sein, mit "SAP Business Workflow" erzeugte Abläufe in dieser Umgebung sichtbar zu machen. Bei Business Workflow handelt es sich um die in R/3 eingebettete Workflow-Komponente der SAP.

Um Fehler in mit Process Composer gestalteter Software zu finden, wird zunächst lediglich der Debugger der auf Ecplise aufsetzenden Entwicklungsumgebung "Netweaver Developer Studio" zur Verfügung stehen. Später wird es Methoden geben, die beispielsweise unvollständige oder unsinnige Prozessmodelle aufspüren können. Hierzu will der Konzern auch die Geschäftsregeltechnik ("Business Rules") verwenden, die er mit dem Kauf des indischen Unternehmens Yasu Technologies erworben hat. Mit Hilfe von Business Rules soll es ferner möglich sein, Prozesse während der Laufzeit zu verändern. Dies ist zum Beispiel für Sonderfälle erforderlich, die im Prozessdesign so nicht abgebildet waren. Process Composer wird als Teil des "Netweaver Developer Studio" sowie des Composition Environment ausgeliefert, sobald Netweaver 7.1 verfügbar ist.

PI wird Bestandteil der nächsten Version der Integrations- und Ablaufumgebung (Netweaver 7.1) sein. Das aktuelle Release Netweaver 2004s hat SAP in "Netweaver 7.0" umgetauft. Netweaver 7.1 bildet auch die technische Basis für das unlängst präsentierte Produkt "Business Bydesign". Wann genau im nächsten Jahr das neue On-Demand-System freigegeben wird, darauf wollte sich SAP nicht festlegen.

Doch nicht so einfach: SOA in der Praxis

SAP gelingt es zwar, anschaulich zu demonstrieren, wie leicht sich Services bauen lassen. Für den Anwender ist der Weg dahin jedoch beschwerlich. Selbst ein Vorzeigekunde wie der auf Energieversorgung spezialisierte IT-Dienstleister Gisa aus Halle gibt das unumwunden zu. Gisa hatte nach einer Migration von R/3 auf ERP 6.0 einen zusätzlichen neuen Dienst für die Rechnungsbearbeitung gebaut. Zahlen Stromkunden nur einen Teil der Gebühren, sind besondere Abläufe im Mahnwesen erforderlich, die SAPs Standardsoftware für Versorgungsunternehmen "IS-U" nicht vorsieht. Aus SAP- und Gisa-eigenen Services gestalteten Softwarespezialisten eine portalgestützte Oberfläche für Sachbearbeiter, die für diese Sonderfälle gedacht ist. Mit viel Unterstützung von Seiten des Softwarekonzerns entstand ein neuer Service. "Ohne SAP wären wir auch zurechtgekommen, aber wir hätten viel länger gebraucht", so Hans-Ludwig Reinecke, Bevollmächtigter der Geschäftsführung. "Was in Präsentationen einfach aussieht, etwa das grafische Gestalten von Prozessen, ist in der Praxis mitunter sehr komplex." Vor allem hätten sich die auf Abap getrimmten IT-Fachleute von Gisa zunächst mit den neuen SOA-Konzepten anfreunden und vertraut machen müssen.

Auch überschaubare Services wie die beschriebene Mahnwesenerweiterung können Unternehmen offenbar nicht ohne zusätzliche Beratung entwickeln. "Sie benötigen einen, der ihnen die Richtung weist, laufen müssen sie dann aber selbst", meint der Gisa-Manager. Ganz von selbst auf die Idee für das neue System ist das Dienstleistungshaus indes nicht gekommen: Nach Reineckes Worten war SAP zuerst an seine Firma herangetreten. Das mit 470 Mitarbeitern nicht eben große Unternehmen passte in das Raster, da dort die Entscheidungswege kürzer sind als bei den Branchenriesen der Energiewirtschaft. Gisa will im nächsten Jahr fünf weitere Services entwickeln. Der Bedarf sei da, doch Reinecke kann nicht ausschließen, dass selbst gebaute Komponenten später als Standardfunktionen von IS-U von SAP ausgeliefert werden.