"Netweaver ist nicht ausgereift"

14.12.2004
Für Ambuj Goyal, General Manager Lotus Software der IBM Software Group, ist SAPs Infrastrukturplattform keine Websphere-Konkurrenz.

Seit SAP mit "Netweaver" eine Infrastrukturplattform anbietet, steht der Softwarekonzern im Wettbewerb mit IBM und deren "Websphere". Unlängst behauptete SAP-Vorstandsmitglied Shai Agassi in der computerwoche , Netweaver sei im Vergleich zur IBM-Plattform tiefer integriert und besser für die Zukunft gerüstet. So eigne sich Websphere zwar dazu, unterschiedliche Systeme anzubinden, der SAP-Ansatz gehe jedoch darüber hinaus, da er es Firmen ermögliche, anwendungsübergreifende Applikationen zu bauen ("Composite Applications" oder "Xapps").

Solche Statements will IBM natürlich nicht so stehen lassen, und so bezog Ambuj Goyal, General Manager Lotus Software der IBM Software Group, gegenüber der computerwoche Stellung. "SAP hat sich vor einiger Zeit entschlossen, ebenfalls in den Middleware-Markt einzusteigen, doch es muss sich noch zeigen, wozu deren Produkte imstande sind", urteilt Goyal über die Infrastrukturambitionen der Walldorfer. Bei der Middleware, die IBM seit 1995 ausliefert, handle es sich um Lösungen, mit denen Kunden unterschiedliche Anwendungen integrieren könnten. Im Gegensatz dazu wolle SAP mit Netweaver die eigenen Integrationsprobleme lösen: "Netweaver eignet sich eher als Benutzerschnittstelle für die SAP-Applikationen." Goyal stuft das Middleware-Angebot der Walldorfer als nicht ausgereift ein. So spiele SAPs Java-fähiger Applikations-Server ("Web Application Server", kurz WAS) auf dem Markt bisher kaum eine Rolle, wohingegen der "Websphere Application Server" führend sei. Doch praktisch alle SAP-Kunden müssen den WAS über kurz oder lang installieren, da er neben der Java-Engine auch die Ablaufumgebung der SAP-eigenen Abap-Programme (vormals "SAP Basis") enthält, die sonst kein anderer Applikations-Server bietet. Auch andere Netweaver-Komponenten wie etwa die Exchange Infrastructure sind mittlerweile fest mit Mysap-Lösungen verwoben, um bestimmte Module miteinander zu verbinden.

Auch das Argument, Netweaver sei als Grundlage für anwendungsübergreifende Applikationen prädestiniert, lässt Goyal nicht gelten. "Schon heute existieren mehr Composite Applications auf Basis von Websphere, als es SAP-Installationen gibt." Mit der IBM-Plattform könnten Kunden solche Anwendungen entwerfen, da Big Blue gemeinsam mit Microsoft die dazu erforderlichen Web-Services-Standards definiert habe. Der IBM-Manager bezeichnet SAPs Web-Services-Ansatz als halbherzig. So arbeiteten die Walldorfer zwar in den Standardisierungsgremien mit, würden aber die Funktionen ihrer Applikationen noch nicht einmal als Web-Service anbieten. "So wird man kein erstklassiger Web-Services-Anbieter." Der ERP-Hersteller habe durchaus die Absicht, Systeme von Drittanbietern über Web-Services einzubinden, wolle jedoch nicht die eigenen Programmfunktionen in gleicher Weise veröffentlichen. "Das sollte die SAP aber im Sinne ihrer Kunden tun", rät Goyal und proklamiert die Offenheit der eigenen Infrastruktur. "Uns ist es egal, welche Anwendungen unsere Kunden nutzen. Wir verhalten uns in Sachen Applikationen wie die Schweiz - wir sind neutral." Und wenn die Softwarefunktionen nicht als Web-Service zur Verfügung stünden, dann würde IBM entsprechende Adapter für Websphere bauen, um dies zu ermöglichen.

Einige Anbieter von Business-Software folgen der IBM-Strategie und passen derzeit ihre Produkte an die Websphere-Plattform an. Zu ihnen zählen unter anderem Intentia, Siebel und Peoplesoft - letzterer Hersteller wird seine Strategie nach der Oracle-Übernahme möglicherweise ändern. Diese Firmen hätten erkannt, dass sie von IBMs Service-orientierten Anwendungsarchitekturen profitieren könnten. "Es gibt für einen Applikationsanbieter Sinn, auf Standard-Middleware zu setzen, statt viel Geld in eigene Infrastruktur zu investieren."