Release-Intervalle beim Client werden größer

Netscape tritt die Flucht nach vorn mit Server-Software an

27.02.1998

Nicht zum ersten Mal machen Gerüchte um eine Akquisition von Netscape die Runde. Als potentielle Käufer kursieren einmal mehr die bekannten Namen IBM, Sun, Oracle, aber auch America Online (siehe CW Nr. 7 vom 13. Januar 1998, Seite 1). Ins Gerede war das Unternehmen gekommen, weil es erstmals in seiner Geschichte für das vierte Quartal 1997 rote Zahlen in Höhe von 88 Millionen Dollar auswies.

Zusätzliche Nahrung erhielten die Spekulationen durch das passive Verhalten des Topmanagements in Mountain View, das Verhandlungen weder bestätigte noch dementierte. Entsprechend war auch die Reaktion der deutschen Netscape-Vertreter auf entsprechende Fragen: "Kein Kommentar", antwortete Rainer Caspari ausweichend. Der Vertriebsleiter in Deutschland begründete diese Auskunftsverweigerung mit einem entsprechenden Verbot des US-Börsenrechts. Etwas konkreter fiel das Statement von Simone Droll aus: "Wir sind optimistisch, unsere Server-Strategie auch in Zukunft weiterzufahren", sagte die PR-Managerin.

Unter diesen vagen Vorzeichen ist das Ziel Netscapes, mit der neuen Server-Software im Enterprise-Markt stärker Fuß zu fassen, jedoch wesentlich schwerer zu realisieren. Caspari nutzte deshalb die jüngste Produktankündigung zu einem Versuch, den Schaden zu begrenzen und das Enterprise-Image der Company aufzupolieren. Netscape, so der Vertreter für den kürzlich ausgeschiedenen Geschäftsführer Karl Klarmann, sei es im letzten Jahr gelungen, den Schwerpunkt vom Browser-Geschäft auf das Großkunden- und Server-basierte-Business zu verlagern.

Caspari versuchte in München, diesen Trend durch Zahlen zu belegen. Während das Unternehmen 1996 noch 55 Prozent seines weltweiten Umsatzes mit dem Client erwirtschaftete, sei dieser Anteil 1997 auf 20 Prozent gesunken. Im Gegensatz dazu wuchs das Umsatzvolumen der Server-Software von 15 deutlich auf 45 Prozent - Tendenz weiter steigend.

"Diesen Wandel in zwölf Monaten zu vollziehen war nicht leicht", resümierte der Vertriebsleiter und räumte auch Schwächen ein: "Der Enterprise Server, den Netscape bis vor kurzem baute, war kein Produkt, das der Markt wirklich brauchte." Eine bessere Lösung stellt seiner Meinung nach nun die Weiterentwicklung von Kiva Software dar. Netscape hatte den Hersteller Ende 1997 gekauft und erntet nun durch den Application Server 2.0 die ersten Früchte. Das Produkt ermöglicht Unternehmen, Applikationen sowohl auf ihrem Intranet als auch im erweiterten Extranet laufen zu lassen, um auf diese Weise Partner, Kunden und Zulieferer in die Geschäftsprozesse zu integrieren.

Die Server-Software enthält einige neue oder modifizierte Funktionen. Verbessert wurde laut Anbieter zum Beispiel die Skalierbarkeit durch Load Balancing und Multithreading-Architektur, außerdem das Session-Management sowie die Fehlererkennung und -beseitigung. Administrations- Tools mit grafischer Oberfläche erlauben ferner, Server und Anwendungen zu verwalten und zu überwachen. Darüber hinaus können durch sogenannte Server-Extensions Verbindungen zu bestehenden Anwendungen und Legacy-Systemen eingerichtet werden.

Der "Application Builder" und "Extension Builder" sind weitere Produkte, die den Application Server optional ergänzen. Ersterer ist ein Entwicklungswerkzeug für das Design von Extranet-Applikationen in Java und C++. Der Extension Builder ermöglicht Kunden, eigene Erweiterungen zu schaffen, um bereits existierende Unternehmensanwendungen und Infrastrukturen Web-fähig zu machen. Dieses Tool wird voraussichtlich Ende des ersten Quartals 1998 verfügbar sein. Vorgefertigte Extensions, die mit BEA Tuxedo und den IBM MQ Series laufen, sind bereits erhältlich.

Der Application Server und Application Builder sind schon am Markt. Der Server kostet 25000 Dollar pro CPU auf einem NT-System und 35000 Dollar pro CPU auf einem der Betriebssysteme Sun Solaris, HP-UX oder Irix von Silicon Graphics. Der Builder wird mit 1295 Dollar pro Entwickler veranschlagt. Die Preise für die Extensions zu Tuxedo und MQ Series belaufen sich auf jeweils 3495 Dollar pro NT-CPU und 5495 Dollar für eine Unix-befehligte CPU.

Neu im Server-Portfolio der Kalifornier ist ferner Suitespot 3.5, eine Server-Suite für den Aufbau weltweiter Intranets und Extranets. Netscape liefert das Produkt in einer Standard und einer Professional Edition. Die einfache Ausführung enthält den Enterprise -, Messaging -, Collabra -, Calendar - und Directory Server sowie den Communicator. In der High-end-Version kommen der Compass -, Proxy - und Certificate Server hinzu sowie der Mission Control Desktop und der Communicator in einer umfangreicheren Fassung.

Wesentliche Neuerungen sind im Enterprise - und Compass Server die Unterstützung von SSL, Hardware-Accelerators, erhöhte Skalierbarkeit sowie verbesserter Java-Support. Das neue Produkt realisiert den Java Database Connector, das Java Developement Kit 1.1 und Servlets.

Verzeichnisdienst LDAP nativ implementiert

Im Bereich Messaging und Groupware nennt Netscape ebenfalls eine verbesserte Skalierbarkeit sowie die Integration neuer E-Mail-Filter als wichtigste Zusätze. Auffälligste Innovation von Suitespot 3.5 ist der Directory Server 3.0, der eine native Implementierung des Standards Lightweigt Directory Access Protocol (LDAP) in der Version 3.0 aufweist.

Die Standard - und Professional Edition von Netscape Suitespot 3.5 werden ab sofort ausgeliefert und stehen zum Download bereit. Die Standard-Version kostet 82 Dollar pro Anwender, die Professional Edition 140 Dollar.

Netscape wird auch in Zukunft an seinem modularen Konzept festhalten. Dazu Caspari: "Es ist der Wunsch der Kunden, ihre Intranets im Lego-System aufzubauen." Modular, so Caspari, bedeute nicht, daß alles einzeln administriert werden müsse.

Trotz der starken Ausrichtung am Server will Netscape aber auch weiterhin beim Client Flagge zeigen. Von der Offenlegung des Sourcecodes für Entwickler verspricht sich das Unternehmen eine zusätzliche Verbreitung seines Tools. 70 Prozent Marktanteil will das Unternehmen mit dem Communicator im Kampf gegen Microsoft wieder erreichen. Allerdings würden die Intervalle bei den Releases des Clients künftig größer, sagte Caspari: "Da haben wir viel dazugelernt."

Support neu

Netscape organisiert den Support in Europa neu, um die eigenen Ressourcen besser mit denen der Distributoren zu bündeln. Die Company kündigte deshalb das "Netscape Authorized Support Provider Program" (NASP) an, das autorisierten Handelspartner erlaubt, technischen Support für Netscape-Produkte anzubieten. Erster deutscher NASP-Vertreter ist die Danet GmbH in Weiterstadt bei Frankfurt am Main. Weitere sollen folgen.

Außerdem führt das Unternehmen "Subscription Plus" ein, das kleineren und mittelgroßen Firmen, Value Added Resellern, Endkunden und Systemintegratoren technische Hilfestellung sowie Abonnementleistungen bietet. Subscription berechtigt automatisch zu Updates.