Nervenkitzel ERP-Einführung

05.09.2008
Von 
Daniela Hoffmann ist freie IT-Fachjournalistin in Berlin.
Die Einführung einer Business-Software belastet die Mitarbeiter stark. Beispiele zeigen, wie mit der richtigen Strategie solche Vorhaben gelingen.

CW-Serie: ERP im Mittelstand, Teil 3

Mittelständische Firmen stehen in Sachen ERP unter Modernisierungsdruck, haben aber nicht die Ressourcen von Konzernen. Wie Firmen Softwareprojekte angehen und wie sie bei der Auswahl und bei Softwareverträgen Fehler vermeiden können, erläutert die fünfteilige Serie.

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Regelmäßig organisierte ERP-Zufriedenheitsstudien zeigen, dass rund ein Drittel der Anwender mäßig zufrieden sind mit ihrer ERP-Lösung. "25 Prozent fallen sogar in die Kategorie ,leidende Installationen‚Äô", so Karsten Sontow, Vorstand des Marktforschungs- und Beratungshauses Trovarit AG. Gemeint sind damit zum Beispiel Systeme, um die sich Excel-Parallelwelten gebildet haben. Damit die Einführung kein Abenteuer mit ungewissem Ausgang wird, können Anwender auf Kriterien und Strategien zurückgreifen, die sich bewährt haben.

"Entscheidend ist, vorher genau zu klären, was gebraucht wird - und ob der Anbieter dies leisten kann. Wenn die Erwartungshaltung nicht auf beiden Seiten klar und transparent ist, sind Konflikte programmiert", meint Sontow. "Expectation-Management" lautet der passende Fachterminus - schließlich sind ERP-Projekte ebenso hochgradig komplex wie schwer greifbar. Oft fehlt auf der Seite der Anwender die Erfahrung.

Ein auf den Geschäftsprozessen basierendes Lastenheft ist hier State-of-the-Art, und eine gewisse Nähe zum Standard der ERP-Software bewahrt vor Anpassungen, die ein vertretbares Maß überschreiten. Zudem empfiehlt Sontow den Anwendern, sich stark auf die Einführungsmethodik des Anbieters einzulassen. Allerdings sollte man sich dessen Vorgehen genau anschauen - immerhin gibt es allerlei Variationen vom Rapid Prototyping bis zur Wasserfall-Methode.

Was ERP-Projekte und Ehen gemeinsam haben

Fast an erster Stelle steht jedoch die "Chemie". Ein gutes Gefühl in Bezug auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit ist laut Sontow ein Muss. Auch die Konfliktkommunikation hat oberste Priorität. "Beim ersten Anzeichen von Missstimmung sollte sofort das offene Gespräch gesucht werden - damit kein Raum für aufgestauten Ärger und kontraproduktive Grüppchenbildung entsteht", mahnt der Trovarit-Chef. Misslungene Projekte seien nicht selten wie zerrüttete Ehen, bei denen so viel Persönliches für die Beteiligten im Spiel sei, dass ein Sanierer oft Leute austauschen müsse, um das Projekt zum Abschluss zu bringen.

Sie sind dünn gesät und keinesfalls alltäglich - doch gerade erfolgreich abgeschlossene zeitkritische Projekte zeigen exemplarisch, wie effektives Projekt-Management und klare Vorgaben Ergebnisse ermöglichen, von denen andere nur träumen können.

Ruwido Austria: Flexible Software für Prozessharmonie

Die Ruwido Austria GmbH ist Spezialist für Technik, Design und Usability im Bereich Infrarot-Übertragung. Rund 20 Prozent der 190 Mitarbeiter sind im Bereich Forschung und Entwicklung tätig. 2003 wurde das Unternehmen aus Neumarkt am Wallersee per Management-Buy-out aus einem Konzern herausgelöst. Zum einen lief die Nutzungsmöglichkeit des alten ERP-Systems innerhalb von zwei Jahren aus. Zum anderen verfolgte der Geschäftsführer Ferdinand Maier die Vision eines "fraktalen Unternehmens", also den Blick auf Prozesse statt auf Abteilungen. Anstatt eine schachbrettartige Struktur mit klaren Grenzen und tradierten Abteilungshierarchien zu leben, ging es um eine ganzheitliche Sichtweise und eigenverantwortliche Organisationseinheiten (Fraktale) mit unternehmerisch handelnden Mitarbeitern. Für diesen Ansatz wurde das geeignete ERP-System gesucht.

"Wir wollten keine tief greifenden Anpassungen, da das meist zu Problemen bei Release-Wechseln führt. Deshalb haben wir nach einer Software gesucht, die im Standard gut mit unseren Prozessen harmoniert", sagt Albert Maier, Leiter "Final Product" und Logistik bei Ruwido, der dem ERP-Team als Verantwortlicher für das operative Geschäft der Gruppe und als Key User für Lagerlogistik angehörte. Den Auswahlprozess gewann das ERP-System Semiramis (heute SoftM). Im Juni 2005 wurde der Vertrag unterzeichnet, im August begannen die Neumarkter mit einer Schulungswoche, und am 2. November ging die Lösung in den Live-Betrieb. Dazu gehörte nahezu das gesamte Standardpaket. Auch bei den geplanten Manntagen blieb das österreichische Unternehmen knapp 30 Prozent unter den Schätzungen. Der klassische Stolperstein Datenübernahme machte keine Probleme, da die Daten schon in einem früheren Projekt bereinigt worden waren. Rund 14 000 Artikel, Stücklisten und Arbeitspläne landeten so im neuen System, der Zeitaufwand betrug etwa ein Drittel der Projektlaufzeit. "Unser Projekt wäre normalerweise in einer Größenordnung von sechs bis neun Monaten angesiedelt gewesen", schätzt Maier.

Auch die Einführung verlief "fraktal", Vertreter sämtlicher Abteilungen wie Einkauf, Lager-Management, Disposition und Vertrieb arbeiteten als Key User gleichzeitig am ERP-Projekt mit - und jeder wurde in sämtlichen Modulen geschult. "Dadurch entstand eine Eigendynamik, die das Team zusammengeschweißt und bei der jeder höchstmögliches Engagement eingebracht hat", erinnert sich Albert Maier. Die Unternehmenskultur mit flachen Hierarchien und Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter spiegelt sich auch in der Sitzordnung: In einem als "Focus Factory" bezeichneten Großraumbüro sitzen alle Mitarbeiter zusammen, damit die Kommunikation auch aus dem Stegreif klappt.

Asys Group: ERP-Großprojekt mit minimalem Personalaufwand gestemmt

Der über 620 Mitarbeiter zählende Produzent von Automatisierungssystemen Asys Group mit Hauptsitz in Dornstadt bei Ulm hat sein ERP-Projekt mit einem minimalistischen Aufgebot an Personal gestemmt. Da die Schwaben mit zwei Produktionsstandorten in Deutschland, einem in Singapur sowie Vertriebs- und Servicegesellschaften in Finnland, Ungarn, Spanien, USA, Mexiko, Brasilien, Singapur und China präsent sind, um nah an ihren Kunden aus der Elektronik- und Solarindustrie zu sein, war eine ERP-Lösung gefragt, die alle Standorte einbezieht.

"Die richtige Auswahl eines ERP-Systems ist für einen Mittelständler entscheidend - der Investitionsschritt ist eine erhebliche Belastung, und deshalb muss die Entscheidung einfach stimmen", meint Klaus Bronner, in der Geschäftsleitung der Asys Group für OEM-Produkte und die Einführung von Geschäftsapplikationen verantwortlich. Bei Asys fiel die Wahl auf die Lösung "ERP.COM" des Herstellers Infor. Da es vorher nur eine Warenwirtschaftslösung genutzt hatte, startete das 1992 gegründete schwäbische Unternehmen sozusagen "auf der grünen Wiese". Dadurch entfielen zwar Altlasten, der Schwierigkeitsgrad erhöhte sich jedoch durch die parallele Einführung eines Produktdaten-Management-Systems (PDM) - immerhin sollte es eine bidirektionale Verbindung zwischen Konstruktionsdaten und ERP geben. Dazu gehörte die Klärung zum Beispiel der Frage, wie das PPS-System (Produktionsplanung und -steuerung) zu den komplexen Stücklisten kommt. Insgesamt 170 000 Artikelstammdaten und 43 000 Konstruktionsbaugruppen mussten übernommen werden, die die Grundlage für 1300 Verkaufsprodukte bilden. "Lean-IT-Management" nennt Bronner den Ansatz seines Unternehmens. Dazu gehört auch, "sich keine Verwaltungsmannschaft für das ERP-System zu schaffen". ERP sollte als integraler Bestandteil der Abteilungen wahrgenommen werden, denn sie tragen die Hauptverantwortung für die Prozesse. Nachdem über die Zeit aus 70 Infor-Nutzern 150 geworden sind, wurde zwar ein Spezialist für die ERP-Administration eingestellt, dennoch wollen die Dornstädter ihrer schlanken Linie treu bleiben.

Alle Abteilungsleiter, die in ihrem Bereich als Key User für die Einführung zuständig waren, trafen sich wöchentlich. Hinzu kamen ein Projektleiter von Infor und ein IT-Administrator. "Mit knapp drei Leuten als Kernteam eine schlanke Mannschaft", meint Bronner, der angesichts der Projektkomplexität eine doppelt so starke Besetzung für üblich hält. Die Aufgabe lautete: möglichst keine Anpassungen. Innerhalb eines Jahres wurde das gesamte Geschäft abgebildet und ein Prototyp gebaut, an dem beispielhafte Prozesse getestet werden konnten. Zunächst wurde das PDM-System in zwei Unternehmen der Gruppe eingeführt, ein Jahr später stand auch die ERP/PPS-Landschaft.

Die Pharmazell GmbH aus dem oberbayerischen Raubling ging Anfang 2006 durch ein Management-Buy-out aus dem Konzern Lubrizol/Noveon hervor. Mit 360 Mitarbeitern und drei weiteren Standorten in Dänemark und Indien stellt das Pharmaunternehmen Wirkstoffe her. Die Eigenständigkeit war gekoppelt mit der Bedingung, binnen sechs Monaten ein eigenes ERP-System aufzubauen - ein Projekt für die Überholspur, angesichts der harten Anforderungen an die IT in der Pharmaindustrie durch verschiedene Vorschriften der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) und der EU (validiert nach GAMP4). Dazu gehören unter anderem die Rückverfolgbarkeit der Chargen und die Etikettierungspflicht der Fertigprodukte, die ebenfalls rückverfolgbar sein muss. "Normalerweise müsste für ein vergleichbares Projekt ein Zeitraum von neun bis zwölf Monaten geplant werden", sagt Anne Moebes, Projektleiterin für die ERP-Implementierung bei Pharmazell. Genau ein halbes Jahr nach der Lösung vom Mutterkonzern sollten die bisher genutzte J.D.-Edwards-Lösung und ein individualentwickeltes Laborsystem abgeschaltet werden.

Anwender sollten den Aufwand für das Testen nicht unterschätzen

Den ERP-Markt hatten die Raublinger schon kurz vor dem Buy-out sondiert. Letztlich blieb die Wahl zwischen SAP und einer Branchenlösung namens "Tectura Life Sciences" auf Basis von Microsoft Dynamics NAV (Navision) vom Microsoft-Partner Tectura. "Für uns war entscheidend, dass Tectura damals schon eine Computervalidierung für die Prozesse anbieten konnte, im Gegensatz zu den Mitbewerbern", sagt Moebes.

Der größte zeitliche Aufwand lag beim Testen. "Zu Projektbeginn haben wir mit dem Partner eine Liste aller rund 90 Geschäftsprozesse erstellt. 46 davon waren intensiv zu testende Prozesse. Für eine Prozess-Reorganisation war leider einfach keine Zeit", erinnert sich Projektleiterin Moebes.

Nach einem detaillierten Fahrplan wurde das ERP unter anderem für Einkauf, Verkauf, CRM, Logistik, Produktionsplanung, Qualitäts- und Labor-Management eingeführt. Selbst in der Branchenlösung waren laut Moebes viele Anpassungen notwendig. Als Projektleiterin auf der Anwenderseite hielt sie jeden Tag Kontakt zum Projektleiter auf Tectura-Seite, um reibungslose Abläufe zu gewährleisten. Die Arbeit hat sich gelohnt: Es gelang dem Projektteam, die Einführung innerhalb der geplanten Zeit abzuschließen. (fn)