Unternehmensentwicklung

Nehmen Sie Ihre alten Probleme nicht mit

10.02.2024
Von   IDG ExpertenNetzwerk
Christopher Walg verantwortet als Head of Organisational Excellence die methodischen Beratungsschwerpunkte der ONE Business & Technology GmbH. In seiner Tätigkeit als Berater begleitet er Konzerne und Mittelständler in ihrer Digitalisierung. Sein Fokus liegt auf der Entwicklung neuer Produkte und Geschäftsmodelle sowie den daraus resultierenden Veränderungen in der Organisation.
Erfolgreiche Unternehmen oder einzelne Teams müssen sich früher oder später mit ihrem eigenen Wachstum beschäftigen. Dabei besteht die Gefahr, kleine Hindernisse zu echten Problemen zu skalieren.
Im Zuge einer Unternehmensentwicklung sollten im Vorfeld eventuelle Hindernisse entdeckt und entschärft werden.
Im Zuge einer Unternehmensentwicklung sollten im Vorfeld eventuelle Hindernisse entdeckt und entschärft werden.
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Unternehmen oder Unternehmenseinheiten, die organisch wachsen, also aus eigener Kraft und Motivation heraus, tun dies in der Regel in einer sehr erfolgreichen Phase ihres Bestehens. Ihr Geschäftsmodell oder Produkt lässt eine Skalierbarkeit im betriebswirtschaftlichen Sinne zu. Und die hohe Qualität ihrer Wertschöpfung gibt ihnen damit die Chance, neue Mitarbeitende in die Organisation zu integrieren und damit auch die Aufbauorganisation zu vergrößern und zwangsläufig die Ablauforganisation zu verändern.

In agilen Organisationen hat sich hierfür der Begriff der „Skalierung“ durchgesetzt, der im Kontext einer strategischen Unternehmensentwicklung vielmehr als ein Wachstum von Ressourcen und Prozessen verstanden wird und weniger als das Wachstum im betriebswirtschaftlichen Sinne. Nicht selten wird in dieser euphorischen Aufbruchsphase des Wachstums übersehen, dass bereits Herausforderungen existieren, die durch eine organisatorische Skalierung zum unüberwindbaren Hindernis heranwachsen können.

Effektive Organisationen kennen ihre Achillesferse

Im Wachstum der Organisation begegnen uns zwei Wirkungsmuster, die in ihrer Begrifflichkeit synonym erscheinen, aber doch so unterschiedlich sind: Effektivität und Effizienz.

Eine gewachsene Organisation ist effektiv, wenn sie die Abläufe und Prozesse so geschaffen hat, dass die wichtigsten Tätigkeiten getan werden - und werden diese Tätigkeiten richtig getan, dann ist sie auch effizient. Mit einem geplanten Wachstum steigt allerdings die Komplexität in der Zusammenarbeit und damit auch der Abstimmungsaufwand zur Bewertung der „wichtigsten“ Tätigkeiten. Die Effektivität im Gesamten leidet unter diesem Aspekt enorm, selbst wenn die Effizienz in einzelnen Unternehmenseinheiten erhalten bleibt. Ohne eine Kombination beider Wirkungsmuster kann keine Organisation auf Dauer überleben. Doch Effektivität ist keine Fähigkeit, sondern eine erlernte Kompetenz und damit die Summe angeeigneter Methoden und gesammelter Erfahrungen.

Daher ist es wichtig, vor jeder Skalierung und Anpassung der Ablaufprozesse dafür Sorge zu tragen, dass aktuelle Störungen erkannt, bearbeitet und verstanden werden. Skalierungsmodelle liefern hierbei methodisch-prozessuale Ansätze von etablierten und bewährten Vorgehensweisen, kennen aber weder die konkreten Erfolgskriterien einer Organisation noch die berühmt-berüchtigten Gefahren, die die Spitze des Eisbergs unter der Wasseroberfläche verdeckt.

Lesetipp: Effektivität und Effizienz von Prozessen - Wie sich Fachkräfte optimal einsetzen lassen

Analytische Herangehensweise bei der Unternehmensentwicklung

Der erste Schritt zur Lösung strukturell-systemischer Fehlstellungen in Organisationen ist es, diese zunächst zu identifizieren. So wird anerkannt, dass es sich um eine strukturelle Ausgestaltung mit Mängeln handelt, die vor einem geplanten Wachstum korrigiert werden muss. Dabei ist eine klare Differenzierung zwischen der offensichtlichen Symptomatik und den tatsächlichen Ursachen ein elementarer Schlüssel für ein nachhaltiges und gesundes Wachstum.

Die Verteilung von knappen Ressourcen zur Ursachenanalyse und Erarbeitung von tragfähigen Lösungen ist ein häufig unterschätztes und aufwändiges Verfahren. Allerdings ist eine strukturierte und analytische Herangehensweise als eine Investition in die Effektivität und Effizienz der Organisationsstruktur anzusehen.

Der Analysephase kommt auch noch aus einem anderen Grund eine besondere Bedeutung zu, da sie niemals ohne die betroffenen Mitarbeitenden vollzogen werden sollte. Denn die Experten für ein Problem sind die Mitarbeitenden und sie sind somit auch die Experten für dessen Lösung. Sie besitzen in der Regel das dafür erforderliche Fach- und Prozess Know-How. Die Integration der Mitarbeiterebene sichert somit einerseits die Akzeptanz für die spätere Lösung und anderseits erhöht sie die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich die beste unter allen möglichen Lösungen gefunden wird. Zudem wird dadurch eine positive Fehlerkultur gefördert, die Basis für die nötige Motivation und damit auch für ein organisches Wachstum ist.

Eine fundierte Ursachenanalyse sollte stets struktur- und nicht personenorientiert ablaufen. Im agilen Arbeitskontext ist die oberste Direktive (prime directive) von Norman L. Kerth eine der bekanntesten. Sie besagt, dass, unabhängig von dem was im Analyseprozess entdeckt und herausgearbeitet wird, davon auszugehen ist, dass alle Mitarbeitenden unter den gegebenen Umständen (Rahmenbedingungen, Fähigkeiten, Wissen) ihr Bestes gegeben haben. Diese Haltung ist entscheidend, um in der Analyse einen konstruktiven, weil angstfreien, Raum zu öffnen.

Grenzen der Problembewältigung respektieren

Im Zuge der Analyse kann es passieren, dass Probleme auf unterschiedlichen (Zusammen-)Arbeitsebenen aufkommen. Um jedoch die Wachstumsbestrebungen nicht zu gefährden, gilt es die Probleme zu identifizieren, die im Zuge der Skalierung der Organisation einen verstärkten negativen Effekt erzeugen würden.

Sieht der Fachbereich beispielsweise im Status Quo schon die Verantwortlichkeiten in der Produktentwicklung, auf zuviele Stellen verteilt, potenziert sich dieser Effekt mit jedem Wachstum. Die Identifikation solcher, sich potenzierender Ineffizienzen, beginnt häufig dort, wo die Autonomie einzelner Mitarbeitenden oder Teams endet: im Kontext der (fachbereichs-)übergreifenden Zusammenarbeit.

Im Rahmen von Retrospektiven gilt es daher sowohl mit der zu skalierenden Unternehmenseinheit als auch den vor- und nachgelagerten Teams gemeinsam zu reflektieren, welche Auswirkung die organisatorische Skalierung auf die bestehenden Ablaufprozesse hat. Jede Skalierung bringt ihre eigenen Herausforderungen mit und nicht immer lassen sich alle Fallstricke im Voraus erkennen. Daher gilt es, sich bei der Problembewältigung auf realexistente Defizite zu beschränken, um damit die erforderliche strukturelle Reife und Tragfähigkeit für das Wachstum sicherzustellen.

Strukturierte Entwicklung der Organisation

Sind die Probleme identifiziert und formuliert, sollten sie strukturell aufbereitet werden. Eine zusätzliche Visualisierung, beispielsweise analog eines Impediment Boards, ermöglicht Transparenz und vereinfacht die Priorisierung. Keinesfalls darf jedoch die Erwartungshaltung entstehen, dass sich das Skalierungsvorhaben nur mit Problemen beschäftigt, doch sollten die wesentlichen Herausforderungen sichtbar im Fokus stehen. Es folgt eine Kategorisierung in solche Probleme, die eine skalierte Organisation lösen wird und solche, die davon unberührt bleiben.

Beide Kategorien sollten eine Verantwortlichkeit erhalten und bearbeitet werden. Priorität haben die Fragestellungen, die bereits in der heutigen Organisationsstruktur beantwortet werden können. Je nach Reife der Organisation gibt es bereits Mechanismen, die dies tun, wenn richtig adressiert. Falls nicht, ist dies durch einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess aufzusetzen. Vor einem sogenannten Upscale wird damit sichergestellt, dass vorhandene Abläufe und Prozesse entsprechender Kritikalität harmonisiert sind.

Kontinuität in der Wachstumsdynamik

Die Probleme der Kategorie, die mit der Skalierung gelöst werden, fließen in die Vorbereitung des entsprechenden Vorhabens ein. Auch hier ist eine Kontinuität für die Veränderung zu schaffen. Dies gelingt durch die Etablierung eines systematischen und langfristigen Prozesses für die Weiterentwicklung, einer plangetriebenen, und nicht zufälligen, Organisationsentwicklung. Eine Aufbau- und Ablauforganisation, die immer auf Wachstumsdynamik vorbereitet ist, sichert langfristig, dass sich Probleme zu unüberwindbaren Hindernissen entwickeln.

Frameworks sind nicht die Lösung, sondern können nur ein Anfang sein. Nur Mitarbeitende und eine auf Kommunikation ausgerichtete Ablauforganisation können diese Lösungen schaffen und regelmäßig überprüfen. Ein Big-Bang-Ansatz, größere Umstrukturierungen oder die dogmatische Einführung eines Skalierungs-Frameworks sind zu vermeiden, weil jede Organisation eine andere Lernkurve, Lerngeschwindigkeit und Kultur aufweist. Zudem ist eine Veränderung nur akzeptabel, wenn die tiefe Frustration ausbleibt.

Lesetipp: Change Project - Die 7 Phasen eines Veränderungsprozesses

Unternehmensentwicklung ist Chance und Risiko

Wachstumsvorhaben entstehen aus Bedürfnissen mit gewisser Dringlichkeit. Dennoch darf die Analyse des Status Quo darunter nicht leiden, weil damit spätere Belastungen reduziert werden. Das Vorgehen sollte konträr zu dem sein, was Unternehmen gegebenenfalls aus der eigenen Produktentwicklung gewohnt sind, wo es um Schnelligkeit in der „Time-to-Market“ geht. Denn aus der Perspektive vieler Mitarbeitenden ist Stabilität in der direkten Zusammenarbeit wichtiger als Innovation.

Solange letzteres nicht behindert wird, sollte die Aufmerksamkeit in der Problembewältigung beziehungsweise Harmonisierung bestehender Abläufe liegen, bevor die Skalierung beginnt. Das Ziel dabei sollte sein, in der Organisation einen Lernprozess zu etablieren, der eine Anpassungsfähig dauerhaft in der DNA verankert und zulässt. Dieser Denkansatz beginnt mit der risikozentrierten Analyse strukturell-systemischer Fehlstellungen und endet in einem chancenzentrierten Zielzustand einer lernenden Organisation. Kein Wachstum um jeden Preis, kein Vollgas auf wackeligem Fundament, denken wir wieder in Problemstellungen und mit System. (bw)