Nebuloses Phrasenkonglomerat voller Mißkonzeptionen?

23.01.1981

Halleluja - Software-Revolution, statt Evolution - was für ein Hammer! Der Gastkommentar in Nummer 48/80 ist augenscheinlich durch keinerlei qualifizierte Hardware- oder Software-Sachkenntnisse getrübt. Der Kommentar läßt nicht einmal ein "altes", geschweige denn ein "neues Grundverständnis der Kommerz-EDV" und der dahinterstehenden Mentalität - und diese ist ja gerade, die oft die besten Werkzeuge zum Scheitern verurteilt - erkennen. Auf diesen Topf gehört ein Deckel!

Es lohnt nicht den Zeitaufwand, das vorgestellte, nebulose Phrasenkonglomerat voller Mißkonzeptionen im einzelnen auseinanderzunehmen, denn der Artikel geht an der eigentlichen Problematik, nämlich der "erkenntnistheoretischen" Einstellung der Kommerzwelt zur Informatik, meilenweit vorbei.

Mein Rat an den Autor:

Versuchen Sie´s doch mal mit Lomac (siehe Artikel S. 23 derselben Ausgabe, CW Nr. 48, sowie Nr. 43 vom 26. Oktober 79, Nr. 46 vom 16. November 79 und andere), da sind Sie im richtigen Boot und in der richtigen Gesellschaft. Dort soll man nämlich unbeleckt von jeglichem EDV-Verständnis, genau wie Sie´s fordern!, seine Kommerz- (und anderen) Probleme (falls man sie versteht, nehme ich an!) in seiner Muttersprache darstellen und lösen können. Also, da haben Sie es doch schon: "...Natursprache in Maschinencode übersetzen..." !!! (IBM, Siemens, Fujitsu und die andern schicken wir inzwischen in Erholung von ihren Anstrengungen.)

Der Autor würde sich ein unsterbliches Verdienst um die Menschheit erwerben und damit gleichzeitig in die erlauchte Reihe der Vorbereiter und Bahnbrecher der Computerei eingehen zusammen mit

- Pascal, Leibniz, Babbage, Boole, Wiener, von Neumann,

- Zuse, Aiken, Mauchly, Amdahl, ...

- Turing, Knuth, Dijkstra, Nassi .... Jackson, Ross, (SADT)

- Stevens, Myers, Constantine,... HIPO (-potamus) ...

wenn er es fertigbrächte, uns Computer-H+SW-Technokraten ein Pflichtenheft mit detaillierten, vollständigen, von Know-how strotzenden - und natürlich auch durchdachten - SW-Spezifikationen und HW-requirements vorzulegen, das uns die Realisierung von "Baseware mit unendlich vielen (!), logistikfehlerfreien Einzelprogrammen..etc..." gestattet.

We are anxiously waiting for it to eternity - meanwhile: Die Welt hätte ein Problem weniger, der Kommerz würde aufatmen. ...Wir auch!...

Daraufhin kann ich mich einiger "Fußnoten" meinerseits zum Thema "Grundverständnis Kommerz-EDV" doch nicht enthalten:

Ja, in der Tat, wir haben eine "SW-Krise" - aber nicht wegen der "abartigen" System-Software oder wegen "unverständlicher" (höherer) Programmiersprachen - ein bißchen Pidgin-Englisch genügt schon, und selbst Hottentotten, Russen, Japaner und Chinesen gehen klaglos damit um - sondern:

a) wegen zu vieler EDV-lgnoranten und Schaumschläger,

b) wegen einer zu geringen technisch-wissenschaftlichen (Nachwuchs-) Elite, die - statt auf seichten Gebieten geschraubt daherzuschwafeln - wieder bereit ist, "dicke Bretter zu bohren";

Außerdem haben wir eine Software-Krise,

- weil die Kommerz-Anwender zwar auf den Geschmack gekommen sind, sich ihre bürokratischen Probleme ausgerechnet von den verschrieenen EDV-Profis losen zu lassen, selbst aber meist nicht bereit sind, in dem Maße zu partizipieren oder mitzulernen, so daß sie sich selbst in die Lage versetzen würden, ihre Organisations- und Ablauf-Probleme zu verstehen, zu abstrahieren, zu definieren und zu formulieren - alles Dinge, die, wohlgemerkt (!), sich im organisatorischen Vorfeld abspielen müssen und noch gar keine DV-anlagespezifischen, oder gar Software-lmplementationskenntnisse/Erfahrungen erfordern;

- weil andererseits diese Aufgaben zu oft wahrgenommen werden von "reinen EDV-Fachidioten", die zwar ihre jeweiligen Assembler-Tricksereien virtuos beherrschen, nicht aber sich um einen Gesamtüberblick/Durchblick bemühen (können/dürfen!);

- weil es auf der EDV-Seite oft fehlt an der Fähigkeit (Willigkeit?), sich dem kommerziellen (EDV-Laien) Anforderer gegenüber in dessen Sprache, allgemeinverständlich, auszudrücken und ihm gegenüber auf das EDV-Jargon zu verzichten, das heißt vom Sockel des Profis herabzusteigen;

- weil auf der Kommerzseite die Notwendigkeit nicht allgemein genug erkannt/akzeptiert wird, daß entweder mehr EDV-orientierte Ausbildung heute schon von Anfang an, oder zumindest nachher im beruflichen Weiterbildungsverfahren vonnöten ist;

- weil es ganz offensichtlich dem Ausbildungsplan auf den Hochschulen (reine mathematische Theorie, Compilerbau, etc.), aber genauso offenbar bei den Kaufleuten, Volks- und Betriebswirten, Verwaltungs- und Refa-Leuten am Einbezug und der Vermittlung praxisnahen EDV-Wissens oder zumindest von geeigneten Vorgehensmethoden mangelt;

- weil die Vielfalt der möglichen Probleme und Aufgabenstellungen an die EDV zu groß ist ("unendlich viele ...Programme..") und sich gerade kommerzielle Anwender und je kleiner um so weniger (!), bereit zeigen sich in die Zwangsjacke von "Standardlösungen" hineinzwängen zu lassen;

- weil - und das muß einfach auch mal ausgesprochen werden - bei kleinen und mittleren Unternehmen oft Mangel an Rationalität, geistiger, organisatorischer und geschäftsführender Disziplin herrscht,

- weil... weil... weil... und nicht zuletzt,

- weil ein Großteil unserer Gesellschaft "angeheizt" durch die Gewerkschaften in feindselige Abwehrhaltung gegenüber der EDV (eines der Rationalisierungsmittel) gerückt ist, weil die EDV die Besitzstände, sprich Positionen, von Tausenden von Funktionären und Bürokraten in Frage stellt oder zu mehr Leistungs- und Lernwillen zwingen könnte - weshalb, Dear Mr. Sneed, die Deutschen ganz bestimmt kein Volk von Programmieren werden dürften!

... and last not least - weil wir Dr. Börnings konkretes entnebeltes Pflichtenheft zur Konstruktion und Strukturierung seiner proklamierten "Baseware" noch nicht haben - wofür ihm die Gesellschaft (siehe oben!) der höchste Dankbarkeit schuldig ist!