Thema der Woche/

Nebulöse Euro-Politik behindert DV-Maßnahmen

16.08.1996

Zur Zeit wissen die meisten Anwender weder ob, noch wo sie mit der Umstellung ihrer Datenverarbeitung beginnen sollen. In einer Umfrage der COMPUTERWOCHE zeigten sich Firmen alarmiert, aber letztlich hilflos. Neueste Gerüchte, denen zufolge Frankreich und Deutschland über eine Verschiebung der Währungsunion verhandeln wollen, schüren die Verunsicherung. Typisch ist die Haltung von Friedrich-Wilhelm Küchenberg, Bereichsleiter EDV/Planung und Kontrolle bei der Kaufhof Warenhaus AG, Köln: "Ohne detaillierten gesetzlichen Rahmen zu Art und Zeiträumen der Umstellung ist es unsinnig, mit konkreten DV-Arbeiten zu beginnen."

Erklärungen dieser Art sind durchaus nachzuvollziehen. Die Spezialisten in den DV-Abteilungen haben anderes zu tun, als sich mit vagen Angaben zu befassen. "Wenn ich hier wegen jeder denkbaren Eventualität ein Projekt aufsetzen müßte, würde ich durchdrehen", erklärte ein IT-Manager. Ein anderer gestand ein: "Beim Thema Datum weiß ich, was zu tun ist. Aber bei der Währungsunion schwimmen wir genauso wie alle anderen."

Bei Kaufhof gab es im April ein erstes Meeting zum Thema Euro und DV, beim Konkurrenten Karstadt ebenfalls. Die Ergebnisse fielen ähnlich aus. "Wir sind jetzt in der Ermittlungsphase", erklärt Heinz-Günter Peters, Bereichsleiter Informationswirtschaft bei der Karstadt AG, Essen. Sein Unternehmen brauche mehr "harte Fakten" zur Euro-Einführung, um überhaupt eine Umstellungsstrategie entwickeln zu können. So lasse sich besser feststellen, welcher Art und wo die "Handicaps, Aufwände und Stolpersteine" in der Datenverarbeitung seien.

Kaufhofs DV-Manager Küchenberg erklärt, was sein und seiner Kollegen Problem ist: "Wir können nichts unternehmen, außer uns zu dem Problembereich zu informieren." Alle erwarten klare Aussagen aus Bonn. Aber von dort - oder anderen Orten europäischer Meetings - kommt nicht viel mehr als Sonntagsreden. Die erwarteten politischen Signale betreffen unter anderem die notwendige Änderung der Gesetzgebung und Umstellungsmaßnahmen bei den Behörden. Es hat sich jedoch herumgesprochen, daß auf Behördenebene eigentlich nur das Land Hessen erste DV-technische Maßnahmen erprobt.

Signifikant ist die Meinung eines leitenden DV-Mitarbeiters der Stadt München, der seinen Namen lieber nicht preisgeben mochte: "Die Unternehmen fangen erst mit der Arbeit an, wenn irgendwelche Anweisungen, Richtlinien, Gesetze, Verordnungen oder ähnliches da sind. Die zentrale DV wartet, bis es soweit ist, und dann wird das ruckzuck umgestellt."

Es ist wohl die mangelnde Kenntnis der anstehenden Probleme, die Anwender dazu verleitet, eine problemlose Umstellung im Handstreich anzupeilen. Luis Praxmarer, Chef der deutschen Niederlassung des Marktforschungs- und Beratungsinstituts Meta Group in Ismaning, erkennt: "Das Thema behandeln viele nach dem Motto: Die Postleitzahlen-Umstellung haben wir damals auch geschafft." Solche Verharmlosungen könnten sich rächen, "wenn man den Bedarf an Zeit, Manpower und Budget nicht berücksichtigt". Doch ohne die Sicherheit, wie und wann der Euro kommt und ob es eine Phase geben wird, in der der Bargeldverkehr in beiden Währungen möglich ist, läßt sich der Aufwand schlichtweg nicht kalkulieren. Die DV-Leiter sind in der absurden Situation, beim Management ein Projekt beantragen zu müssen, dessen Inhalte und Aufwände sie nicht präzise beschreiben können.

Ohne die Doppelwährungsphase wäre die Umstellung kein sonderliches Problem. So aber gerät sie zum "Horrorszenario", wie Karstadt-Manager Peters meint. "Wenn man alle DV-Anwendungen grundsätzlich umstellen wollte, müßte man überall Dateien erweitern. So etwas kriegt man nicht hin. Das wäre ein Aufwand, der überhaupt nicht zu bezahlen wäre - und das Ganze für eine Phase von nur sechs Monaten."

Während die Karstadt-DV für die Jahreszahlenumstellung weitgehend Tools verwenden will, erwartet Peters für die Währungsänderung reichlich Handarbeit: "In den einzelnen Anwendungen muß festgelegt werden, was jetzt mit dem Euro geschehen soll. Wird nebenher auch noch die Mark geführt? Da kann mir kein Tool helfen, das muß ich von Anwendung zu Anwendung entscheiden. Kann ich zu einem Stichtag die Mark-Beträge mit dem entsprechenden Umrechnungsfaktor auf Euro umstellen? Das würde den Betrag ändern, aber das Datenfeld bliebe in der Datei genauso bestehen wie früher."

Schon gibt es Stimmen, die die Währungsumstellung als schwierigeres Projekt bezeichnen als die Lösung des Problems der zweistelligen Jahreszahlen. So Jürgen Langemeyer, Geschäftsführer des Tool-Anbieters MSP Manager Software Products GmbH aus Pinneberg: "Der Euro wird aufwendiger als das Problem 2000."

Hinter dieser Aussage stecken nicht nur die Geschäftsinteressen eines Tool-Anbieters. MSP ist eines der DV-Unternehmen, die empfehlen, über die Umstellung von Währungseinheiten und Jahreszahlen hinauszugehen und sich bei dieser Gelegenheit gleich um die Anpassung der Geschäftsprozesse an die neuen Gegebenheiten in der europäischen Wirtschaft zu kümmern.

Wirtschaftliche Vorteile durch den Euro nutzen

Besonders intensiv propagiert Debis diesen Ansatz. Deren Bereichsleiter Holger Becker begründet das so: "Der Euro wird ja nicht gemacht, weil sich Mark so schlecht aussprechen ließe, sondern weil er der europäischen Wirtschaft Vorteile im internationalen Geschäft bringen soll. Wenn eine Firma diese Chancen nutzen will, sollte sie sich überlegen, ob ihre Organisation und die jetzigen Geschäftsabläufe das zulassen."

Die Auswirkungen der neuen Währung auf das Kerngeschäft sind vielfältig und teilweise schwer zu überschauen. Ab dem Jahr 2002 besteht kein währungsbedingter Grund mehr, warum ein in Wolfsburg gebauter VW in Italien preiswerter angeboten werden sollte als hierzulande (siehe Kasten Seite 10: "Der Euro-Fahrplan"). Auch werden in heute international agierenden Unternehmen jene Stäbe überflüssig, die sich mit der Absicherung von Währungsrisiken im europäischen Handel beschäftigen.

Andererseits kann eine Firma, die sich wegen dieses Aufwands auf den deutschen Markt beschränkt hat, ihre Aktivitäten auf die währungsgleichen europäischen Staaten ausweiten. Eine Filiale in Paris ist dann nicht anders zu betrachten als eine in München oder Hamburg.

Von der Euro-Einführung ist neben den Banken vor allem der Handel betroffen. Er gilt nach den Finanzinstituten als die wichtigste Schnittstelle für den Umlauf von Geld. Die Auflage, mit Beginn des Jahres 2002 zwei Währungen in der Preisauszeichnung und bei der Abrechnung zu berücksichtigen, bereitet den meisten Handelsunternehmen Kopfzerbrechen. Nicht nur ist auf den Preisleisten der Regale der Platz knapp, sondern eine zu erwartende "schräge" Umrechnung des Euro macht auch den Kaufanreiz sogenannter politischer Preise wie 1,99 Mark zunichte.

Das "perfekte Chaos" droht an den Kassen

Das "perfekte Chaos", wie es die Zeitschrift "Einzelhandelsberater" kommen sieht, entsteht jedoch an den Kassen. Eine zweite Währung erfordert eine zusätzliche Geldschublade. Noch schwieriger ist die EU-Vorschrift umzusetzen, nach der während der Übergangsphase auf den Kassenbons die Preise in nationalen Währungen und in Euro auszudrucken sind. Für einen Druck zweier Preise nebeneinander sind die Zettel zu schmal, ein zweiter Ausdruck mit Euro-Preisen würde den Papierverbrauch verdoppeln.

Doch nicht alle Fachleute hal- ten die Umstellung im Kassenbereich für problematisch. Siemens-Nixdorf-Mitarbeiterin Marion Bludszuweit etwa erklärt, entsprechende Kassen gebe es längst, in grenznahen Geschäften werde schon seit langem mit zwei Währungen gerechnet. Auch seien bei heutigen elektronischen Systemen die notwendigen Tasten und freien Felder vorhanden, die Software sehe die Prozeduren für doppelte Währungsauszeichnung vor.

Wer sich jedoch bei seinen alltäglichen Einkäufen umschaut, wird feststellen, daß die Mehrheit der Kassen ausgetauscht werden muß. Probleme der Preisauszeichnung und -gestaltung sowie die Kosten für die Kassenumstellung sind die wichtigsten Gründe, warum der Handel den "Big Bang" fordert, die Umstellung auf die neue Währung zu einem Stichtag. Noch vor wenigen Tagen verlangte der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) zum wiederholten Male, auf die Doppelwährungsphase zu verzichten, da sie die Umstellungskosten verdreifachen würde.

Ob nun Big Bang oder nicht: Die Probleme der Währungsumstellung sind auch im Handel komplex. Seit Jahren dienen die Kassen zu mehr als nur dem Abrechnen von Einkäufen. Sie liefern an Warenwirtschaftssysteme Angaben über die verkauften Mengen. Mag dieser Vorgang auch nur geringfügig durch den Euro tangiert werden, so sind die diversen Data-Warehouse-Konzepte, in deren Rahmen beispielsweise Preise und Nachfrage zu bestimmten Verkaufstagen analysiert werden, in jedem Fall betroffen.

Die Währungsumstellung für interne Berechnungen muß nach heutigem Stand der Dinge spätestens zum 1. Juli 2002 erfolgt sein - an dem Tag also, an dem der Euro die einzige gültige Währung sein wird. Schwierigkeiten dürften unter anderem auftreten, weil die Systeme zur Analyse des Verkaufs von Produkten vergangenheitsbezogen arbeiten. Für einen bestimmten Zeitraum muß also jeweils eine Umrechnung der Geldwerte erfolgen.

Vordergründig ist das kein Problem. Man rechnet einen Wert A zu einem Wert B um. Der Teufel steckt jedoch wie so oft im Detail. Zunächst einmal muß herausgefunden werden, welche Systeme überhaupt mit Geldwerten rechnen. Anschließend sind Anwendungssoftware und Datenbanken nach Währungskennzeichen zu durchforsten.

Die Frage ist nun: Sind die Währungskennzeichen in der Software alle eindeutig identifizierbar, oder gibt es auch unkonventionelle Benennungen? Möglicherweise sind einige der betroffenen Anwendungen nicht dokumentiert. In solchen Fällen könnte es besonders dann kritisch werden, wenn die einstigen Entwickler nicht mehr im Unternehmen tätig sind.

Bei einigermaßen gepflegten und dokumentierten DV-Umgebungen dürfte die Identifikation der Währungsstellen kaum Probleme bereiten - ebensowenig die Umstellung von einer Währung auf eine andere. Allerdings könnte die Führung von zwei parallelen Währungseinheiten für Ärger sorgen - vor allem dort, wo die Fakturierung grundsätzlich in einer Währung erfolgt.

Immer dann, wenn sich die Einheit Euro nicht wie eine beliebige weitere Währung handhaben läßt, droht die Sache ernst zu werden. Denn Hinzufügungen könnten ungünstigstenfalls das Schema von Datenbanken oder die Logik von Programmen beeinflussen. Die Auswirkungen von Änderungen wären also vorab zu kalkulieren.

"Der Euro kommt so sicher wie das Jahr 2000", heißt es in einer Broschüre von Debis. In der Tat ähneln etliche Probleme der Währungsumstellung frappant denen des Wechsels von zwei- auf vierstellige Jahreszahlen. Im Prinzip sind dieselben Arbeiten notwendig: Programme durchforsten, Zusammenhänge und Folgen abschätzen, ändern.

Jahrtausend-Umstellung parallel?

Es ist daher nachvollziehbar, was Debis-Manager Becker den Anwendern empfiehlt, die das Problem 2000 noch nicht bewältigt haben: "Man sollte die DV-technische Umstellung der Währung mit der auf vierstellige Jahreszahlen gemeinsam machen. Denn wenn man schon an die Programme ran muß, wäre es Unsinn, das zweimal zu tun."

Das mag für die Analyse von Datenbanken und Anwendungen richtig sein, hinsichtlich der Durchführung der Umstellungen könnten sich Anwender aber schon wegen Personalmangels gezwungen sehen, die Projekte nacheinander durchzuziehen. Die Jahreszahlenumstellung muß spätestens zum 31. Dezember 1999 abgeschlossen sein. Den meisten Anwendern blieben dann noch zwei Jahre für die Euro-Umstellung.

Vorsichtiger Optimismus in Wirtschaftskreisen

Die Hiobsbotschaft kam Mitte Mai: Die Bundesregierung hatte eines von vier Kriterien nicht erfüllt, die nach den Vorgaben aus Brüssel zur Teilnahme an der europäischen Währungsunion (EWU) Voraussetzung sind. Das deutsche Haushaltsdefizit war 1995 mit 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts deutlich über den im Maastrichter Vertrag festgelegten Maximalwert von drei Prozent gestiegen.

In der Zwischenzeit ist dieser Wert sogar auf 3,9 Prozent geklettert, und ein zweites Kriterium, die maximale Höhe der Staatsverschuldung, wird ebenfalls nicht eingehalten. Dennoch gibt sich Finanzminister Theo Waigel zuversichtlich, auf der Grundlage der Wirtschaftsdaten von 1997 den Maastrichter Vorgaben entsprechen zu können.

Offenbar rechnet Waigel damit, daß die von ihm selbst geforderten harten Kriterien ein wenig gelockert werden. "Die Weichmacher kommen", stellte denn auch die "Wirtschaftswoche" fest. Und "Der Spiegel" zitierte Eckhardt Wohler, Leiter der Konjunkturabteilung beim Hamburger Institut für Wirtschaftsforschung HWWA, mit der Prognose: "Die großzügige Interpretation wird kommen, schon deshalb, weil der Vertrag sie zuläßt."

Die Hindernisse, die der europäischen Einheitswährung im Wege stehen, sind vielfältig und beziehen sich nicht nur auf die Nichteinhaltung der Wirtschaftskriterien. Auch die politischen Rahmenbedingungen sind noch nicht geschaffen. So müssen der neuen Währungseinheit nach Auskunft von Holger Becker, Bereichsleiter Marktentwicklung beim Debis Systemhaus, Leinfelden, noch über 4000 Bundesgesetze angepaßt werden - von Landesgesetzen und kommunalen Verordnungen ganz zu schweigen.

Auch die Ablehnung in der Bevölkerung könnte sich als Problem erweisen. Umfragen zufolge war die Mehrheit der Bundesbürger noch im Juni 1996 gegen den Euro. In der Wirtschaft ist dagegen ein Wandel zu einer positiveren Sicht erkennbar. Im Herbst vergangenen Jahres hatte der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) in einer Umfrage unter 25000 Firmen ein ausgeglichenes Verhältnis von Euro-Befürwortern und -Gegnern ausgemacht. Im Januar dieses Jahres ergab eine andere Umfrage im Auftrag der Zeitschrift "Capital" eine deutliche Mehrheit von 77 Prozent Ja-Stimmen unter Führungskräften der deutschen Wirtschaft.

Exportorientierte Unternehmen versprechen sich bessere Absatzchancen. Im europäischen Handel würden Wechselkursschwankungen entfallen. In den letzten Jahren hatten reale Abwertungen anderer europäischer Währungen regelmäßig die Effekte von Modernisierungen und Rationalisierungen zunichte gemacht. Siemens erwartet, Wechselkursrisiken in dreistelliger Millionenhöhe ausschalten zu können.

Andere Wirtschaftsvertreter warnen trotz grundsätzlicher Befürwortung des Euro. Die Kritik richtet sich vor allen Dingen gegen die sogenannte Doppelwährungsphase: Vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2002 sollen nach den bisherigen Plänen sowohl der Euro wie auch die jeweiligen nationalen Währungen gelten. Diese Vorschrift ist nach Ansicht von Hermann Franzen, Präsident des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE), "mit einem unzumutbar hohen Kostenaufwand verbunden".

Der Euro-Fahrplan

Frühjahr 1998

Entscheidung über teilnehmende Länder auf Basis der Wirtschaftsdaten von 1997.

1. Januar 1999

-Unwiderrufliche Festlegung der Wechselkurse der Teilnehmerstaaten untereinander und des jeweiligen Umrechnungskurses zum Euro

-Einführung parallel zu nationalen Währungen im bargeldlosen Zahlungsverkehr zwischen den Banken und - bei Bedarf - zwischen Banken und Kunden

-aus dem 1994 gegründeten Europäischen Währungsinstitut (EWI) wird die Europäische Zentralbank (EZB).

1. Januar 2002

-Euro wird einzig zulässige Währung im bargeldlosen Zahlungsverkehr zwischen den Banken

-der Euro wird in Form von Banknoten und Münzen eingeführt. Er ist neben den nationalen Währungen gültig.

1. Juli 2002

Die nationalen Währungen der Teilnehmer- staaten verlieren ihre Gültigkeit.