Nachwuchsmisere

18.09.1987

Protokolle von Ausschußsitzungen sind oft eine Fundgrube für Sammler geschwollener Redensarten. Beispiel: "Leistung muß sich lohnen. Es wird deshalb angeregt zu prüfen, ob aufbauend auf der beamtenähnlichen Forscherexistenz ein leistungsgerecht vergüteter Karrierepfad für Forscher mit befristeten Verträgen eingerichtet werden kann."

Was sich in dem Bericht "Informationstechnik 2000" des Arbeitskreises Informationsverarbeitung (siehe auch Seite 1) wie eine Kostprobe unfreiwilligen Humors ausnimmt, trifft in Wahrheit den Kern eines "deutschen" Problems: Die einheimische DV-Industrie, so klagen die Verfasser der Streitschrift, lebe von der Hand in den Mund und sei deshalb gegenüber technischen Durchbrüchen von amerikanischen oder japanischen Mitbewerbern sehr empfindlich. Der Arbeitskreis führt dies unter anderem auf einen personellen Engpaß im Bereich Forschung und Entwicklung zurück - qualifizierte Informatiker fehlten an allen Ecken und Enden.

Bis dahin kann man den Autoren ohne weiteres folgen. Daß auf die Nachwuchs- und Ausbildungsmisere an den Universitäten hingewiesen wird, ist viel schlagkräftiger als die stereotype Forderung nach Subventionen für die deutsche DV-Industrie, die von den Mitgliedern des Arbeitskreises natürlich auch wieder erhoben wird. Nur zahlt der Staat ständig für Fehlplanungen. Eine Million nach der anderen verschwindet in umstrittenen DV-Projekten. Wichtig ist doch dieser Aspekt: Besteht überhaupt Nachfrage nach Telekommunikationsdiensten, wie sie auf der Angebotsseite (Post, Hersteller) geplant werden?

Auf diese Schlüsselfrage geht der Bericht nicht ein. Stattdessen werden Klischees aufgewärmt. Daß die Zukunft der Informationsverarbeitung in der "Verschmelzung von Datentechnik und Nachrichtentechnik" liegt, ist ein oft wiederholter Gemeinplatz. Den Genießern von Marketing-Akrobatik mag er etwas geben. Wie aber, wenn da gar nichts zusammenwächst? Wir stoßen erneut auf das Problem der Markt-Vorhersage. Nicht von ungefähr werden CIM und Bürokommunikation als zukünftige Wachstumsfelder genannt. Am Ende findet sich da ein Bedarf - oder auch nicht. Wer weiß das schon so genau.

Der Forderungskatalog des Arbeitskreises läßt sich reduzieren auf einen Grundtenor: Die arg benachteiligte deutsche DV-Industrie sollte vom Staat starker unterstützt werden - Chancengleichheit muß her. Es gibt da das marktpolitische Kalkül, die bundesdeutsche Öffentlichkeit möglichst lange mit der Horror-Vision vom technologischen Entwicklungsland in Arbeitsplatzangst und Weiß-der-Geier-was-Schrecken zu versetzen.

In einer Medien-Szene, in der Firmen wie Nixdorf, Siemens und Mannesmann-Kienzle von den Magazin-Journalisten schon zu High-Tech-Flyern in der Datenverarbeitung hochstilisiert werden, will das freilich nicht so recht klappen. Am Ende mischen die Deutschen gar, neben IBM und DEC, auf dem Computer-Weltmarkt mit - oder auch nicht. Wer weiß das schon so genau.

Eines ist sicher: Es fehlt hierzulande an DV-Sachverstand - bei den Herstellern, bei den Marktforschern, bei den Medien-Vertretern, bei den Ausbildern. Und bei den Mitgliedern von Arbeitskreisen. Ein Nachwuchsproblem, dem mit Selbstbeweihräucherung nicht beizukommen ist.