Nachwuchs nicht gefragt? Weniger Plätze für DV-Kaufleute

15.10.1976

MÜNCHEN - In Hamburg werden heute weitaus weniger Datenverarbeitungskaufleute ausgebildet als vor einem Jahr. September 1975 waren 125 DV-Kaufleute als Auszubildende bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hamburg gemeldet, ein Jahr später nur noch 70. Hans-Wilhelm Persson, der zuständige Ausbildungsberater, sieht die Ursache darin, daß der Nachholbedarf vorerst befriedigt ist.

Als 1969 der "Datenverarbeitungskaufmann" als staatlich anerkannter Beruf geschaffen wurde, waren viele Firmen bereit, Kaufleute mit EDV-Kenntnissen auszubilden. Nachdem 1973 eine Neuordnung bei Lehrberufen wie Bankkaufmnann, Industriekaufmann und Versicherungskaufmann vorgenommen wurde und die Vermittlung von EDV-Grundkenntnissen während der Ausbildung vorgeschrieben wurde, hat der Ausbildungsberuf DV-Kaufmann an Bedeutung verloren.

Mehr Industriekaufleute mit Zusatzausbildung

Außerdem vertreten viele Firmen - so Persson - die Ansicht, daß die betriebswirtschaftliche Schulung in der dreijährigen Ausbildung zu kurz kommt. "Die Firmen bilden lieber Industriekaufleute aus, denen sie später intern noch EDV-Kenntnisse vermitteln", so Persson.

Nachholbedarf gedeckt

Auch bei der IHK Saarbrücken sind die Anmeldungen für die Ausbildung von DV-Kaufleuten zurückgegangen. Die rückläufige Entwicklung wird, damit erklärt, daß 1969 - als der Beruf entstand - die Jugendlichen nach der Ausbildung auch in den Lehrbetrieben blieben. So war nach einigen Jahren der Nachholbedarf gedeckt. In Saarbrücken waren im Dezember 1974 64 DV-Kaufleute gemeldet, im Dezember 1975 nur noch 55.

Weniger Ausbildungsstellen gab es auch in Bayern: Im Dezember 1975 waren insgesamt 161 gemeldet, gegenüber 181 im Vorjahr. In München allein hat sich dagegen die Zahl der Anmeldungen im gleichen Zeitraum von 59 auf 61 erhöht. Ausbildungsberater Gerd Flechner meint dazu, daß heute auch kleinere Betriebe bereit sind. DV-Kaufleute auszubilden.

Wer darf ausbilden?

In der Regel sind es Großbetriebe, die DV-Kaufleute einstellen. Bei kleineren Unternehmen fehlt es oft an der nötigen Personalkapazität und den erforderlichen Einrichtungen. Jeder Betrieb, der die Ausbildungsvorschriften erfüllt, kann Datenverarbeitungskaufleute ausbilden", erklärt Ausbildungsberater Persson. "Oft ist aber die zeitliche Belastung, beispielsweise für theoretische Unterweisungen, für kleinere Unternehmen zu aufwendig."

Meistens bilden nur Betriebe mit großen Anlagen Datenverarbeitungskaufleute aus, obwohl die Größe der Anlage keine Rolle spielt und DV-Kaufleute mit der MDT-Erfahrung gute Chancen haben. Die Kaufleute werden oft als Programmierer eingesetzt. Das Berufsbild sieht den DV-Kaufmann aber hauptsächlich als Mittler zwischen DV-Abteilung und den Fachabteilungen.

Lieber Abiturienten

Voraussetzung für den Beginn der Ausbildung ist die mittlere Reife. "Bei der Fülle von Abiturienten werden fast nur noch DV-Kaufleute mit Abitur eingestellt", meint der Hamburger Persson. Die Firmen haben die Möglichkeit, ihre Lehrlinge zu testen und zu entscheiden, ob sie für den Beruf geeignet sind.

Persson betrachtet es als Vorteil, daß seit 1969 vielen unseriösen DV-Ausbildern das Handwerk gelegt wurde. Doch heute - nach sieben Jahren - ist der Bedarf seiner Meinung nach zum größten Teil gedeckt. Sein Kollege Gerd Flechner aus München ist anderer Ansicht. Er bezieht sich auf den ad-hoc-Ausschuß "Ausbildung von DV-Fachkräften" des Bundesministeriums für Forschung und Technologie. Der Ausschuß hat aufgrund einer Diebold-Erhebung den Bedarf an DV-Fachkräften von 1973 bis 1978 ermittelt. Danach haben auch heute die DV-Kaufleute - so Flechner - noch gute Chancen.