Neue Tatsachenwelt durch den Computer, aber:

"Nachrichten worden noch zu körperlich behandelt"

02.02.1979

HANNOVER - Die mögliche Kommunikation eines jeden mit jedem werde das "wilde Suchen in Akten" bald gänzlich unnötig machen, so Dr. Eberhard Witte, Betriebswirtschafts-Professor am Institut für Organisation der Ludwig-Maximilian-Universität, München, in einem Festvortrag vor Mitgliedern der Industrie- und Handelskammer Hannover-Hildesheim.

In Anwesenheit von Niedersachsens Ministerpräsident Dr. Ernst Albrecht sprach Witte über "die Bedeutung zukünftiger Kommunikationssysteme für Wirtschaft und Politik".

Der ehemalige Vorsitzende der "Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems" (KtK) ließ keinen Zweifel daran, wo der "Entwicklungsschatz" Bildschirmtext, Bürofernschreiben und Kabelfernsehen begraben liege: In der Datenverarbeitung.

Eingehend befaßte sich Witte mit dem elektronischen Briefverkehr ("electronic

mail"). Auf diesem Gebiet habe "eine Art Revolution begonnen". Wenn der elektronische Briefverkehr mit dem Telefaxsystem der Bundespost - wie geplant - noch in diesem Jahr

komme, sei es nur noch ein kleiner Schritt bis zum telekommunikationsreifen Privatbriefverkehr und zum Telekommunikations-Briefkasten: "Dann wird es ein größeres Postgeheimnis geben müssen", so Witte.

Noch behandle der arbeitende Mensch Nachrichten "viel zu körperlich". Remedur werde hier der Teletext schaffen

- der Bürofernschreiber mit Anschluß ans Fernmeldenetz. Witte: "Nichts ist heute billiger als Speicherkapazität - vorzugsweise bei Nacht."

Noch ein weiteres Moment konnte der Münchner in diesem Zusammenhang ins Feld führen: Die Mensch-Maschine-Kommunikation und erst recht die Maschine-Maschine-"Beziehung" bringe die Substitution des Briefverkehrs durch den Datenverkehr.

Mit dieser Entwicklung - parallel zur "guten alten Nachrichtentechnik"

- habe die Computer-Industrie "eine völlig neue Tatsachenwelt geschaffenes - wenngleich die unterschiedlichsten "=waren" das Verständnis all dessen schwer machten, so Witte weiter. Mit der Möglichkeit des "Fernsehbildschirmtextes" im Acht-Minuten-Ortstakt ab 1982/83, der Massenkommunikation per "Bildschirmzeitung" sowie dem Kabelfernsehen der Deutschen Bundespost gäbe es in Zukunft so etwas wie ein absolutes Kommunikationsrecht des Bürgers.

Würde man sich heute, fünf Jahre vor dem Orwellschen Schreckensdatum 1984, über die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Wirkungen derartiger Entwicklungen Gedanken machen - dann käme zumindest er (Witte) zu dem Schluß: Schon 1979 müsse der Anti-Orwell geschrieben werden.