Nachdenken ueber den Anschluss an Multimedia

09.06.1995

Diplomphysikerin Christine Steinbach, Beraterin bei Eutelis Consult, Ratingen

Multimedia beherrscht in Zukunft alles - die Weiterentwicklung von Computern, Monitoren und PDAs sowie Softwareprogrammen und Spielen ebenso wie das Kommunikationsequipment. Freizeit und Arbeitswelt, Einkaufsspass und Weiterbildung werden voellig neu zu definieren sein; es entsteht eine andere Kultur. Heute ist es selbstverstaendlich, von Deutschland aus mit New York, Tokio oder Sydney zu telefonieren; morgen moechten wir mit Hilfe von Multimedia nicht nur unserem Gespraechspartner zuhoeren, sondern ihn auf dem Monitor unseres Bildtelefons sehen. Mit Hilfe von Online- Diensten steuern wir munter auf die Multimedia-Welt zu - Videoclips und Musik werden Farbbilder und Texte abloesen oder zumindest ergaenzen, und was heute bereits auf CD-ROMs zu bestaunen ist, wird in Zukunft direkt in den PC geliefert. Damit nicht genug: Von Video-Servern mit gigantischer Speicherkapazitaet lassen sich in Zukunft Spielfilme nach Wunsch ins Wohnzimmer transportieren, Kataloge werden ersetzt durch elektronische Modenschauen mit Model-Animation.

All dies oder jedenfalls das meiste davon muss ueber weltweite moderne Telekommunikationsnetze abgewickelt werden. Nicht umsonst sind "online" und "Realtime" die Attribute, die Multimedia letztendlich so attraktiv machen - aber sie stehen auch fuer Datenmengen im Mbit/s-Bereich. Breitbandnetze und vor allem entsprechende Dienste muessen also her. Die Deutsche Telekom AG arbeitet schon seit Jahren daran und verweist mit Recht darauf, dass Deutschland eine der modernsten Infrastrukturen mit vielen tausend Kilometern Glasfaserkabel besitzt. Schliesslich gibt es noch ATM als flexibles Vermittlungsverfahren fuer Bitraten im Mbit/s-Bereich - in der Zukunft jedenfalls.

Dennoch, Multimedia fuer jedermann bedeutet, dass ein breitbandiger Dienst die derzeit schmalbandigen Services und Netze ersetzen muss - in den Wohnzimmern ebenso wie in den Bueros. Das heutige ISDN ist da bekanntlich nicht mehr als nur der beruehmte Tropfen auf den heissen Stein. Aufruestung der Infrastruktur? Da existieren natuerlich "Glasfaserprogramme" in den neuen Bundeslaendern.

Auch das Kabelfernseh-Netz der Telekom und das herkoemmliche Telefonnetz aus Kupfer-Doppeladern koenn(t)en aufgeruestet werden, um breitbandige Datenstroeme zu transportieren. Entsprechende Technologien wie ADSL sind weitgehend fertig und einsatzreif. Bleibt die Frage, um die sich momentan alles dreht: Wer soll das bezahlen?

Natuerlich kann man in Deutschland auch schon heute

2-Mbit/s- oder gar 34-Mbit/s-Leitungen mieten, um beliebige Multimedia-Anwendungen problemlos abzuwickeln. Problemlos? Die finanzielle Potenz einer Privatperson reicht dazu nicht aus, die der mittelstaendischen Unternehmen wohl auch nicht. Und fragen Sie mal bei diversen Grossunternehmen nach!

Wo bleibt also unsere schoene neue Multimedia-Welt? Wo ist der in naher Zukunft notwendige Multimedia-Anschluss? Dieser muesste zudem bundesweit zur Verfuegung stehen, problemlos handhabbar sein (Plug and play), in Privathaushalten wie in Bueros installiert werden koennen; muesste also quasi zum Standardanschluss des naechsten Jahrtausends werden. Und er muesste obendrein bezahlbar sein, genauso bezahlbar wie heute das Telefon.

Nachdenken oder besser noch Umdenken ist daher angesagt. Zum Beispiel, was die Tarifierung in der Telekommunikation angeht. Die heute weitgehend uebliche Orientierung an der uebertragenen Datenmenge wuerde mit Sicherheit den Tod aller Multimedia-Dienste bedeuten, bevor diese ueberhaupt so richtig zum Leben kommen.

Andererseits: Das einzige Netz in Deutschland, in dem heute eine Einheitsgebuehr fuer die Uebertragung grosser Datenmengen berechnet wird und das keine Nutzungszeitbeschraenkung kennt, ist das Kabel- TV-Netz, das vom Standpunkt eines Return on Investment gesehen tief in den roten Zahlen steckt. Kann man der Telekom angesichts ihrer Wandlung von der Behoerde zu einem den Gesetzen des Marktes unterliegenden Unternehmen zumuten, noch einmal einen solchen Weg einzuschlagen?

Trotzdem muss, wie schon erwaehnt, ueber die Konsequenzen von Multimedia fuer die Telekommunikation und vor allem ueber neue Tarifkonzepte, die den Multimedia-Markt ueberhaupt erst entstehen lassen, nachgedacht werden. Vielleicht auch ueber ein nationales Infrastrukturprogramm und staatliche Beihilfen. Und auf jeden Fall ueber die Rollen, die Carrier und die kuenftigen Content-Provider im Milliardenmarkt Multimedia spielen werden.