Nach Zugeständnissen des Marktführers bei der Transaktionsverarbeitung ISO neigt bei OSI-Norm zu IBMs SNA-lnterface

06.02.1987

PARIS (cmd) - Ein knappes Jahr nach dem LU-6.2-Debakel des Marktführers in der ECMA deutet sich nun innerhalb der ISO ein Kompromiß an: IBM bringt für die noch ausstehende OSI-Norm im Bereich Transaktionsverarbeitung ein Subset der LU-6.2-Schnittstelle APPC ein, unterstellt dies aber gleichzeitig öffentlicher Kontrolle.

Schon bevor sich die Mitglieder des ISO-Unterausschusses "Transaction Processing (TP)" Ende Januar in Paris trafen und über entsprechende Vorschläge für die OSI-Normierung berieten, war hinter den Kulissen bereits das Wesentliche ausgehandelt worden. Als Beitrag der französischen Standardisierungsbehörde AFNOR (Association Francaise de Normalisation) getarnt, stand ein "Joint Paper" von IBM, Bull und Siemens zur Diskussion, das breite Zustimmung fand und zugleich - zumindest für den wichtigen TP-Bereich - die Konvergenz von SNA und OSI aufzeigt (siehe auch Kolumne, Seite 9).

Das Papier sieht im einzelnen vor, daß IBM einen wesentlichen Subset seiner Advanced-Program-to-Program-(APPC-)Schnittstelle, die wiederum Bestandteil der eigenen LU-6.2-Norm ist, in die OSI-Standardisierung einbringt und sich damit "under public domain" begibt. Darüber hinaus, so hieß es aus dem Kreis der in Paris versammelten ISO-Mitglieder habe sich der Marktführer bereit erklärt, alles, "was jetzt einschlägig aus den ganzen SNA-Wälzern zum Gegenstand der Standardisierung wird", jedem, der es verwenden will, für eine "royalty-free license" zur Verfügung zu stellen.

Doch nicht nur die Armonker zeigten jetzt im Vergleich zu den Vorschlägen vom vergangenen Jahr (siehe CW Nr. 8 vom 21. Februar 1986, Seite 1) Entgegenkommen, auch die meisten ECMA-Mitglieder, die damals IBMs Vorstoß zu Fall brachten, vertreten heute notgedrungen eine gemäßigtere Position. Die Front der Kritiker schaffte es nämlich trotz aller Lippenbekenntnisse zu OSI nicht, eine tragfähige und allseits akzeptable TP-Alternativlösung in die Normungsgremien einzubringen. Statt dessen überboten sich einige Hersteller, so zum Beispiel DEC oder Hewlett-Packard, mit LU-6.2-Kompatibilitätsankündigungen; andere wie Siemens, Nixdorf oder Bull haben Realisierungen der IBM-Norm zumindest in petto.

Das Dilemma der Open-Systems-Protagonisten zeichnete sich bereits im vergangenen Jahr ab, als die ISO den Bereich Transaktionsverarbeitung als neuen "work item" beschloß. IBM brachte über die US-amerikanische Standardisierungsbehörde ANSI das APPC-Modell ein und scheiterte zwar zunächst, aber "spätestens zu diesem Zeitpunkt war uns klar", resümiert einer der Beteiligten, "daß wir in der ECMA auf verlorenem Posten stehen, wenn wir hier nicht sehr schnell eine größere Koalition und ein etwas pragmatischeres Ziel finden werden".

Vor die Wahl gestellt, die TP-Normierung in mühsamer und jahrelanger Kleinarbeit über die ISO voranzutreiben, vielleicht bis 1990 einen internationalen Standard zu haben, den die Anwender dann doch nicht akzeptieren, und zugleich zusehen zu müssen, wie IBM mit LU 6.2 einen neuen De-facto-Standard setzt, oder - als kleineres Übel - mit der APPC-Funktionalität Teile von LU 6.2 zum OSI-Standard zu machen, neigt die Mehrheit der DV-Welt nun offenbar zu letzterem, wenngleich IBM damit "ein paar Produktvorteile" genießt.

Die Gefahr, der Marktführer habe nunmehr Gelegenheit, OSI durch weitere SNA-Elemente aufzufüllen und damit "zu verwässern", wird trotz des sich abzeichnenden Kompromisses allgemein als gering eingeschätzt. Die ISO hat dem Vernehmen nach sichergestellt, daß die APPC-Kommunikations-Schnittstelle auf den vorhandenen OSI-Protokollen abgebildet wird. Der Vorteil dieser Lösung liegt auf seiten der Anwender: Wer SNA fahren will, greift auf die IBM-Abbildung zurück; wer OSI bevorzugt, wählt APPC.

Die Einzelheiten des Deals, der von der Europa-Zentrale der IBM in Paris sowie den ECMA-Mitgliedern Bull und Siemens vorbereitet wurde, sollen noch in diesem Monat auf einem ISO-Meeting weiter festgezurrt werden. Auf einer weiteren Sitzung, die für Juni anberaumt ist, will man zu einem "Approved Draft Proposal" kommen. Der endgültige Standard könnte dann, so die Einschätzung auf der Pariser Tagung, in etwa zwei Jahren verfügbar sein.