Nach LAN und WAN kommt nun das SAN: System Area Network Neue Server-Architektur umgeht bei Multimedia-Daten die CPUs

15.09.1995

MUENCHEN (kk) - "Servernet", das Netzwerk im Rechner, so bezeichnet die Tandem Computers Inc. ihre neue Architektur zukuenftiger Hochleistungssysteme. Das Konzept beruht im wesentlichen darauf, dass der CPU-Bus mittels einer Zwischenschicht, die aus Routern besteht, von den I/O-Bus-Systemen entkoppelt wird.

Moderne Applikationen enthalten Bilder, Sprache, Videosequenzen und herkoemmliche Daten, die - moeglicherweise weltweit - verschickt werden. Fuer diese Art von Software mit enormen Volumina sind derzeitige Rechnersysteme schlecht geruestet. Deren Prozessoren bearbeiten noch jedes Bit selbst - eine Ressourcenvergeudung, glauben die Tandem-Entwickler.

Denn in der Regel liegt die Multimedia-Information, einmal erstellt, vor und soll, beispielsweise zusammen mit einem Anschreiben, nur verschickt werden. Zu unterscheiden sind demnach Daten, die von der CPU verarbeitet werden sollen, und solche, die nur transportiert werden muessen. Und dafuer, so Entwicklungschef Bob Horst, ist der Prozessor im Rechner zu schade.

Alle derzeit verfuegbaren Arten von skalierbaren Systemen arbeiten nach diesem Prinzip und werden, so die Prognose des Bostoner Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Aberdeen Group, von Multimedia-Daten in die Knie gezwungen werden. Systeme mit einem gemeinsamen Hauptspeicher (SMP) lassen sich nur begrenzt erweitern (Abbildung 2, Figur 1). Ab 20 CPUs ist in der Regel das Maximum an Durchsatz erreicht. Bei Cluster-Rechnern (Figur 2) fuehrt der Verwaltungsaufwand fuer die CPU-zu-CPU-Kommunikation zu Engpaessen. Shared-device-Architekturen (Figur 3) kranken ebenfalls am Overhead, der fuer die Wahrung der Datenkonsistenz betrieben werden muss. Bei MPP-Rechnern (Figur 4) fehlt die Verbindung zwischen den Peripheriekomponenten, und das wird, so die Marktberater der Aberdeen Group, bei wachsendem Transaktionsvolumen und laengeren Files den Datendurchsatz auch dieser Rechner beschraenken.

Die Loesung des Problems glaubt Tandem mit Servernet gefunden zu haben. Zugrunde liegt die Idee, ein Netzwerk innerhalb des Rechners zu entwerfen, das eine Kommunikation von jedem Systemteil (CPU, Festplatte, Kommunikationseinrichtung) mit jedem erlaubt. Kernstueck der "Any-to-any"-Struktur bilden Sechs-Port-Routers mit einer theoretischen Bandbreite von 300 MB/s und geringer Latenzzeit, die unter 300 Nanosekunden liegen soll. Durch Zusammenschalten von mehreren dieser als "Servernet Connection Fabric" bezeichneten Router-Module ergeben sich im System Bandbreiten von mehreren hundert GB/s. Die Aberdeen Group berechnete ein theoretisches Maximum von 150 TB/s.

Durch die Moeglichkeit der direkten Kommunikation auch zwischen Peripherieeinheiten koennen Datenvolumina, die nur transportiert werden muessen, beispielsweise Video- und Bilddaten, schneller in das System hinein- oder hinausgeschafft werden. Die CPU erhaelt nur mehr die Daten, die zu verarbeiten sind. Die Router uebernehmen mit ihren ASICs die Verwaltungsaufgabe wie Arbitration und Kontrolle. Sie arbeiten mit dem als "Wormhole Routing" bezeichneten Verfahren, bei dem Datenpakete weitergeleitet werden, noch bevor sie vollstaendig eingegangen sind.

Durch die logische und physikalische Entkoppelung des Prozessors von den I/O-Bus-Systemen entsteht eine hohe Skalierbarkeit und Freiheit bei der Wahl der Topologie. Hersteller von Mehrprozessorsystemen koennen Servernet in ihren Architekturen einsetzen und Hypercubes, Baum- und vermaschte Strukturen entwerfen. Wahlfreiheit besteht dann auch bei den unterschiedlichen Rechnerarchitekturen: SMP- oder MPP-Maschinen oder Cluster-Verbunde erhalten die Router-Zwischenschicht eingezogen. Voraussetzung ist allerdings, dass das jeweilige Betriebssystem im Hardware-Layer an Servernet angepasst wurde.

Geschaetzte 250 Millionen Dollar an Entwicklungskosten steckte Tandem bislang in das zum Patent angemeldete Servernet-Konzept, das zur "Torusnet"-Architektur kompatibel sein soll. Noch in diesem Jahr wollen die Kalifornier mit der "S4000" das erste Vier- Prozessor-Modell mit dem neuen Konzept unter Unix System V zeigen. Der Hersteller garantiert volle Kompatibilitaet zu dem SMP-Rechner "Integrity". Im kommenden Jahr soll dann die "Himalaya"-Serie damit ausgestattet werden. Bis zum Fruehjahr 1996 will Tandem den Non-stop-Kernel angepasst haben.

Tandem will Servernet auch als OEM-Produkt anbieten. Als erster Partner hat sich bereits die NEC Technologies Inc. gemeldet, die zusammen mit Tandem Windows NT auf ein SMP-System mit Mips- Prozessoren bringen will.