Euro-Umstellung/Mittelstand ist noch unzureichend vorbereitet

Nach guten Y2K-Erfahrungen fürchten Anwender den Euro nicht

23.06.2000
Noch bleiben rund anderthalb Jahre Zeit für die Euro-Umstellung, denken sich viele Anwender. Während Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen ihre Hausaufgaben weitgehend mustergültig erledigt haben, zeigen sich viele Mittelständler nach Recherchen von Winfried Gertz* allzu sorglos.

Mit dem Euro, der bisher nicht gerade die Qualitäten einer harten Währung vorwies, haben die Deutschen wenig im Sinn. Die Gemeinschaftswährung, die im wahrsten Sinne des Wortes noch nicht zu "fassen" ist, sehen fast zwei Drittel der Bürger kritisch, ermittelte der Bundesverband der deutschen Banken in einer aktuellen Umfrage. Vor allem die hartnäckige Schwäche gegenüber dem Dollar macht vielen zu schaffen. Die Skepsis soll sich jedoch spätestens mit der Bargeldeinführung ändern.

Ob Unternehmen den Euro gut finden oder nicht, interessiert indessen niemand. Für sie ist die Umstellung eine Pflicht, die sie besser nicht auf die lange Bank schieben sollten. Doch besonders unter Mittelständlern ist die Meinung verbreitet, die mit dem Währungswechsel verbundenen Aufgaben seien quasi "über Nacht" zu bewältigen.

Wie die Softwarefirma Sage KHK ermittelte, haben sich erst zwei Drittel der Unternehmen auf den Euro vorbereitet. Vom restlichen Drittel habe etwa die Hälfte noch überhaupt nichts unternommen. "Zu unseren Informationsveranstaltungen", kritisiert Euro-Spezialist Dr. Heiner Brockmann vom Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) in Berlin, "sind zuletzt kaum noch Leute gekommen."

Anders sieht es bei Großunternehmen und Konzernen aus. Sie sind gut präpariert. Wohin man auch schaut, überall herrscht munteres Treiben, und in sehr vielen Fällen sind die Projekte schon abgeschlossen.

"Wir haben eine Punktlandung hingelegt", freut sich zum Beispiel Michael Reisiger, Projektleiter der ARAG Versicherungen in Düsseldorf. Wie geplant wurden zum 1. Juni 95 Prozent der Anwendungen auf den Euro umgestellt. Der Rest, einzelne versicherungsspezifische Programme und Standardanwendungen in der Personalabteilung, sind Ende des Jahres an der Reihe. Die Frage nach den Kosten darf Reisiger nicht beantworten; allerdings steht fest: 35 eigens für die sechsmonatige Euro-Umstellung rekrutierte DV-Spezialisten, davon zahlreiche externe, dürften allein die Personalkosten in Millionenhöhe getrieben haben.

Nach Angaben der Unternehmensberatung KPMG, die 300 europäische Firmen mit mehr als 5000 Mitarbeitern befragte, wird die Umstellung auf den Euro die Firmen das Fünffache dessen kosten, was zur Abwendung der gefürchteten Jahr-2000-Katastrophe angefallen war. Rund 500 Milliarden Euro habe die europäische Industrie zu zahlen.

Die Gartner Group rechnet noch in der alten Währung. Sie setzt den Aufwand mit 680 Millionen Mark geringer an als KPMG, bezieht aber den Aufwand für die Umstellung von Automaten für Zigaretten, Bargeld, Kondome, Fahrscheine oder Kaugummi nicht ein. Während in Deutschland auf einen Schlag rund 100000 Tonnen Münzen überflüssig werden, gehen Experten davon aus, dass viele Automaten bald nur noch mit Zahl- oder Kreditkarten funktionieren.

Betroffen sind davon vor allem die Kommunen. Sie müssen öffentliche Bargeldautomaten wie etwa Parkuhren umrüsten. Dennoch gibt man sich optimistisch. So ist der Ostdeutsche Giro- und Sparkassenverband (OGSV) überzeugt, die Einführung des Euro sei durchaus im Rahmen der kommunalen Haushalte zu bewältigen. Dies hat zumindest ein Modellprojekt ergeben, an dem sich fünf Gemeinden beteiligten. OGSV-Präsident Rainer Voigt: "Die Umstellung auf die neue Währung ist auch eine Chance für die Kommunen, ihre Arbeitsabläufe zu modernisieren und zu rationalisieren."

In der Wirtschaft werden bei der Währungsanpassung unterschiedliche Prioritäten gesetzt. Ein Beispiel dafür ist der Sanitärspezialist Geberit. Zur neuen Gemeinschaftswährung wechselte das Unternehmen, das neben dem Hauptsitz im schweizerischen Rapperswil auch die Produktionsstandorte Pfullendorf in der Schwäbischen Alb und Pottenbrunn in Österreich unterhält, bereits im letzten Jahr. "Unerlässlich", so Ursula Vogel, Leiterin der Produktionslogistik, "war die umfassende Dokumentation vergangener Geschäftsjahre in alter Währung." Nur so seien Revisionsanforderungen und andere Bedürfnisse der Fachabteilungen zu erfüllen. Fehlende Belege, die Rundungsproblematik und verloren gegangener Zugriff auf Belege in alter Währung würden laut Vogel den Unternehmen erhebliche Kosten insbesondere in der Produktionssteuerung, im Einkauf und Kundenservice bescheren.

Zunächst archivierten die Umstellungsspezialisten bei Geberit ihre mit der alten Währungsinformation verknüpften Daten in 3000 Drucklisten, die auch nach der Währungsumstellung elektronisch im Online-System verfügbar sind und sich über ein Dokumenten-Management-System von Ixos individuell recherchieren lassen. Dauerhaft ins Archiv wanderten insgesamt 25 Millionen Belege aus den SAP-R/3-Modulen CO, CO-PA, LIS, MM und FI. "Innerhalb eines Wochenendes im Mai 1999", so Vogel, "stellten wir alle produktiven R/3-Systeme auf den Euro um."

In trockenen Tüchern sind die Umstellungsprojekte auch bei der Dresdner Bank, der Landesbank Rheinland-Pfalz sowie bei dem Chemieunternehmen Hoechst und der Deutschen Telekom. Nach Angaben der in allen Fällen beteiligten Beratungsfirma Deloitte Consulting stellte die Dresdner Bank rund 6000 Programme, gebündelt in 180 große Anwendungskomplexe, rechtzeitig auf den Euro um. Bis zur Premiere am 2. Januar 1999 wurden die neuen Systemfunktionen in Verbund- und Integrationstests, die seit Mitte 1998 auf drei Host-Testanlagen stattfanden, zunächst in der D-Mark-Umgebung geprüft und im zweiten Schritt in der Euro-Umgebung durchgespielt.

Bei der Landesbank Rheinland-Pfalz (LRP) setzte man andere Akzente. Um den starken Anteil an Fremdwährungsgeschäften adäquat in den Geschäftsbüchern abbilden zu können, nutzte die LPR die Euro-Umstellung Anfang 1999 zur Einführung von SAP. Wurden die Geschäfte in Fremdwährungen früher aus den Nebenbüchern in die Währungsbuchhaltung übertragen, dort in die Hauswährung D-Mark umgestellt und dann im Hauptbuch zusammengeführt, erledigt das SAP-System diese Aufgaben nun automatisch. Nach Angaben des Bankinstituts belief sich der Gesamtaufwand des Euro-Projekts auf 65 Mannjahre, wovon zwei Drittel allein auf DV-Arbeiten entfielen. Auf den Tisch blätterte LPR etwa 2,5 Millionen Mark für die Unternehmensberatung und zirka 2,3 Millionen Mark für das neue SAP-System.

Bereits zum 1. Januar 1999 hat auch der Chemiegigant Hoechst den Euro als Transaktions- und Hauswährung eingeführt. Die Holding bestimmte Eckdaten für die Euro-Umstellung und kontrollierte die Umstellungsaktivitäten ihrer Konzerngesellschaften. Eine Kernaufgabe bildete die Umstellung sämtlicher Bankverbindungen im Euro-Land sowie der Cash-Management-Systeme. Zehn Mitarbeiter koordinierten in der Frankfurter Konzernzentrale den Währungswechsel.

Mit anderen Herausforderungen sah sich die Deutsche Telekom konfrontiert. Denn sie stand vor dem Problem, dass ein Drittel ihrer Kunden die Rechnungsstellung in Euro strikt ablehnt. Wie aus einer internen Studie hervorgeht, hätten Kreditinstitute lediglich ein Prozent der Privatkundenkonten im ersten Halbjahr 1999 auf die neue Währung umgestellt. Nach gut einem Jahr Vorbereitungszeit führte die Telekom zu Beginn des Jahres 1999 den Euro als Transaktionswährung ein und stellte das externe Berichtswesen darauf um. Wie der Carrier mitteilt, wurden von insgesamt 440 DV-Systemen 250 "Euro-fit" gemacht. Aktuell werde auch die Hauswährung auf den Euro umgestellt.

Gute Karten in Sachen Euro hat die Tourismusindustrie. In der Erwartung, dass durch die neue Währung rund vier Prozent des Jahresumsatzes eingespart werden können, sind viele Projekte bereits unter Dach und Fach. So hatte die Bayerische Landesbank mit Sitz in München ermittelt, deutsche Urlauber könnten durch Wegfall des Devisenumtauschs rund eine Milliarde Mark sparen, während Veranstalter rund acht Milliarden Mark bei den Fremdwährungskosten gewinnen würden. Wie es beim Deutschen Reisebüroverband (DRV) in Frankfurt heißt, machen deshalb viele Veranstalter den Euro zur Hauswährung und zeichnen ihre Kataloge neu aus.

Anders sieht die Situation in der Versicherungsbranche aus. Wie die Hamburger Beratungsgesellschaft Mummert und Partner vor wenigen Wochen erläuterte, sei die Euro-Umstellung unmittelbar mit rund 3900 Gesetzesänderungen verknüpft. "Die Auswirkungen für die rund 700 Unternehmen sind enorm", so Mummert-Vorstandschef Wilhelm Alms. Reihe man die einzelnen Blätter der Euro-Gesetzestexte, Verordnungen, Rundschreiben, Anordnungen und Richtlinien aneinander, ergäbe dies eine Strecke von 15000 Kilometern.

Dass sich Jahr-2000- und Euro-Umstellung kaum vergleichen lassen, darauf verweist Winfried Degen, Versicherungsmathematiker bei der Alldata in Hamburg und verantwortlich für die Euro-Umstellung bei der Hanse-Merkur Versicherungsgruppe. "Während die Jahr-2000-Umstellung primär einem mechanischen Lösungsprinzip folgte, müssen wir diesmal versicherungsfachlich an das Thema herangehen." Gemeinsam mit den Fachabteilungen habe man zunächst sämtliche Geschäftsprozesse durchforstet, bevor man sich an die programmtechnischen Änderungen begeben konnte. Allein die Rundungsproblematik, erklärt Degen, habe die Hanse-Merkur veranlasst, hohe Rückstellungen zu bilden.

Mit der nicht unbedingt "prickelnden" Aufgabe der Überprüfung und Korrektur von rund 400 Haupt- und 300 Unterprogrammen sind Fachkräfte beschäftigt, die versicherungsfachliches Wissen mitbringen. "Sie sind nicht identisch mit jenen Spezialisten, die zuvor im Jahr-2000-Projekt mitgearbeitet haben." Ein Tool, hebt Degen ausdrücklich hervor, könne nicht viel ausrichten.

Genau das Gegenteil behauptet aber Michael Reisiger von der Arag-Projektgruppe. "Das eingesetzte Werkzeug hat uns unheimlich geholfen." Bei zehn Millionen Programmzeilen (LOC) sei die Codeanalyse überhaupt nicht zu leisten. Mit Eurosmart von Merant hingegen hätte man die relevanten Programmstellen und Betragsfelder, die sich in den großrechnerdominierten Altanwendungen verstecken, zuverlässig gefunden. Auf die gemeinsam mit den Fachabteilungen durchgeführte Analyse, resümiert Reisiger, entfielen weit weniger als 30 Prozent des gesamten Zeitbudgets.

Während Banken und Versicherungen sowie die Industrie sich ausführlich mit der neuen Währung auseinandergesetzt und ihre Umstellungsprojekte inzwischen zum überwiegenden Teil abgeschlossen haben, benötigt der Mittelstand noch kräftige "Anschubhilfe". Die derzeitige Lethargie gegenüber dem Thema kann sich Karl Kürzinger von der IHK München und Oberbayern nur damit erklären, dass die Firmenchefs nach dem Theater um die vermeintlich drohende Y2K-Katastrophe erst einmal den Kopf in den Sand stecken.

"Wir können sie mit unseren Informationsangeboten einfach nicht erreichen", klagt Kürzinger. Zwar beschäftige man sich ausführlich mit den Themen Preis- und Kataloggestaltung. Doch statt über technische Fragen wie zum Beispiel Schnittstellen-Probleme bei Softwareprogrammen zu sprechen, bleibt es bei der psychologischen Barriere: "Warum soll es bei der Euro-Umstellung anders zugehen als bei den glatt verlaufenen Jahr-2000-Projekten?" Für Tempo soll deshalb ein bei Siemens neu eingerichteter Arbeitskreis sorgen, in dem sich Unternehmen, Verbände und Berater zusammengefunden haben. Ob dessen Überzeugungskünste beim desinteressierten Publikum ankommen, bleibt abzuwarten.

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.