Nach Entlassungen ist die Motivation am Boden

23.07.2003
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Ein Firmenzusammenschluss oder eine Umstrukturierung, bei der Mitarbeiter das Unternehmen verlassen müssen, bringt Unruhe. Für das Management kommt es mehr denn je darauf an, den richtigen Ton zu finden, und das Vertrauen der Mitarbeiter nicht zu verlieren.

Sie werden Revitalisierungsprogramme oder „Survivor Training“ genannt. Die Rede ist von den vertrauensbildenden Maßnahmen von Unternehmen, die sich von Mitarbeitern getrennt haben und nun dabei sind, mit den Verbliebenen die Zukunft der Firma zu gestalten. „Genau wie ein Betrieb bei der Entlassung mit seinen Beschäftigten umgeht, wird er dies auch danach tun“, ist AOL-Personalchef Stephan Dahrendorf überzeugt. Man müsse die Ängste der verbliebenen Mitarbeiter ernst nehmen und eine Vertrauensbasis schaffen.

Keine teuren Hotels und externe Trainer

Für den Hamburger Manager bildet das mittlere Management die tragende Säule nach der Restrukturierung: „Die Abteilungsleiter müssen in Schwung gebracht und auf die neuen Ziele eingeschworen werden.“ Wenn dies geschehen ist, sollten sie mit den Mitarbeitern sprechen, um deren neue Rollen und Aufgaben zu formulieren. Der 39-jährige Dahrendorf, der Erfahrungen im Personal-Management von Philip Morris und beim Axel Springer Verlag gesammelt hat, kümmerte sich um die Betreuung und Schulung seiner Führungskräfte. Er machte ihnen deutlich, wie sie mit dieser schwierigen Situation nach der Entlassungswelle umzugehen haben und wie die Gespräche in den Abteilungen laufen sollten.

Dahrendorf verzichtete auf externe Trainer und teure Hotels und organisierte selbst Workshops. Darüber hinaus hat die Geschäftsführung darauf geachtet, dass die Mitarbeiter, die nach der Umstrukturierung Schlüsselpositionen erhielten, über gute kommunikative Fähigkeiten verfügen und Ruhe und Struktur ins Unternehmen bringen. „Klarheit, Offenheit und Respekt gegenüber den Mitarbeitern - das war uns das Wichtigste, was die Führungskräfte können müssen“, definiert der oberste AOL-Personaler die Richtung.

Auch für Thomas von Baross, Geschäftsführer der Bintec Access Networks aus Nürnberg, war Offenheit gegenüber seinen Mitarbeitern die wichtigste Voraussetzung, um nach der Insolvenz des Vorgänger-Unternehmens, der Bintec Communications AG, weitermachen zu können. Die neue Firma musste ihre Mitarbeiterzahl von 90 auf 50 reduzieren. Im Rahmen eines Outplacement-Programms, an dem sich 20 Mitarbeiter beteiligten, kamen immerhin mehr als die Hälfte der Teilnehmer bei anderen Betrieben unter. Die Verbliebenen wurden regelmäßig, sei es über Betriebsversammlungen, Telefonate und Mails über die Entwicklung des Unternehmens informiert.

„Wir konnten nach der Insolvenz nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“, gesteht Baross. Deshalb hatte man sich in der Chefetage vorgenommen, alle wichtigen Zahlen regelmäßig mitzuteilen, um alle Mitarbeiter ins Bild zu setzen. Sein Unternehmen hat in den ersten beiden Quartalen die Umsatzziele leicht übertroffen. „Das war die größte Motivation für die Mitarbeiter“, die seit geraumer Zeit solche Nachrichten vom eigenen Arbeitgeber nicht mehr kannten.

Susanne Rausch, Geschäftsführerin der Berliner Outplacement-Beratung Act Value Management Consult, empfiehlt den Unternehmen, den nach Kündigungswellen im Unternehmen verbliebenen Mitarbeitern möglichst schnell Orientierung zu geben. Die Beschäftigten seien meistens verängstigt, leisteten Dienst nach Vorschrift und bemühten sich, keinen Fehler zu machen. „Die Energie der Mitarbeiter steht dem Unternehmen zum Teil ganz wenig zur Verfügung“, warnt die Berliner Beraterin. Gefährlich werde es, wenn eine Einstellung um sich greife nach dem Motto: „Egal wie ich mich anstrenge, spätestens beim nächsten Mal bin ich dran.“

Potenzialanalyse hilft weiter

Damit das nicht passiert, plädiert Gerd Selig, Berater beim traditionsreichen Outplacement-Unternehmen Stoebe, Kern und Partner (SKP), dafür, die Leistungsträger schnellstmöglich zu identifizieren („Ihr seid dabei“) und denjenigen, die nicht weiter in der alten Funktion vorgesehen sind, reinen Wein einzuschenken („Wir sehen Sie nicht mehr in dieser Aufgabe“).

Herbert Mühlenhoff, Chef der gleichnamigen Unternehmens- und Outplacement-Beratung sowie Vorsitzender des deutschen sowie europäischen Outplacement-Verbandes, berichtet von einem Fall, in dem die Hauptabteilungsleiter auf der ganzen Linie versagten, als es darum ging, nach einer Restrukturierung die Ziele des Unternehmens neu zu definieren. „Die konnten das einfach nicht“, so Mühlenhoffs Beobachtung. Das Delta zwischen den Anforderungen an die neue Stelle und der aktuellen Qualifikation sei oft groß.

Die Geschäftsführer müssten sich ehrlich die Frage beantworten, welche Mitarbeiter entwicklungsfähig seien und welche nicht. Aber auch jeder Angestellte sollte sich überlegen, ob und welche neuen und zusätzlichen Aufgaben er übernehmen und was sein Beitrag im „neuen“ Unternehmen sein kann.

Als Instrument empfiehlt Eberhard von Rundstedt, Outplacement-Experte der ersten Stunde in Deutschland, die Potenzialanalyse. Er hält sie deshalb für wichtig, weil in so einem konfliktreichen Umstrukturierungsprozess Mitarbeiter und Führungskräfte manchmal auch aus politischen Gründen auf der Strecke blieben. Da könnten Versetzungen Wunder bewirken.

Der Nürnberger Linux-Distributor Suse Linux AG hat damit beste Erfahrungen gemacht, wie Personalchefin Nina Stix bestätigt. Nach dem kräftigen Personalabbau vor zwei Jahren hat die Linux-Company stark auf interne Personalentwicklung und die Eigeninitiative der Mitarbeiter und Führungskräfte gesetzt: „Wir haben viel getan, was wenig Geld gekostet hat“, schildert die Managerin. Mitarbeiter wechselten in neue Positionen und wurden „on the Job“ weitergebildet. Führungskräfte bildeten Arbeitskreise, um sich über ihre Aufgaben auszutauschen. Höhepunkt dieser Aktivitäten für mehr Transparenz ist die Einführung von Gehaltsbändern für alle Berufsgruppen, die den Mitarbeitern auch bekannt gemacht werden. So wissen nun die Beschäftigten, was bei ihnen ein Entwickler oder ein Produkt-Manager verdienen kann.