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"Henne-Ei-Problem"

Nach einem Jahr nur wenig Schwung bei Zusatzdiensten mit "ePerso"

02.11.2011
Der digitale Personalausweis wurde als Durchbruch für ein sichereres Internet angekündigt, vor allem dank Zusatzfunktionen wie die Online-Identifizierung.

Ein Jahr nach dem Start der neuen Personalausweise warten ihre Besitzer immer noch auf die versprochene Vielfalt von Zusatzdiensten. Das lässt die Differenzen zwischen IT-Wirtschaft und Politik stärker zutage treten. Der Präsident des IT-Branchenverbandes BITKOM, Dieter Kempf, klagte zum Jahrestag über mehrere Punkte, an denen es der Industrie nicht schnell genug geht. So hätte er sich gewünscht, dass die Identifizierungs-Funktion (eID) standardmäßig bei allen digitalen Ausweisen eingeschaltet wäre, sagte Kempf am Dienstag in Berlin. Stattdessen können die Nutzer sie nach Wunsch bei den Bürgerämtern freischalten lassen.

Seit dem 1. November 2010 haben 8,5 Millionen Bürger den "ePerso" bekommen, bis Ende des Jahres sollen es zehn Millionen sein. Es sind hauptsächlich diejenigen, die einen neuen Personalausweis brauchten, weil der alte ablief, wie eine BITKOM-Umfrage zeigt. Die digitale Identifizierung haben sich laut Erhebungen rund drei Millionen Menschen freischalten lassen. Auch das sei ein Erfolg für das erste Jahr, sagt der IT-Direktor im Bundesinnenministerium, Martin Schallbruch.

Allerdings scheint das nicht genug zu sein, damit die Wirtschaft in großem Stil auf die neuen Möglichkeiten anspringt. Die Bilanz des ersten Jahres bei den Zusatzdiensten wirkt ernüchternd: Bisher bieten vor allem Versicherungen und Kommunen sowie einige Behörden und Anbieter von Erwachsenen-Unterhaltung die Identifizierung per "ePerso" an.

Auf die schwache Verbreitung der Zusatzangebote führt Kempf auch zurück, dass nur drei Viertel der Besitzer mit ihrem neuen Kärtchen zufrieden sind. Denn es sorge für Enttäuschung, wenn der Inhaber feststelle, "dass er eine eID-Funktion hat, aber nichts damit anfangen kann". Nicht zu vergessen: Der neue Personalausweis ist deutlich teurer - und den Bürgern wurde versprochen, dass sie dafür viel mehr mit ihm anfangen können.

Kempf sieht bei den Zusatzdiensten das "typische Henne-Ei-Problem" und glaubt, dass die Investitionen in Anwendungen für den "ePerso" immer schneller fließen werden, je mehr Menschen damit erreicht werden können. Schließlich sei absehbar, dass spätestens in neun Jahren alle Bürger die digitalen Ausweise haben werden. "Da darf man auch nicht ungeduldig sein", sagte Kempf versöhnlich.

Zugleich beklagt er jedoch, dass die Beamten in den kommunalen Amtsstuben zu wenig darüber wüssten, was man mit der ID-Funktion alles machen kann. Entsprechend schlecht könnten sie dies dann den Bürgern vermitteln. Er hätte sich außerdem gewünscht, dass die Zusatzdienste auch für Perso-Besitzer im Alter unter 16 Jahren nutzbar wären, sagt Kempf.

Auch auf diese Forderung geht die Politik nicht ein. Es sei zwar diskutiert worden, aber am Ende habe man nicht soviel Verantwortung in die Hand von Kindern legen wollen, sagt Schallbruch. Auch die Freischaltung der Zusatzdienste sei bewusst freiwillig, weil es zunächst darum gehe, Vertrauen bei den Bürgern zu schaffen.

Auch die Entscheidung, einfache und damit stärker für Angriffe von Online-Kriminellen anfällige Lesegeräte zu fördern, verteidigt das Innenministerium. In den vergangenen Monaten hatte unter anderem der Chaos Computer Club gezeigt, wie sich ein Angreifer zumindest bei einigen Anmelde-Vorgängen und unter bestimmten Umständen für einen "ePerso"-Nutzer ausgeben kann - wenn ein Lesegerät ohne eigene PIN-Tastatur eingesetzt wird. Schallbruch betont, im Vergleich zur üblichen Anmeldung mit einer Kombination aus Benutzername und Passwort sei auch ein einfaches Lesegerät drastisch sicherer. Es sei eine Frage der Risikoabschätzung gewesen. "Und wenn wir nur die teuersten Lesegeräte gefördert hätten, dann hätten wir nicht diese Verbreitung bekommen." (dpa/tc)