Die neue Rolle des CIO/Der Rückzug auf die operationale Ebene wäre fatal

Nach dem E-Hype bleibt - der CIO

05.10.2001
Die E-Commerce-Euphorie ist der Ernüchterung gewichen. Jetzt steht der CIO in der Kritik. Doch wer aus übertriebener Vorsicht in die Rolle des reinen Verwalters zurückfällt, gräbt sich selbst das Wasser ab. Gefragt sind strategische Denker, die den Wandel vorausschauend gestalten - einschließlich der eigenen Organisationsstruktur. Von Martin Lippert*

In der heißen Phase der E-Business-Euphorie galt der Chief Information Officer als Hoffnungsträger der Unternehmen. Dreistellige Millionenbeträge für einschlägige Projekte waren keine Seltenheit. Sie drückten aus, was von dem CIO erwartet wurde: nicht weniger als die Neuauflage des oft gescheiterten "großen Sprungs". Die Hoffnung auf kurzfristige Wunderlösungen diente als Droge gegen die plötzlich grassierende Angst, einen wie auch immer gearteten Anschluss zu verpassen. Elektronische Marktplätze und Portal-Frontends wurden aus dem Boden gestampft. Die Frage, wie die dahinter stehenden Prozesse eingebunden werden sollten, hätte die allgemeine Euphorie nur gestört.

Der Überschätzung folgte der Absturz. Nachdem die hohen und in Folge der Isolation vieler "E"-Projekte meist illusorischen Erwartungen enttäuscht worden waren, benötigten die Verantwortlichen einen Sündenbock - und fanden ihn im CIO. In der Konsequenz wurden viele IT-Budgets drastisch gekürzt, die Verantwortungsbereiche der Chefinformatiker radikal beschnitten. So versuchen die Unternehmensleitungen, Vertrauen durch Kontrolle zu ersetzen - und offenbaren ein weiteres Dilemma: Wie lassen sich IT-Investitionen bewerten, wenn nicht durch das Know-how dessen, der die technische Kompetenz im Vorstand verkörpert?

Allmählich setzt sich eine realistische Haltung durch. Die Firmen investieren wieder verstärkt in E-Projekte - allerdings mit einer wesentlich veränderten Zielsetzung: Investitionen werden nach längerfristigen betriebswirtschaftlichen Kriterien bewertet. Statt auf rasche, isolierte Lösungen setzt man auf konsequente Integration der Geschäftsprozesse und auf Neuausrichtung der kompletten Wertschöpfungskette.

Mit dem Sieg der Systematik über den Wunderglauben hat nun der CIO endlich die Chance, seine wirklichen Stärken auszuspielen: die Integration von IT und strategischer Business-Planung. Voraussetzung ist, dass er seine Rolle mutig und konsequent ausfüllt.

Übersteigerte und bisweilen widersprüchliche Erwartungen an den CIO sind nicht neu. Das belegt der "CEO-Census", den das Beratungsunternehmen Compass in diesem Jahr schon zum zweiten Mal vornahm. Aufschlussreich sind dabei vor allem die Kriterien, nach denen die Investitionen in E-Business bewertet werden: Die Palette reicht von der Abstimmung auf die Geschäftsstrategie über Return on Investement und den Beitrag zum Unternehmenswachstum bis zur Optimierung operativer Abläufe und Stärkung der Wettbewerbsposition.

Angesichts der enormen Bandbreite an strategischer Verantwortung wird klar, dass sich der CIO nur durch eine offensive Gestaltung seiner Rolle behaupten kann. Rein reaktive Verhaltensweisen sind zum Scheitern verurteilt - obschon sie nach wie vor häufig anzutreffen sind. "Wenn Sie mich als Mitglied der Geschäftsleitung fragen, hätte ich schon eine Meinung. In meiner Rolle als IT-Chef kümmere ich mich aber lieber darum, dass der Laden funktioniert." Diese Aussage aus dem Industriesektor spiegelt das Dilemma vieler CIOs wider. Durch jahrelanges rein reaktives Verhalten sind sie zu Verwaltern des Mangels geworden; sie halten den IT-Betrieb irgendwie am Leben, denken nur von Projekt zu Projekt.

Hinter dieser Einstellung verbirgt sich primär ein strukturelles Problem. Meist sind weder die Verantwortlichkeiten klar definiert noch die Strukturen und wechselseitigen Abhängigkeiten bei der Leistungserbringung transparent. Dass in solchen Konstellationen innovative Ansätze kaum gedeihen, dürfte niemanden verwundern.

Der Rückzug des CIO aus der Unternehmensverantwortung und die daraus resultierende Unzufriedenheit der Anwender bilden eine Negativspirale, die die Barrieren zwischen den Bereichen verstärkt. "Wir haben hier den operativen Betrieb sicherzustellen, für die Inhalte der Anwendungen sind wir nicht verantwortlich." Diese Aussage aus dem Versicherungssektor steht für die häufig anzutreffende Unkultur der Nichtkommunikation.

Mit einem solchen Selbstverständnis stellt sich der CIO letztendlich selbst in Frage. Denn der Begriff Chief Information Officer wurde ja gerade wegen der neuen strategischen Herausforderung geschaffen. Nur wer diese Verantwortung annimmt, wird seine Existenzberechtigung unter Beweis stellen können. Dem CIO, der sich aufgrund der aktuellen Turbulenzen wieder auf eine Verwalterrolle zurückzieht, droht konsequenterweise das Outsourcing. Schließlich ist der Gedanke an eine Auslagerung der IT-Funktionen in den vergangenen Jahren auf der Prioritätenliste vieler CEOs immer höher geklettert.

Geradezu tragische Züge nimmt die Geschichte an, wenn der IT-Leiter auf diese Konsequenz des reaktiven Verhaltens erneut reaktiv antwortet - nach dem Motto: Lass die doch zu externen Anbietern gehen, die kommen schon wieder zurück. Wer hofft, dass sich die Probleme von selbst erledigen, darf sich endgültig aus der Gilde der CIOs verabschieden.

Der CEO wünscht sich den CIO als einen kompetenten Partner, der auf demselben Level denkt und strategische Fragen beantworten kann. Er soll helfen, richtungsweisende Investitionen voranzutreiben und technische Implikationen betriebswirtschaftlicher Entscheidungen zu erkennen.

Dazu braucht der CIO zunächst einmal das entsprechende Selbstverständnis. Er muss seine Rolle aktiv definieren, eine zur Unternehmensstrategie passende Vision entwickeln und für deren Umsetzung eintreten. Zugleich ist er selbst dafür verantwortlich, dass seine Arbeit auch verstanden wird. Wie ein externer IT-Dienstleister muss er Funktionen und Prozesse den internen Kunden gegenüber so transparent machen, dass diese ihn gerecht bewerten und Vertrauen aufbauen können.

Die Black-Box transparent machenDafür wiederum sind Instrumente nötig, die die Lücke zwischen der betriebswirtschaftlich-strategischen und der technischen Welt möglichst nahtlos schließen. Was ist beispielsweise auf der operativen Ebene zu tun, wenn die IT die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens stärken soll? Um den Prozess zwischen diesem abstrakten Ziel und den konkreten Maßnahmen transparent zu machen, braucht der CIO einen Steuerungsmechanismus. Hier bietet sich ein Kennzahlensystem in Baumstruktur an: Auf der oberen Ebene werden verständliche strategische Kennzahlen definiert, die sich auf operative Einflussgrößen zurückführen lassen, wobei über alle Stationen hinweg der Ursache-Wirkung-Zusammenhang erkennbar bleiben muss. Aus dem Ziel Wettbewerbsfähigkeit werden so die Erfolgsfaktoren Produktqualität, Termineinhaltung sowie Kostensenkung abgeleitet und systematisch heruntergebrochen - die Kosten beispielsweise auf Personal-, Hardware- und Software- sowie Infrastrukturkosten je Mitarbeiter. So wird die Black-Box IT-transparent.

Innerhalb eines solchen Modells wird deutlich, welche Maßnahmen und Mittel erforderlich sind, um bestimmte betriebswirtschaftliche Ziele zu erreichen. Durchaus erwünschter Nebeneffekt: Widersprechen sich die Zielvorgaben, bleibt der schwarze Peter nicht an der IT hängen.

Im einem äußerst dynamischen Marktumfeld können sich die Unternehmensstrategien und damit die Vorgaben für die IT sehr schnell ändern. Entsprechend häufig stellt sich die Frage, welche IT-Strukturen die jeweiligen Ziele am besten unterstützen. Der CIO steht damit vor einer weiteren Revolution seines Selbstverständnisses: Er muss die aktive, vorausschauende Haltung auf die eigene Organisation ausdehnen.

Kongenialer Partner gesuchtJedes Unternehmen vollzieht eine Gratwanderung zwischen zentraler Kontrolle und lokaler Autonomie. Startet beispielsweise in einem Konzern jeder Geschäftsbereich eine eigene E-Commerce-Initiative, werden Koordination und Integration der Backend-Prozesse bald zum Problem. Diktiert umgekehrt die IT-Zentrale Technologie und Lösungen bis ins Kleinste, lässt das Verantwortungsbewusstsein der Anwender bald zu wünschen übrig. Hinzu kommt, dass gerade bei international operierenden Unternehmen die Regel gilt: Die Business-Unit ist ausschlaggebend. Solange eine Landesgesellschaft wirtschaftlich erfolgreich arbeitet, kann ihr kein IT-Vorstand "reinreden".

Bei der Herausforderung, den organisatorischen Wandel aktiv zu gestalten, helfen dem CIO neue gedankliche Ansätze wie das "Governance Modell" (siehe Grafik "Alternativen für die IT-Steuerung"). Solch ein Modell umfasst unterschiedliche Möglichkeiten, wie sich fachliche und disziplinarische Kompetenzen im Konzern verteilen lassen. Der CIO kann damit durchspielen, wie sich bei veränderten Rahmenbedingungen die Ressourcen seines Verantwortungsbereichs schnell und flexibel auf neue Aufgabenstellungen konzentrieren lassen.

Es mag verständlich sein, wenn ein IT-Leiter den Weg des geringsten Widerstands geht und als reiner Vollstrecker agiert. Die Zukunft gehört jedoch dem strategisch denkenden und aktiv die Veränderung gestaltenden CIO. Bleibt ihm zu wünschen, dass er auf der Business-Seite einen kongenialen Partner findet.

*Dr. Martin Lippert ist Geschäftsführer der Compass Deutschland GmbH in Wiesbaden.

Abb: Alternativen für die IT-Steuerung

Das "Governance-Modell" erlaubt es, Vor- und Nachteile unterschiedlicher Organisationsalternativen durchzuspielen. So lässt sich regeln, wie die IT-Projekte in den Unternehmensgesellschaften gesteuert werden sollen. Quelle: Compass