Vorgezogener Termin für die Trennung von Cullinet Gespräch:

Nach DB-Flaute setzt ADV/Orga auf 9370-Wind

05.12.1986

BREMEN - Früher als geplant wollen sich die Cullinet Inc., Boston, und die Wilhelmshavener ADV/ Orga AG trennen. Das norddeutsche Software- und Serviceunternehmen wird, so Vorstandsvorsitzender Friedrich Meyer, seine Umsatzbilanz durch Fusion mit Schwesterbetrieben ausgleichen und Gewinneinbußen durch Personalkosten-Einsparungen auffangen.

Die seit 1975 bestehende Vertriebsvereinbarung zwischen den beiden Softwarehäusern läuft spätestens zum 30. April 1987 aus. Die COMPUTERWOCHE berichtete bereits im März dieses Jahres von den Plänen der Amerikaner, Verkauf und Support ihrer Produkte auch auf den deutschsprachigen Märkten in eigener Regie zu betreiben. Die relativ lange Übergangsfrist ist nach Aussagen der Wilhelmshavener auf den Wunsch des Noch-Partners nach einem nahtlosen Wechsel auf das neue Vertriebsnetz zurückzuführen.

Daß der Umsatz insbesondere bei der Cullinet-Datenbanksoftware IDMS bereits unter der bevorstehenden Trennung gelitten hat, begründete Meyer auf der diesjährigen Bilanz-Pressekonferenz in Bremen dreifach: Die Akquisition von seiten der Bostoner habe merklich nachgelassen, und die Kundschaft verhalte sich abwartend; außerdem befinde sich der ohnehin schon stattliche IBM-Marktanteil bei Datenbanksystemen vor allem wegen der relationalen Datenbank-Software DB2 weiter im Aufwärtstrend, was sich schon jetzt auf den Absatz der Konkurrenzprodukte auswirke.

Die mangelnden Erfolgsaussichten im Datenbanksektor führte Meyer auch als Grund dafür an, daß sein Unternehmen die von der Cullinet-Software hinterlassenen Lücken im Systemsoftware-Angebot nicht mit Eigenentwicklungen füllen werde. Statt dessen wolle man die vorhandenen Anwenderprogramme mit Schnittstellen zu anderen Datenbanksystemen versehen. Dabei soll "keine Nischenstrategie" betrieben werden; folglich haben die Wilhelmshavener insbesondere die IBM-Produkte im Auge - nach dem Motto: If you can't beat 'em, join 'em.

Etwa je zur Hälfte aus dem Softwarevertrieb und dem Honorar für Beratungsleistungen setzt sich der letztjährige Umsatz zusammen. Mit 77,92 Millionen Mark liegt er 12,8 Prozent über dem Ergebnis des vorangegangenen Geschäftsjahres. Ungefähr ein Sechstel des Gesamtumsatzes, also knapp zwölf Millionen Mark, machen dabei die Cullinet-Lizenzprodukte aus. Im vorangegangenen Fiskaljahr hatten sie bei einem Wert von über 14 Millionen Mark noch mit mehr als einem Fünftel zu Buche geschlagen.

Die vergleichsweise positive Entwicklung bei den eigenen Produkten veranlaßt Meyer dazu, für das laufende Jahr mit anhaltendem - wenn noch verlangsamten - Wachstum zu rechnen. Nach einer ADV/Orga-Studie sei ein großer Teil der in den Betrieben eingesetzten Software vom Standpunkt der technischen Entwicklung. Lukrativ sei auch das Ablösegeschäft, bei dem die IBM sich gern hinter "unabhängigen Beratungsfirmen" verberge. Die Einbeziehung der angeschlossenen Mikro-Gesellschaft und der Schweizer Schwesterfirma in die Aktiengesellschaft soll ebenfalls zu einer positiven Bilanz beitragen.

Im 3970-Kielwasser den Mittelstand ausloten

Hinzu komme das bislang nur zu einem Zehntel ausgeschöpfte Marktpotential in der mittelständischen Wirtschaft. Während die ADV/Orga (...) bislang auf Großkunden spezialisiert hatte, beabsichtigt sie nach eigenen Aussagen, IBMs neuem Abteilungsrechner 9370 softwaremäßig unter die Arme zu greifen. Mit seinen Schnittstellen zur Mainframe- und zur PC-Welt passe er hervorragend in das eigene Integrationskonzept. Er könnte nach Ansicht der Wilhemshavener - entgegen den Beteuerungen aus Armonk - die Systeme /36 und /38 über kurz oder lang aus dem Feld schlagen. Deren Inkompatibilität mit der /370-Welt habe ADV/Orga bislang davon abgehalten, den Mittelstand anzugehen; jetzt sehe das Unternehmen die Chance, dieses Versäumnis nachzuholen.

Eine "neue Softwaregeneration" soll im ersten Quartal des nächsten Jahres erstmals "bei ausgewählten Kunden" installiert werden Aufgrund der "Trennung von Technologie und Anwendung" - so die Hersteller - veralte sie weniger schnell. Sie baut auf der Standardsoftware aus eigener Produktion auf. Das eigentlich Neue daran ist die Integration im Hinblick auf eine gemeinsame Datenbankstruktur. In der endgültigen Ausbaustufe besteht dieser "Softwarebaukasten" aus 25 Teilen, die quasi individuell miteinander verknüpft werden können.

Die bislang praktizierten Methoden der Lizenzvergabe sollen von der längeren Lebensdauer der Produkte unberührt bleiben. Meyer will den Einmalgebühren-Bereich nicht zugunsten eines höheren Anteils von Miet- und Leasingabkommen vernachlässigen. Allerdings gibt er zu, daß ihm die über die eigene Leasinggesellschaft geschlossenen Verträge die liebsten seien, weil er hier zusätzlichen Gewinn erwirtschaften könne. Seine "ausgesprochen mündigen Kunden" in eine bestimmte Form der Software-Finanzierung zu drängen, scheint ihm jedoch mehr Schaden als Nutzen zu bringen.

Der von der IBM eingeführten Regelung einer "abgestuften Einmalgebühr" (CW Nr. 42 vom 17. Oktober 86, Seite 6), die für jede Fachabteilung eine gesonderte Nutzungsgebühr vorsieht, will Meyer sich nach eigenen Aussagen nicht anschließen. Doch werden schon seit etwa fünf Jahren gestaffelte Lizenzgebühren - zum Beispiel für das Personalwirtschafts-Programm "Ipas" - abhängig von der Beschäftigtenzahl erhoben.

11,7 Millionen Mark, das sind fast 15 Prozent vom Umsatz, wurden in die Neuentwicklung investiert. Der große Betriebsanteil der personalintensiven Betätigungsfelder Entwicklung und Beratung ist laut ADV/Orga dafür verantwortlich, daß das Verhältnis von Personal zu Umsatz nicht eben günstig aussieht. Innerhalb des vorangegangenen Rechenschaftsjahres hat sich die Belegschaft um 152 auf 599 Mitarbeiter vergrößert. 30 bis 40 von ihnen werden mit den von ihnen betreuten Produkten zu Cullinet wechseln. Indem er diese Gehälter einspart, will Meyer die durch den Lizenzverlust verursachten Gewinneinbußen im laufenden Geschäftsjahr ausgleichen.

Daß im vergangenen Jahr unter dem Strich etwas übrigblieb, hängt auch damit zusammen, daß die Unternehmensleitung anstelle von rarem und teuerem Fachpersonal vorwiegend auf Berufsanfänger zurückgegriffen hat, die "nicht tarifgebunden" bezahlt werden. Etwa zwei Drittel der im letzten Fiskaljahr akquirierten Mitarbeiter konnten für ein verhältnismäßig geringes Anfangsgehalt eingestellt werden.