Mysteriöser Datenverlust bei Geheimdiensten

28.06.2007
Das Verteidigungsministerium hat in einem Schreiben an den Ausschuss zur Untersuchung der Kurnaz-Affäre zugegeben, dass wegen des Defekts eines "Datensicherungsroboters" Geheimdienstunterlagen verloren gingen.

Wie der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Wichert, laut Berichten diverser Medien in einem Schreiben an den Verteidigungsausschuss vor zwei Wochen mitteilte, sind bis Ende 2004 gespeicherte Geheimdienstunterlagen abhandengekommen. Diese hatte der Ausschuss im Zuge seiner Untersuchungen zur Affäre um den in Guant?°namo festgehaltenen Bremer Murat Kurnaz angefordert.

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Wichert erklärt den Verlust des brisanten Datenmaterials auch mit Sparzwängen. In seinem Schreiben formuliert er, das IT-System "Jasmin", in dem das Verteidigungsministerium seit 1998 Daten der Militärstellen lagere, sei an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen. Dies sei mit den vielen Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu erklären. Ein nötiger Ausbau des Systems und "bestimmte Anpassungen" seien aber "aufgrund haushalterischer Maßnahmen" verzögert worden, zitiert die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" aus dem Schreiben. Um das System zu entlasten, habe man 2004 nicht mehr benötigte Daten auf einen "Datensicherungsroboter"übertragen. Dieser habe dann einen "technischen Defekt" gehabt, er "musste Ende 2004 durch ein Austauschgerät ersetzt werden". Dabei sei es nicht gelungen, die Daten zu übertragen. Die Bandkassetten seien nicht mehr lesbar gewesen und "entsprechend den gültigen Vorschriften zum Umgang mit Verschlusssachen wurden die nicht mehr lesbaren Kassetten am 4. Juli 2005 vernichtet", so der Staatssekretär in seinem Schreiben an den Verteidigungsausschuss.

Unsachgemäße Migration als Grund?

Diese Informationen sind allerdings irritierend. Ein Experte für robotergestützte Bandspeichersysteme sagte gegenüber der computerwoche, er könne die Erklärungen des Verteidigungsministeriums nicht nachvollziehen. Würde tatsächlich das eigentliche Robotersystem das also Bandkassetten aus einer Bandbibliothek herausnimmt und in Laufwerke einlegt, von wo aus die Daten dann eingelesen werden können - selbst einen "technischen Defekt" erlitten haben, so sei es kein Problem, dieses auszutauschen. Er vermutet, dass die Bundeswehr eine Migration der Datenhaltungssysteme vorgenommen hat. Hierbei könne es in der Tat zu erheblichen Problemen insbesondere bei der zugrunde liegenden Software, dem Dokumenten-Management-System (DMS), kommen. Diese Software verwaltet sämtliche Daten eines IT-gestützten Archivsystems. Werde die Migration unsachgemäß betrieben, könne es unter anderem passieren, dass der Katalog eines Bandspeichersystems beschädigt wird. Der Katalog ist der Teil der DMS-Software, der genau festhält, an welcher Stelle sich welche Daten auf welcher Bandkassette befinden. Sind diese Informationen verloren, ist es ohne extrem großen Aufwand auch finanzieller Natur fast nicht möglich, Daten wiederzufinden. Große Bandbibliotheken von Robotersystemen können Zehntausende Kassetten umfassen.

Warum gab es keine Sicherungskopien?

Peter Böhret, Geschäftsführer der Kroll Ontrack GmbH, hat ähnliche Bedenken. Sein Unternehmen ist darauf spezialisiert, Daten wieder verfügbar zu machen, die durch mechanische oder durch softwareseitige Probleme nicht mehr lesbar sind. Böhret sagt, dass selbst im schlimmsten Fall, der Zerstörung des Katalogs, dieser Schaden wieder behoben werden kann. Es gebe immer wieder Firmen, die Kroll Ontrack Tausende von Bändern zur Datenreparatur zusenden, wenn der Katalog nicht mehr einlesbar ist. Hierbei entständen je nach der Schwere der Rekonstruktionsaufgabe pro Band Kosten von 200 bis 600 Euro.

Der Datensicherungs-Experte sagte, es könne im vorliegenden Fall auch ein physischer Schaden eingetreten sein. Wenn etwa die Leseköpfe des Laufwerks, in das der Roboter eine Kassette einlegt, auch nur geringfügig dejustiert worden seien, könne solch ein defektes Laufwerk die Daten nicht mehr lesen. Insbesondere bei professionellen großen Robotersystemen sei aber die Wartung so gut, dass solche Fälle kaum aufträten. Kommt es tatsächlich dazu, lassen sich die Daten mit Spezialgerätschaft wieder verfügbar machen.

Der Kroll-Manager zeigte sich im Übrigen sehr erstaunt darüber, dass es von den angeblich verloren gegangenen Daten keine Sicherungskopien gab: "Jede Firma macht solche Sicherheitsspeicherungen." (jm)