Neues Betriebssystem der IBM schürt Spekulationen:

MVS/XB soll 308X aus dem Rennen werfen

30.10.1987

MÜNCHEN - Die IBM hat eine neue Version ihres Mainframe-Beriebssytems MVS/XA in der Pipeline. Dieses Gerücht hielt sich hartnäckig bei Ausstellern und Messebesuchern der diesjährigen Systems. Die Folgeversion MVS/XB soll nur noch auf den Sierra-Maschinen 3090 des Marktführers Iauffähig sein.

Damit, so orakeln IBM-Kenner, wolle Big Blue in den nächsten Jahren systematisch einen Keil zwischen die ebenfalls XA-fähige Rechnerserie 308X und die Jumbo-Klasse 3090 treiben. Denn: Das Neugeschäft im obersten Leistungsbereich der Sierra sei schleppend; die Anwender warteten auf die für 1992 angekündigte Super-Maschine, die Summit.

Die Spekulationen über MVS/XB die unmittelbar vor der Systems aus den USA nach Europa schwappten, wurden von offiziellen IBM-Stellen auf gewohnte Weise kommentiert: "Sicher ist nur, daß MVS/XA sowohl nach oben wie nach unten weiterentwickelt wird. Da kann sich jeder seinen Reim drauf machen."

So blieb es nicht aus, daß dieses Thema in den Gesprächskämmerchen der Messestände diskutiert wurde: "Der Mitbewerb war schon seit langem gespannt darauf, auf welche Art und Weise es die IBM schaffen will, ihren Kunden die 3090 schmackhaft zu machen", formulierte es beispielsweise Ernst Hofmann, Geschäftsführer der Cincom Systems GmbH, Frankfurt.

In der Tat gibt es derzeit keinen zumindest technisch notwendigen Grund für 308X-Kunden, auf einen 3090-Rechner der oberen Leistungsklasse zu wechseln. So sehen es jedenfalls viele der IBM-Konkurrenten aus dem Hard- und Software-Sektor. Mit den 3090-Einstiegsmodellen 12E oder 15E habe Big Blue dagegen keine Probleme, heißt es. Hier argumentiere der Branchenprimus bei seinen DOS-Kunden mit der besseren Performance der 3090-Single-Prozessoren gegenüber der Multiprozessor Technik einer großen 4381.

Doch ein zufriedener MVS/XA-Benutzer, der sich eine 3084-Q mit 25 oder 28 Mips für rund zwei Millionen Mark zugelegt habe, sehe sich kaum gezwungen, auf eine in etwa gleichrangige 3090-200 zu wechseln, die zudem ein Vielfaches koste. Die IBM sieht das verständlicherweise anders: "Bei einem solchen Wechsel spielen viele Punkte eine Rolle; zum Beispiel Aspekte wie Raum, Quadratmeter oder Energie."

Anwender, die vor kurzem auf einem von der IBM für ihre Großkunden abgehaltenen Senior-Executive-Meeting dabei waren, sind sich über die wesentlichen Neuerungen bei MVS/XB ziemlich sicher. Es soll eine verbesserte Sub-I/O geben, die die Performance im Ein-/Ausgabe-Bereich ankurbeln wird. Dazu komme ein wesentlich größerer Erweiterungsspeicher und eine erhöhte Adressierbarkeit.

Die Summe aller Vorgänge werde dazu führen, daß auch 308X-Kunden schon bald auf die großen 3090-Rechner umsteigen müßten, vermuten einige befragte DV-Leiter. Kein Grund jedoch, sich darüber zu ärgern: "Warum soll IBM nicht eine Strategie fahren, mit der sie den besten Umsatz macht?", schmunzelt ein IBM-Anwender. "Die Kunden müssen halt nur wissen, daß dem so ist."