Kopernikus hilft Ravensburger AG beim Sparen

Mutter betreibt via Satellit Anwendungen der Tochter

30.08.1996

Einen "internationalen Puzzle-Boom" haben die Ravensburger festgestellt. Besonders schnell wachse die Kauflust der Verbraucher in Frankreich. Um die Nachfrage nach den bunten Pappteilchen zu befriedigen, zog das Unternehmen im französischen Chalon-sur-Sa'ne die Ravensburger Cartonnages S.A. hoch, die Anfang dieses Jahres ihren Betrieb aufgenommen hat. Dort sollen 100 Mitarbeiter jährlich rund acht Millionen Puzzles produzieren.

Für die Finanz- und Anlagenbuchhaltung sowie die Kostenrechnung nutzt das französische Tochterunternehmen die R/3-Module der SAP AG, Walldorf. Den Materialfluß hingegen verwaltet es mit Hilfe einer Applikation, die Ravensburger zusammen mit dem Software- Unternehmen Adicom erstellt hat und mit der sich beispielsweise fahrerlose Transportsysteme einbeziehen lassen. Wie Karl-Heinz Krause, Leiter Organisation und Infosysteme der Ravensburger AG, erläutert, hat die SAP-Software ihre Stärken im kaufmännischen Bereich. Wenn es aber um die technische Seite des Unternehmens gehe, also um die Produktion und die Auslieferung, sei SAP nicht die erste Wahl.

Obschon Chalon für seine Abrechnung selbst verantwortlich ist, handelt es sich um einen reinen Produktionsstandort. Aufträge und Vorgaben für die Produktionsplanung erhält die Fertigungsstätte aus der Unternehmenszentrale in Ravensburg - jeweils für zwei Tage im voraus, damit eventuelle Störungen im Kommunikationsnetz keine unvorhergesehenen Auswirkungen auf den Fertigungsprozeß haben. Denn die Software-Applikationen, die in Chalon genutzt werden, sind teilweise in Ravensburg installiert.

Für das französische Werk betreibt die Org./IT-Abteilung der Ravensburger AG einen Windows NT Server, auf dem derzeit R/3, Release 2, läuft. Die gesamte Software des Produktionsstandorts läßt sich von Ravensburg aus administrieren und pflegen, so daß vor Ort kaum Know-how benötigt wird.

Für die Verbindung zwischen Server und französischen Clients ist - wie auch für Telefongespräche, Faxe und Mailings - der Kommunikationssatellit Kopernikus zuständig. Indem die Ravensburger eine Satellitenleitung mieten, anstatt die Erdkabel von Deutscher Telekom und France Télécom zu nutzen, sparen sie eigenen Angaben zufolge 35 bis 50 Prozent an Kommunikationskosten.

Eine vergleichbare Lösung kann sich Krause langfristig auch für die Software-Bereitstellung in den in- und ausländischen Vertriebsniederlassungen vorstellen (siehe Grafik auf Seite 51). Deren Software-Ausstattung besteht vor allem in einem selbstgeschriebenen Vertriebssystem auf AS/400-Basis.

Wesentlich akuter ist derzeit allerdings die Frage, wie die am Standort Ravensburg genutzte SAP-Software R/2, Release 4.2, durch eine moderne Applikationsumgebung ersetzt werden soll. Für Krause steht bereits fest, daß er nicht den von SAP vorgeschlagenen Umweg über das Release 5.0 nehmen, sondern gleich auf R/3 migrieren wird. Zunächst einmal will er die für Chalon betriebene R/3- Installation von Release 2 auf Release 3 bringen. Auf der nächsten Stufe könnte die F.X. Schmid Spielkartenfabrik in Prien am Chiemsee den Release-Wechsel vollziehen und dabei möglicherweise vom Siemens-Unix Sinix auf Windows NT migrieren. Für das vierte Quartal des kommenden Jahres ist geplant, die 250 Arbeitsplätze des Ravensburger Spieleverlags auf R/3 umzustellen.

Krause will sich dabei von einem der zahlreichen Beratungsunternehmen helfen lassen, die sich auf SAP-Projekte spezialisiert haben. Er weiß allerdings, daß sich in dieser Branche viele sogenannte Experten tummeln, die Kundenprojekte als Möglichkeit zum eigenen Know-how-Erwerb betrachten. Deshalb will er die in Frage kommenden Partner erst einmal auf Herz und Nieren prüfen, bevor er einem von ihnen den Zuschlag erteilt.

Bereits gefallen ist die Entscheidung für R/3. Welches Betriebssystem in der Zentrale zum Einsatz kommen wird, steht allerdings noch nicht fest. Nach Krauses Einschätzung spricht jedoch einiges dafür, daß im Herbst des kommenden Jahres alle inländischen Ravensburger-Töchter - gleich der französischen Fertigungsstätte - R/3 auf Windows NT fahren werden. Seine Begründung: Je weniger unterschiedliche Systeme, desto weniger Probleme. "Ich will eine zentrale Stelle für die Administration", lautet sein Ziel. Nur wenn sich Ravensburg, Chalon, Prien und die angeschlossene thüringische Spielkartenfabrik Altenburg auf ein einheitliches System einigen könnten, sei es möglich, Synergieeffekte bei neuen Releases oder Software-Anpassungen zu nutzen.

Selbstverständlich rechnet der IT-Experte damit, daß die R/3- Einführung an den deutschen Standorten schwieriger wird, als sie in Frankreich war, wo der von SAP vorgegebene Standard weitestgehend beibehalten werden konnte. "Wir hatten dort die Chance, mit R/3 auf der grünen Wiese beginnen zu können", erläutert Krause. "Mengen und Prozesse waren überschaubar dar- über hinaus ließen sich die Vorgänge den Softwarefunktionen anpassen." In der Zentrale hingegen werde er früher oder später "an Ecken kommen, wo der Standard einfach nicht mehr ausreicht".

Abgesehen von der Produktionsplanung und -steuerung, die heute durch eine eigene Applikation unterstützt wird, steht auch für Vertrieb und Auftragsbearbeitung eine individuelle Lösung zur Diskussion. Allerdings sind die Ravensburger offenbar bereit, Kompromisse einzugehen, um nicht allzuweit von den SAP-Vorgaben abweichen zu müssen. Dazu der System- und Serviceverantwortliche Marcus Dreßler: "Es ist manchmal sehr teuer, firmeneigene Prozesse zu realisieren, und dann erkennt man plötzlich, daß es auch ohne Individualismus geht."