Mustervergleich im Millisekundentakt Urtuemliche Bakterien liefern Bauelemente optischer Computer

13.05.1994

Von CW-Mitarbeiter Egon Schmidt*

Selbst die schnellsten Rechner, also insbesondere die klassischen Vektor-Supercomputer sowie Parallelrechner mit Hunderten von Prozessoren, arbeiten bisher mit elektrischen Impulsen. Muenchner Wissenschaftler beschaeftigen sich mit einer Alternative: Sie wollen die eher langsame Elektronentechnik von heute durch schnelle Lichtstrahlen ersetzen.

In elektronischen Schaltern wie beispielsweise Transistoren kann ein elektrischer Impuls nicht in beliebig kurzer Zeit ein- beziehungsweise ausgeschaltet werden, denn die Elektronen brauchen Zeit, um durch den Halbleiterwerkstoff zu wandern, aus dem ein Transistor besteht. Ein sehr guter Transistor heutiger Bauart benoetigt mindestens zehn Pikosekunden, also zehn Billionstel einer Sekunde, bis ein Schaltvorgang abgeschlossen ist. In diesem Zeitraum legt selbst das unuebertrefflich schnelle Licht nur drei Millimeter zurueck; dennoch sollen Superrechner von morgen und uebermorgen noch schneller sein.

Optische Mustererkennung verlangt ein hohes Tempo

Tempo ist also Trumpf - und dies gilt besonders fuer die "gehirnaehnlichen" neuronalen Netze; sowie etwa bei der schnellen optischen Mustererkennung und der assoziativen Speicherung. Unter anderem duerften sich fuer diese Aufgaben daher in Zukunft optische statt elektronisch arbeitender Baueinheiten anbieten, meinen Forscher der Ludwig- Maximilians-Universitaet Muenchen. Wobei sie, wie Christoph Braeuchle vom Institut fuer Physikalische Chemie darlegt, auch ganz allgemein die "transiente optische Speicherung von Daten bei extrem hoher Speicherdichte" im Auge haben.

Speziell fuer die schnelle optische Musterkennung mit hoher inhaerenter Parallelitaet der Datenverarbeitung eignet sich, so praezisiert Braeuchle, ein photosynthetisch aktiver Eiweiss- Farbstoff-Komplex eines Salzbakteriums namens Halobakterium halobium. Diese Mikrolebewesen weisen eine sogenannte Purpurmembran auf, in der sich wiederum ein Protein-Farbstoff- Komplex namens Bakteriorhodopsin (BR) findet.

Dieses Bakteriorhodopsin, von dem man einen verwandten Komplex uebrigens auch im Auge des Menschen nachweisen kann, "durchlaeuft beim Absorbieren von Licht einen Fotozyklus, dessen Zustaende als Schaltzustaende fuer die optische Informationsverarbeitung" dienen koennen. Nachdem sich das Bakteriorhodopsin ueber Milliarden von Jahre hinweg evolutionaer weiterentwickelt hat, kann man "diese Optimierung nunmehr gewinnbringend fuer die optische Informationsverarbeitung nutzen", wie Braeuchle erlaeutert.

Bei der optischen Bildverarbeitung etwa kann man in eine Kunststoff-Folie mit eingelagertem Bakteriorhodopsin "in ganz kurzer Zeit" zehn Millionen hochaufloesend abgetastete Bilder reversibel einspeichern. Dabei nimmt die Folie ein Volumen von nur einem Milliliter ein. Die Bilder beziehungsweise Daten sind somit annaehernd ebenso dicht gespeichert wie das Wissen im Gehirn eines Menschen.

Da die Speicherung mit hoher Lichtsensibilitaet beziehungsweise "mit hoher Quantenausbeute" erfolgt, gegen chemische und fotochemische Zersetzung extrem stabil ist und weit mehr als eine Million Aufzeichnungs- und Loeschzyklen uebersteht, scheint sich hier ein interessanter Weg in Richtung superschnelle optische Datenverarbeitung und hochdichte optische Datenspeicherung aufzutun. Zumal Bakteriorhodopsin obendrein auch unbegrenzt verfuegbar ist, leicht in Polymere eingebettet werden kann und mit Hilfe gentechnischer Verfahren wohl noch weiter fuer seinen datentechnischen Einsatz zu optimieren ist.

So hat beispielsweise Dieter Osterhelt vom Max-Planck-Institut fuer Biochemie in Martinsried bei Muenchen nachweisen koennen, dass man auf bestimmten optimierten, zwischen zwei duennen Glasplatten plazierten Bakteriorhodopsin-Filmen 10000 Bilder pro Sekunde aufzeichen und wieder loeschen kann, wobei sich bereits die hohe Aufloesung von 5000 Linien pro Millimeter erzielen laesst. Wie arbeitet Bakteriorhodopsin nun im einzelnen? Was sind seine spezifischen Vorzuege?

Eine Pumpe fuer Protonen

Waehrend bei gruenen Pflanzen das lichtempfindliche Chlorophyll aus den einfallenden Photonen elektrochemische beziehungsweise Bio- Energie erzeugt, ist beim Bakteriorhodopsin der urtuemlichen Halobakterien ein "Retinal" der wesentliche Licht-Energie-Wandler. Das Verbundmolekuel Bakteriorhodopsin bildet in der Membran der Halobakterien jeweils einen feinen Kanal beziehungsweise eine Art Pore aus, in deren Mitte wiederum das Retinal gelagert ist. Es fungiert dort gewissermassen als Kolben, der unter Einwirkung des Lichts Protonen - das sind elektrisch positiv geladene Kernteilchen - durch den Bakteriorhodopsin-Kanal nach draussen befoerdert.

Bei diesem Vorgang aendert das Retinal immer dann, wenn es gerade ein Lichtquant beziehungsweise Photon aufgenommen hat, seine Struktur um ein Geringes so, dass es in der neuen Gestalt das erwaehnte Proton nach aussen abstossen kann. Dann springt es von selber wieder in seine alte Gestalt zurueck und kann nun erneut ein Proton aus dem Inneren des Halobakteriums in sich aufnehmen und auf das naechste, es erneut als "Pumpe" aktivierende Photon von der Sonne warten.

Waehrend das Retinal mit Hilfe der Lichtenergie voruebergehend seine Gestalt wandelt, wechselt es auch kurzfristig seine Farbe: von Violett zu Gelb. Der ganze zyklische Vorgang laeuft in der Natur bei guter Beleuchtung rund hundertmal pro Sekunde ab und setzt etwa 20 Prozent des absorbierten Sonnenlichts in elektrochemische Energie um.

Elektrische Ladung durch Protonenverlagerung

Im Zuge des fortlaufenden Protonenpumpens sammeln sich aussen an der Membran Protonen, waehrend ihre Konzentration innen im Bakterium immer schwaecher wird. Damit gleicht das Ganze allmaehlich einer aufgeladenen Akkumulatorenzelle, die ihre elektrische Spannung ja durch eine aehnlich strukturierte elektrische Ladungsverschiebung erhaelt.

Ohne menschliche Einflussnahme nutzt das Halobakterium die so gewonnene elektrochemische Energie einfach fuer sich selbst. Die Wissenschaftler wollen den Mechanismus, und zwar insbesondere den ueber mehrere, schlagartig erscheinende Zwischentoene ablaufenden Farbwechsel Violett-Gelb-Violett, fuer die Zwecke der Datentechnik einspannen.

Dabei hilft es sehr, erlaeutert Braeuchles Kollege Norbert Hampp vom Institut fuer Physikalische Chemie der Muenchener Universitaet, dass das Bakteriorhodopsin seine Struktur und mithin seine Farbe auch dann wechselt, wenn man allein die Membran der Halobakterien - also quasi nur noch deren Haut - isoliert fuer sich verwendet.

Die Abtrennung der Membran sowie dann des Bakteriorhodopsins ist technisch recht unkompliziert: Man muss die Halobakterien in Suesswasser werfen, worauf sie alsbald platzen. Uebrig bleiben einzelne Membranfragmente, auf denen das Bakteriorhodopsin dicht an dicht in Gestalt flaechig ausgedehnter Kristalle sitzt, die man einfach abfiltrieren kann.

Bakteriorhodopsin hat fast schon das Zeug, ein Wunderwerkstoff genannt zu werden. Denn weder altert es, sagen die Forscher, noch zerfaellt es. Es ueberstehe Trockenheit und Loesungsmittel und erweise sich generell als aeusserst resistent gegen alle Einwirkungen physikalischer wie chemischer Art. Vor allem behaelt es beinahe immer seine Faehigkeit bei, auf Licht mit Farbwechsel zu reagieren.

Ausserdem ist Bakteriorhodopsin dank seiner dichten, kristallinen Struktur extrem feinkoernig und mithin auch fuer dicht an dicht zu packende Informationen geeignet. In der Praxis begrenzt allein die Wellenlaenge des jeweils benutzten Lichts die Zahl der Linien beziehungsweise Punkte, die sich hier pro Millimeter unterbringen lassen.

Welch hochinteressante, weitreichende technische Moeglichkeiten in der Substanz stecken, kann man am Beispiel eines holografischen Korrelators deutlich machen, der dem Vergleich jeweils zweier Bilder beziehungsweise Punkt- oder auch Bit-Muster dient.

Bei einem solchen Geraet werden zwei per Laserlicht uebertragene Bildmuster - naemlich einmal das Such- und dann noch das Vergleichsbild - in ein- und derselben Ebene uebereinandergelagert. In dieser Flaeche entsteht als Interferenzmuster dann eine Art "Geisterbild", berichtet die Max-Planck-Gesellschaft, naemlich "ein Muster aus hellen Punkten, erzeugt durch die wechselseitige Verstaerkung oder Ausloeschung der Lichtstrahlen, mit denen diese Bilder vom Laser uebertragen werden". Und "in jedem dieser Punkte entsteht ein Hologramm, das die gesamte Bildinformation enthaelt".

Bislang musste man dieses Interferenz- beziehungsweise Geisterbild auf normalem fotografischem Film festhalten, der dann erst noch entwickelt werden musste. Anschliessend wurde mit Hilfe von Laserlicht der eigentliche Bildvergleich vorgenommen, indem man "das Punktmuster mittels Laserlicht sozusagen dechiffrierte".

Analyse von bewegten Bildern

Als Alternative bietet es sich nun an, den fotografischen Film durch eine lichtempfindliche Schicht aus Bakteriorhodopsin zu ersetzen. Dadurch lassen sich die besagten zwei Bilder praktisch in Echtzeit vergleichen, kann der Leselaser das frisch erzeugte, holografische Interferenzbild nun doch sofort - und insbesondere ohne zwischenzeitliches zeitraubendes Entwicklen - abtasten und analysieren.

Der Vergleich ist in der Hundertstelsekunde abgeschlossen, die bis zum Aufzeichnen des naechsten Bildes verstreicht. Infolgedessen kann man mit der Technik der holografischen Interferenz auch bewegte (Film-) Bilder und Muster analysieren, sowie Informationen, die auf Einzelbildern festgehalten sind, jederzeit und schnell nach bestimmten Gesichtspunkten durchforsten. Eine Technik, nebenbei bemerkt, die jeden "Grossen Bruder" in helle Begeisterung versetzen muss.

Beim holografischen Bildvergleich mit Hilfe von Bakteriorhodopsin erscheinen jene Stellen, an denen das unbekannte Such- und das bekannte Vergleichsbild miteinander uebereinstimmen, als helle Punkte. Mit dem Verfahren lassen sich aber nicht nur Eins-Null- Unterscheidungen nach Identitaet und Nichtidentitaet treffen, sondern auch partielle Aehnlichkeiten zwischen Vorlage und Testobjekt erkennen: Die Punkte sind um so heller, je staerker beide Bilder miteinander in den jeweiligen Strukturen uebereinstimmen. Der Bildvergleich geschieht also analog. Digitalrechner muessen den Umweg ueber die Digitalisierung und den anschliessenden sequentiellen Vergleich Punkt fuer Punkt gehen.

Zu den wohl bald schon realisierbaren Anwendungen der neuen Technik gehoert auch die holografische Interferometrie, die etwa in der zerstoerungsfreien Materialpruefung eine wichtige Rolle spielt und mit deren Hilfe man nun in Echtzeit verfolgen kann, wie beispielsweise Maschinenelemente minimale, doch vielleicht kritische Schwingungen vollfuehren. Beim herkoemmlichen Vorgehen musste man zunaechst Tausende von Einzelbildern des fraglichen Geschehens anfertigen, ehe man mit deren Hilfe kritische Zustaende - und dann eben erst im Nachhinein - aufspueren und analysieren konnte.

Eigenschaften sind variabel

Das neue, biologische Material kann in seinen Eigenschaften stark variiert werden. So ist es beispielsweise sogar direkt waehrend einer laufenden Messung moeglich, die natuerliche Taktzeit des Bakteriorhodopsins - also die erwaehnte Hunderstelsekunde - um je maximal das Hundertfache zu verlaengern oder auch zu verkuerzen. Dazu genuegt es laut Max-Planck-Mann Osterhelt, einfach die Temperatur oder auch den pH-Wert des Materials beziehungsweise seiner Umgebung zu veraendern.

Einen anderen Ansatzpunkt fuer innovative technische Syteme koennte wiederum die Tatsache bieten, dass das Bakteriorhodopsin sich noch waehrend des Farbwechsels "zurueckpfeifen" laesst. Dazu reicht es aus, kurz nach dem ersten Lichtblitz, der den Uebergang von Violett nach Gelb ausloest, einen zweiten geeigneter Wellenlaenge zu senden - und schon springt das Molekuel wieder in seine violette Ausgangskonfiguration zurueck.

Umgekehrt ist es mit gentechnischen Verfahren bereits gelungen, Mutanten des Retinals beziehungsweise des Bakteriorhodop-sins herzustellen, die nicht - wie es normalerweise geschieht - von selbst in die Ausgangsgestalt zurueckspringen. Diese Mutanten behalten ihre gelbe Farbe so lange bei, bis ein zweiter, gesonderter Lichtbefehl sie davon abhaelt. Mithin scheinen sie ein attraktiver Werkstoff zu sein, will man kompakte Langzeitspeicher fuer optisch kodierte Informationen oder auch logisch-arithmetische Bauelemente optischer Computer herstellen.

Wieder andere gentechnisch erzeugte Mutanten weichen schon bei normaler Temperatur und bei normalem pH-Wert von der Standardschaltfrequenz des Retinals mit seinen zehn Millisekunden Taktzeit ab. Die Forschungen in dieser Richtung sind bereits derart vielversprechend, dass Oesterhelt meint, die bislang erreichten Schaltzeiten - sie liegen zwischen einigen Minuten und 100 Mikrosekunden - sollten sich noch bis zu etwa einer Nanosekunde herab verkuerzen lassen. Also bis herab zu Werten, die schon denen den sehr schneller Halbleiterchips - wie sie etwa in Pufferspeichern verwendet werden - entsprechen.