Musik im Netz erhitzt die Gemüter

27.08.2002
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Das Verhältnis zwischen Musik- und Filmindustrie und den Tauschbörsen erinnert mehr und mehr an den Kalten Krieg. Beide Lager rüsten technisch auf und provozieren die Gegenseite.

Im Kampf gegen sinkende Umsätze gehören zum Waffenarsenal der Musik- und Filmindustrie ständig verbesserte Kopierschutzmaßnahmen, das Einbringen von virenverseuchten Dateien in die Tauschnetze sowie die Manipulation von Dateien.

Eine weitere Zuspitzung dürfte aber im Herbst bevorstehen, falls der US-Kongress dem Ersuchen der Unterhaltungsindustrie, Tauschbörsen legal knacken und lahm legen zu dürfen, stattgibt. Die so Bedrohten reagierten prompt auf die Kriegserklärung und vermittelten der Industrie einen ersten Vorgeschmack auf die dann dohenden Cracking-Gefechte: Sie setzten die Web-Seiten der Lobbyistenvereinigung Recording Industry Association of America (RIAA) für drei Tage außer Betrieb.

Technische Gegenmaßnahmen

Doch Angriffe wie diese sind noch die Ausnahme. Die Tauschgemeinschaft setzt lieber auf technische Aufrüstung, um die neuen Kopierschutzmaßnahmen zu umgehen. So finden sich auf den einschlägigen Web-Seiten mittlerweile Tools, die selbst neue und raffinierte CD-Kopierschutzmechanismen wie CD Cops, VOB Protect CD 5 oder Securom austricksen. Ebenso haben die Tauschbörsen bereits eine Antwort auf die Sabotageversuche mit manipulierten Dateien gefunden. Tools errechnen die Hash-Werte der freigegebenen Dateien, um so manipulierte Dateien zu erkennen.

Während die Tauscher mit obigen Verfahren nur auf die Aktionen der Musik- und Filmindustrie reagieren, sind sie an anderer Stelle bereits einen Schritt voraus. Längst werden Tauschbörsen zur Praxisreife entwickelt, die ganz ohne Server auskommen. So will man der Industrie nicht mehr wie etwa im Falle von Napster einen zentralen Angriffspunkt bieten. Ein Projekt dieser Art ist „Overnet“, das seine Entwickler bereits auf Basis von Microsofts .NET-Framework programmieren.

Bei den Tauschbörsen dieser neuen Generation kommunizieren die Clients untereinander und teilen sich so Informationen über die zur Verfügung stehenden Dateien mit. Allerdings bietet auch diese Vorgehensweise einen Angriffspunkt: Über ihre IP-Adresse sind die Clients eindeutig identifizierbar.

Noch weniger Angriffsfläche bietet das „Freenet Project“. Hier erfolgt die ganze Kommunikation zwischen den Teilnehmern verschlüsselt. Zudem wissen selbst die Anwender, die ihren Festplattenplatz mit anderen Nutzern teilen, aufgrund der Verschlüsselung nicht, welche Informationen auf ihrem Rechner gespeichert sind. Auf diese Weise hoffen die Freenet-Väter, jeglichen Zensurbestrebungen oder möglichen Abmahnungen wegen einer Urheberrechtsverletzung einen Riegel vorzuschieben.

Angesichts dieser Weiterentwicklungen dürfte die Auseinandersetzung zwischen Industrie und Tauschbörsianern keinen Gewinner sehen. Lediglich der ehrliche Privatanwender steht als Verlierer bereits fest: Er verliert mit den neuen Urheberrechtsgesetzen das Recht auf eine Privatkopie. Dennoch muss er Gema-Gebühren für einen CD-Brenner bezahlen, mit dem er eigentlich legal keine Kopien mehr anfertigen kann.