Autorensysteme für Mac und Windows im Vergleich

Multimedia-Tools übernehmen die Rolle klassischer Programmiersprachen

13.06.1997

Für die Erstellung multimedialer Programme und Kataloge hat sich seit einigen Jahren ein Wandel der Werkzeuge vollzogen: Autorensysteme lösen klassische Programmiersprachen wie C und Pascal zunehmend ab. Der Grund dafür: Die neuen Werkzeugen bieten komfortables Screen-Design sowie die einfache Einbindung von Sound-, Grafik- und Videomaterial.

Die hier vorgestellten Tools beinhalten in ihren neuestenVersionen Schnittstellen zur Übernahme von Anwendungen ins World Wide Web (WWW), selbst wenn die Ladezeiten dabei den Anwender nicht gerade erfreuen. CD-ROM-Produktionen werden inzwischen eindeutig durch diese Systeme dominiert.

Doch obwohl diese Werkzeuge alle dazu dienen sollen, Applikationen zu entwickeln, so unterscheiden sie sich doch in puncto Ablaufsteuerung und den Programmiermöglichkeiten zum Teil erheblich.

Tool Book II

"Tool Book II" der Münchner Asymetrix GmbH hat inzwischen eine langjährige Entwicklung hinter sich. Die Entwicklungsumgebung, die ausschließlich auf den Betriebssystemen Windows 3.11 und 95 läuft, basiert auf dem Prinzip des Buches. Die Erstellung einer Applikation erfolgt seitenorientiert, wobei durch die Trennung von Vorder- und Hintergrund eine einheitliche Oberfläche trotz verschiedenster Funktionalitäten erreicht werden kann.

Die Benutzung der enthaltenen Werkzeuge ist denkbar einfach. Hat der Anwender die Grundkonzeption seiner Buchidee fertig, kann er mit einfachen Mausklicks seine Seiten gestalten. Zunächst wird der Hintergrund festgelegt, und wenn gewünscht, kann ein Menü aufgebaut werden. Diese Arbeit wird durch einen sogenannten Menü-Manager automatisch erledigt.

Animation wie mit dem Daumenkino

Danach kann die Gestaltung der Vordergrundseiten erfolgen. Auch Animationen lassen sich mit Tool Book erstellen. Diese funktionieren nach dem Prinzip des Daumenkinos: Anwender haben die Möglichkeit, zunächst die Einzelschritte des zu animierenden Objekts darzustellen. Später erfolgt dann ein schnelles Durchblättern, wodurch der Eindruck einer Bewegung entsteht.

Für komplexe Applikationen wie etwa Simulationen für Lernprogramme beinhaltet das Paket eine eigene objektorientierte Programmiersprache "Open Script", deren Syntax stark an die englische Sprache angelehnt wurde.

Bei umfangreichen Applikationen kommt der Seitenverwaltung eine enorme Bedeutung zu. Wichtig ist es dabei, dem Anwender stets Sprünge zum Inhaltsverzeichnis zu ermöglichen, da sonst schnell der Überblick verlorengehen kann. Besonders gelungen ist die Einbindung der Hypertext-Verknüpfungen, durch die sich insbesondere Lernprogramme schnell erstellen lassen, sowie die Hot-Spot-Funktion, mit deren Hilfe auch Klicks auf unregelmäßige Flächen möglich sind.

So ist die Auswahl über Grafiken, Landkarten oder Muster recht einfach. Auch die Einbindung von Daten aus Dbase- oder Paradox-Datenbanken ist möglich.

Den eigentlich positiven Eindruck schmälert dagegen die unflexible Behandlung verschiedener Bildschirmauflösungen. Der Entwickler muß stets vorher entscheiden, für welche Auflösung seine Applikation sein soll. Wählt ein Anwender jedoch statt 800 x 600 beispielsweise 1024 x 768 Bildpunkte, präsentiert sich ein eher unprofessionelles Ergebnis. Gleiches gilt für Frame-Animationen.

Für die unterschiedliche Anwendergruppen werden verschiedene Versionen angeboten. Die einfachste Ausführung kostet 345 Mark, erlaubt jedoch nur einfache Entwicklungen. Die Multimedia-Variante ist mit fast 2000 Mark deutlich teurer, bietet jedoch alles, was für aufwendige Produktionen notwendig ist. Für die Erstellung von interaktiven Lernprogrammen hält der Hersteller eine Version für Computer Based Training (CBT) bereit. Recht komfortabel gestaltet sich damit etwa die Programmierung einer Lernfortschrittskontrolle für Anwender.

Für die Einbindung von Tool-Book-Programmen ins WWW stehen zwei weitere Versionen zur Verfügung: "Tool Book II" und "Publisher". Dabei handelt es sich um die Multimedia-Version plus Internet-Einbindung und den "Instructor". Letzterer basiert auf der CBT-Version und ermöglicht Schulungsprogramme über das Internet verfügbar zu machen.

Tool Book II ist eine empfehlenswerte Komplettlösung für Windows-Publikationen, die für Einsteiger und Profis gleichermaßen geeignet ist, da es verschiedene Leistungspakete gibt. Für umfangreiche Publikationen ist mindestens die Multimedia-Version notwendig. Schwächen leistet sich das Programm jedoch in der Frame-Animation und bei automatischer Grafikauflösungsanpassung.

Medi8or 3.0

Das System "Medi8or 3.0" vom dänischen Softwarehersteller Matchware basiert auf demselben Konzept wie Tool Book. Es funktioniert ebenfalls wie ein elek- tronisches Buch, ermöglicht die Produktion von multimedialen Katalogen, Lernprogrammen und Produktwerbung und läuft ebenfalls auf Windows 3.11 und Windows 95.

Der gravierendste Unterschied - vom Preis einmal abgesehen - besteht darin, daß keine Unterscheidung zwischen Hinter- und Vordergrundseiten existiert. Leider ist dadurch die Entwicklung eines umfangreichen Systems etwas aufwendiger, da zur Erreichung eines durchgängigen Layouts Kopierfunktion angewandt werden müssen. Dafür hat der Hersteller jedoch einen Browser zur Seitenverwaltung implementiert, der selbst umfangreiche Publikationen bewältigt.

Hotspots per Maus definierbar

Die Einbindung von Video, Ton und Grafik ist problemlos, alle gängigen Formate werden unterstützt. Für die Erstellung von Menüs liegt analog zu Tool Book ein eigenes Werkzeug vor.

Neben Hypertext-Verknüpfungen lassen sich auch CBT-Programme erstellen.

Hot Spots lassen sich einfach per Maus definieren. Einige Beispiele dazu werden auch mitgeliefert, wenn auch deren Umfang mit Tool Book kaum vergleichbar ist. Selbst einfache Animationen sind ohne Hilfsprogramme zu erstellen.

Beispielhaft ist bei Medi8or 3.0 das Problem verschiedener Bildschirmauflösungen gelöst. Das Programm erkennt automatisch, welche Auflösung der Anwender benutzt, und paßt die Seitengröße entsprechend an. Dagegen hat der Hersteller auf die Integration einer eigenen Programmier- oder Scriptsprache leider verzeichtet, mit deren Hilfe der Anwendungsentwickler eine wesentlich flexiblere Gestaltung seiner Applikationen erreichen könnte. Somit ist der Benutzer auf die bereitgestellte Werkzeugpalette des Herstellers angewiesen.

Dieser Nachteil kann sich natürlich für Nichtprogrammierer auch als ein großer Vorteil darstellen, da sie keine Einarbeitungszeit in eine Programmiersprache aufbringen müssen, sondern sich lediglich mit den Werkzeugen selbst auseinanderzusetzen brauchen.

Fehlende DB-Anbindung trübt das Gesamturteil

Die Erstellung einfacher, aber ansprechender Kataloge ist mit Medi8tor unter der Voraussetzung, daß Fotos, Videos oder Grafiken bereits fertig vorliegen, in wenigen Tagen möglich. Lediglich die fehlende Datenbankanbindung trübt den sonst positiven Eindruck dieses Tools.

Medi8or 3.0 ist ein preiswertes Programm, das neben Erstellung von Online-Katalogen auch für Werbung und CBT-Programme, allerdings ausschließlich für Windows, nutzbar ist und sich besonders für Anwender, die nur gelegentlich als Multimedia-Autoren arbeiten, eignet.

Durch das Fehlen einer integrierten Programmiersprache ist die Entwicklung jedoch bei weitem nicht so flexibel zu hand- haben wie bei Tool Book und Director 5. Abzuwarten bleibt, ob Folgeversionen die Einbindung ins Internet ermöglichen.

Director 5

Der ursprünglich als reine Apple-Applikation entwickelte "Director" von Macromedia steht bereits seit längerem auch als Windows-Version zur Verfügung. Der Clou dabei ist die Cross-Plattform-Entwicklung: Abgesehen von einigen Spezifika kann die Applikation auf einem Mac erfolgen und die Ausführung auf einem PC oder umgekehrt. Dies ist ein immenser Vorteil des Tools, denn trotz der Windows-Übermacht am Front-end erfolgen viele Entwicklungen noch auf dem Apple. Generell sollte jedoch vor der Verteilung auf die jeweils andere Architektur ein Test auf der entsprechenden Zielplattform erfolgen.

Von "Softwindows für Apple" und ähnlichen Applikationen, welche das Betriebssystem einer anderen Architektur emulieren, sei dringend abgeraten, zumindest wenn kommerzielle Programme geschrieben werden sollen. Director ist im Gegensatz zu den beiden anderen hier vorgestellten Tools nicht seitenorientiert, sondern zeitablaufgesteuert. Der Entwickler fungiert bei der Entwicklung praktisch als Regisseur. Innerhalb der Zeitleiste ist genau definiert, wann eine Aktion beginnt, wie lange sie dauert und wann sie endet.

Animation ist Directors Stärke

In puncto Animationsmöglichkeiten schlägt das Programm seine Kontrahenten jedoch um Längen. Ohne separaten Editor können Anwender komplexe Animationen erzeugen, wobei jede Bewegungsphase ein eigenes Zeitleistenfeld erhält. Dadurch lassen sich ausgewählte Bewegungen an jeder durch den Entwickler benötigten Position stoppen und in andere Bewegungszyklen überführen.

Ein Problem hat der Director mit Tool Book gemeinsam. Komplexe Applikationen werden auf Grund der Vielzahl der Einträge in der Zeitleiste schnell unübersichtlich. Ordnung kann der Entwickler nur durch die Verwendung von Markern herstellen, welche außerdem auch die Definition von Sprungadressen übernehmen. Bei späteren Änderungen sind diese auch für die Korrektur innerhalb der Zeitleiste wichtig. Ablaufende Filme können wiederum andere Filme ablaufen lassen oder Aktionen starten. Hot Spots sind ebenfalls möglich.

Hypertext benötigt aufwendige Programmierung

Für eine aufwendige Nutzung von Hypertext-Möglichkeiten ist jedoch die Programmierung von Scripts unumgänglich. Die integrierte Scriptsprache "Lingo" bietet dazu ein großes Potential. Die neue Version 6 soll zusätzlich über Internet-Befehle verfügen. Um die Möglichkeiten jedoch auszunutzen, müssen die Grundelemente der Sprache erlernt werden. Wer sich der Mühe einmal unterzogen hat, kann seiner Kreativität freien Raum lassen, wobei der Programmierer zu jeder Zeit die Kontrolle über jedes Einzelereignis behält.

Auch Datenbankanbindungen sind möglich, wenngleich diese nicht so komfortabel wie bei Tool Book gelöst sind. Einen direkten Zugriff auf Datenbanken erlaubt das Tool nicht. Die Lösung erfolgt auch in diesem Fall über Scripte.

Bedingt durch den hohen Einstiegspreis werden überwiegend nur Firmen in den Genuß dieses Werkzeugs kommen. Neben Katalogen lassen sich Filme, komplexe Animationen und sogar Simulationen aufwendiger technischer Prozesse erstellen.

Die Einbindung von fertigen Applikationen ins Internet ist über Shockwave möglich, das dem Programm beiliegt. Lange Ladezeiten sind dabei jedoch nicht selten, dies trifft für mit Tool Book erstellte Bücher jedoch gleichermaßen zu.

Viel Funktionalität, hoher Preis, lange Einarbeitung

Director ist die Profilösung schlechthin. Trotz Cross-Plattform-Unterstützung werden die Besonderheiten der jeweiligen Hardware unterstützt. Die Einarbeitung in dieses System ist allerdings aufwendig. Zudem muß für jede Plattform eine andere Produktvariante erworben werden. Die integrierte Scriptsprache "Lingo" ermöglicht aufwendige Lösungen.

Bücher zur Multimedia- Programmierung

Asymetrix Tool Book Version 4- Tewi Verlag, 1996, ISBN: 3-89362-475-9Hier findet der Entwickler eine ausführliche Referenz aller Möglichkeiten des Systems.

Crashkurs Tool Book- Data Becker Verlag, 1995, ISBN: 3-8158-1138-4Kurzer Einführungskurs in die Benutzerführung und die Möglichkeiten des Programmes.

Director 5- Addison Wesley Verlag, 1996, ISBN: 3-8273-1121-7stellt die Arbeitstechniken und Planungsaspekte für eigene Produktionen dar.

Director 5 für Insider- Markt und Technik Verlag, 1997, ISBN: 3-87791-885-9Der Titel deckt nahezu alles ab was ein erfolgreicher Autor braucht. Neben der Anwendungsbeschreibung zu den Werkzeugen findet der Leser auch Kostenüberlegungen und Ratschläge für ein erfolgreiches Design.

Electronic Publishing on CD-ROM- O'Reilly - Thomsen Verlag, ISBN: 1-56592-209-3Grundlegendes Fachbuch, das unabhängig vom eingesetzten Werkzeug eine Einführung in die Welt des multimedialen Publishings gibt.

Kurzkritik

"Tool Book II": Eignet sich für Einsteiger und Profis gleichermaßen. Die integrierte objektorientierte Programmiersprache sowie die Datenbankanbindung sind die eigentlichen Stärken des Autorensystems.

"Medi8or 3.0": Preiswertes Einsteigersystem, das ideal für CD-ROM-Publishing geeignet ist. Internet-Produktionen sind derzeit nicht möglich. Für Kataloge reicht der Funktionsumfang aus. Die automatische Anpassung an die vom Anwender verwendete Bildschirmauflösung zeigt, was für Tool Book möglich wäre.

"Director 5": Cross-Plattform-Profilösung. In der neuen Version 6, die seit Mai erhältlich ist, werden statt bisher 48 Kanäle nun 120 unterstützt. Die integrierte Programmiersprache Lingo wird um Internet-Befehle erweitert.

*Heiko Armin Schneider ist freier Journalist in Königs Wusterhausen.