Multimedia: Nur wer mitmacht, kann mitreden

01.09.1995

Diplomingenieur Alfons Rissberger Geschaeftsfuehrer der DV-Zentrum (DVZ) Mecklenburg-Vorpommern GmbH in Schwerin

Die wesentlichen Vorteile multimedialer Werkzeuge fuer die geistige Arbeit lassen sich sowenig durch Arbeitsteilung oder Delegieren sichern, wie man Lesen und Schreiben delegieren kann. Die erforderlichen Erfahrungen muessen auf gestuften Lernprozessen aufbauen. Zunaechst muss man lernen, mit den Multimedia- Systemkomponenten umzugehen. Erst nach vielfaeltigen Uebungen ist die effiziente Nutzung im Arbeitsalltag moeglich.

Vielerorts lassen Verantwortliche gar nicht erst zu, dass es soweit kommt. Bei allem Verstaendnis fuer die Unsicherheiten der Fuehrungskraefte, an denen viele Multimedia-Experten Mitverantwortung tragen, duerfen die folgenden Argumente nicht mehr ohne Widerspruch bleiben:

- "Alles ist noch zu stark im Fluss; es ist guenstiger, auf eine Konsolidierung zu warten." Antwort: Die Multimedia-Innovation wird mit extrem kurzen Zyklen auf unabsehbar lange Zeit anhalten. Schrittweise Beteiligung ist geboten.

- "Das ist nichts (mehr) fuer mich." Antwort: Know-how in diesem Bereich "lohnt" selbst fuer kurze Zeit und sogar fuer die Zeit nach dem Erwerbsleben.

- "Der Chef kann nicht alles wissen und koennen." Antwort: Das ist prinzipiell richtig. Aber es gibt Kulturtechniken, deren Verwendung man nicht delegieren darf, weil man sie nur persoenlich gewinnbringend einsetzen und dann mitreden und Vorbild sein kann.

- "Die Erwartungen sind voellig ueberzogen." Oder: "Der Kelch wird an mir voruebergehen." Antwort: Das Gegenteil ist der Fall.

Multimedia ist nicht aufzuhalten. Agieren ist auch hier besser als - eventuell zu spaet - reagieren. Wir muessen von Tatsachen ausgehen, die gelten beziehungsweise bald eintreten werden:

1. Multimedia-Systeme werden in Form universell nutzbarer Notebooks ueber optische Speicher und digitale Netze interaktiv und dynamisch das Know-how der besten Experten jedermann jederzeit zur Verfuegung stellen und zugleich universelle Kommunikationsmedien sein und damit Werkzeuge fuer jede Art geistiger Arbeit.

2. Multimedia ermoeglicht einen Quantensprung fuer geistiges Arbeiten unabhaengig von Ort und Zeit, oft ohne Nutzung der klassischen, bisher bewaehrten Methoden, Hilfsmittel und Institutionen.

3. Multimedia-Systeme werden so alltaeglich werden wie heute Telefon oder Terminkalender.

4. Multimedia-Systeme werden Organisation und Methodik geistiger Arbeit stark beeinflussen.

5. Durch Multimedia wird Telekooperation moeglich. Die neuen Freiraeume bei der Wahl des Arbeits- und Besprechungsplatzes koennen zu positiven oekologischen Wirkungen fuehren.

6. Der Einsatz von Multimedia-Systemen wird mittel- und langfristig massive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Qualifikationsanforderungen haben. Es wird erstmals zu einer erheblichen Rationalisierung bei Routinetaetigkeiten in allen Bereichen geistiger Arbeit kommen. Viele Arbeitsplaetze in allen Bereichen der Verwaltungen und des Bildungswesens werden wegfallen. Es ist nicht sicher, ob und mit welchem zeitlichen Abstand Arbeitsplaetze im Multimedia-Dienstleistungsbereich eine Kompensation bringen. Soweit es sie geben wird, koennen sie jedoch auch ausserhalb der klassischen Ballungszentren und in vielen Laendern entstehen.

7. Mit der Nutzung von Multimedia kann nicht auf die naechste Generation gewartet werden. Die Innovation ist so schnell und tiefgreifend, dass alle geistig Arbeitenden jetzt gefordert sind, aktiv mitzuwirken. Mitreden und Mitentscheiden ist aber nur auf der Grundlage von persoenlichen Erfahrungen moeglich.

8. Ohne eine konzentrierte und konzertierte Multimedia-Entwicklung und -Anwendung wird sich Deutschland im europaeischen und internationalen Bildungs-, Wissenschafts-, Kultur- und Wirtschaftswettbewerb keinen Spitzenplatz sichern koennen.

9. Wirtschaft, Kultur und Bildung muessen verstaerkt kooperieren.

10. Das Thema muss auch bei uns - wie bereits in anderen Laendern - Chefsache werden.

Es ist an der Zeit, die "Chefs zu ihrem Glueck zu fuehren", mit ihnen in nachvollziehbaren und Spass machenden Schritten den Nutzwert der neuen Anwendungen fuer den Alltag zu erschliessen. Die Erfahrung zeigt, dass auch hier weniger mehr ist. Fuer den Einstieg hat sich die Kombination Notebook und Standard-Textverarbeitung bewaehrt, die mit geringem (Lern-)Aufwand und in Zusammenarbeit mit dem Sekretariat bereits viel zu einem besseren Zeit- und Informations-Management beitraegt. Gewinnbringende Erfahrungen in der taeglichen Praxis ersetzen schnell die anfaenglichen Vorbehalte aller Einsteiger. Die Fuehrungskraefte sagen danach, dass sie nur einen Fehler gemacht haben: "Wir haetten frueher erfahren muessen, wie einfach und wirkungsvoll das ist!"