In der Bundesrepublik werden Liefertermine verschoben - in England und Italien Zusagen gehalten:

Müssen deutsche 4300-Kunden langer warten?

22.06.1979

HANNOVER (gw) - Was bei IBM in England oder Italien geht, läuft offensichtlich in Deutschland nicht: Die Auslieferung der 4300-Systeme durch die IBM Deutschland. Denn in der Bundesrepublik Deutschland müssen die Anwender, im Gegensatz zu Briten und Italienern, zu Ersatzlösungen greifen, weil ungewiß ist, wann zugesagte Maschinen installiert werden.

Das Rätselraten um die Liefertermine belebt sogar das Second-hand-Geschäft: Eine "Unmenge von Aufträgen" hat etwa die Computer-Systeme Müller (CSM) des Horst Müller in Hemmingen-Westerfeld bei Hannover zu verzeichnen. Müller: "Dieses Lotteriespiel erbringt günstigere Preise, zum Beispiel bei der 3138. Ich habe da eine ungeheure Nachfrage."

Auch Großunternehmen wissen nicht, was sie nach der Ablösung ihrer Systeme der Serie /370-115, -125 oder -138 anfangen sollen. Denn ungeklärt ist die Frage, ob die 4300 stand-alone zu verwenden wäre oder neben die /370er-Systeme gestellt werden solle. Schon sind die ersten Großanwender geneigt, ebenfalls auf 3138 (die Zentraleinheit des Modells /370-138) umzusteigen.

Auskünfte gibt es nicht, auch nicht von IBM Deutschland. Selbst bei Kunden mit viel IBM-Maschinen "wird deshalb jetzt auf höchster Ebene in Brüssel verhandelt", weiß Horst Müller aus Hannover. Seine Information hat er von einem Kunden mit einer 138 auf Mietbasis. Selbst wenn die 4300 künftig billiger sei, wolle dieser Anwender im Raum Bielefeld lieber die 3138 auf drei Jahre festmachen. Müller: "Der wartet ab, bis die Erfahrungen mit der 4300 vorliegen. Wenn sie vorliegen, kann er sich des erarbeiteten Know-how's bedienen".

Während IBM Deutschland Lieferzusagen für die 4300 nach hinten verschiebt, verdichten sich jetzt schon die Gerüchte über die neuen Modelle der 43XX-Serie (siehe dazu auch Bericht über die H-Serie).

Besser informiert sind Besteller offensichtlich dann, wenn sie Filialbetriebe im Ausland haben. Beispiel: Die Procter & Gambler mit dem bundesdeutschen Standort in Schwalbach im Taunus. Jörg Kloss, dort für den Einkauf Hardware und Software zuständig, frotzelt sarkastisch, daß "die Deutschen immer später kommen". Schon mehrfach sei der Termin für die Lieferung der 4300 als Ersatz für die in Schwalbach stehende /370-148 verschoben worden. In Italien könne IBM offensichtlich liefern. Denn die P & G-Tochter auf der Apenninenhalbinsel hoffe noch im August auf den Ersatz ihrer /370-115. Desgleichen setzt der britische Zweig von P & G optimistisch auf den unmittelbar bevorstehen den Ersatz der /370-148. Kloss: "Die Termine werden sehr wahrscheinlich eingehalten."

IBM Deutschland sollte auch der deutschen Procter & Gambler noch 1979 zusätzlich zu einer IBM /370-138 eine 4331 hinstellen. Doch der Termin Ende 1979 wurde verschoben. Kloss: "Jetzt soll die Maschine im April 1980 kommen, aber: Wer weiß?" Dabei braucht das Schwalbacher Unternehmen die 4331 als zusätzliche Online-Maschine und sitzt nach eigener Aussage "da ziemlich auf ".

Günter Filbig von der Gütermann & Co. in Gutach im Schwarzwald hat irgendwo aufgeschnappt, daß es IBM-Vertriebsbeauftragten verboten sei, 3138-Verträge anzubieten und auszuhandeln. Die IBM-VB's sollten vielmehr auf den Verkauf und den Abschluß der 43XX drängen.

Die Desinformation und die Verunsicherung der eigenen Kunden wird von den meisten IBM-Anwendern dem nicht vorhandenen deutschen Einfluß innerhalb der europäischen Organisation der IBM in Paris zugeschrieben. "Auf jeden Fall" so Kloss bündig, "ist der deutsche Einfluß geringer als der der übrigen europäischen IBM-Gesellschaften."

Dies hat die Gütermann & Co. im Schwarzwald veranlaßt, "keine Option zu unterschreiben", und sie ist denn auch im IBM-Jargon kein "window-Kunde", wie Günter Filbig zusammenfaßt. Filbigs Unternehmen ist deshalb ausgewichen: Eine 5-Jahres-Planung soll nun eine Ersatz- oder Zwischenlösung für die ursprünglich vorgesehene 4300 bei Gütermann bringen.

Kommentiert CSM-Müller in Hemmingen bei Hannover: "Vernünftige IBM-Kunden fahren tatsächlich die Zwischenlösung über die 3138 und warten ab, bis andere mit den bestellten 43XX-Maschinen Erfahrungen gesammelt haben. Da haben sie zugleich die Aussage, ob sie selbst nicht lieber gleich bei ihrer 3138 bleiben wollen."