Münchner Pilotprojekt läutet neue Ära der Zahlungssysteme ein:POS-Einsatz europaweit nur als Online-Lösung

04.05.1984

Seit April des vergangenen Jahres wird in München ein EC-Kassen-Terminal-System für den bargeld- und beleglosen Zahlungsverkehr getestet. Die drei großen Münchner Kreditinstitute, Bayernhypo, Bayerische Vereinsbank und Stadtsparkasse München bieten in Zusammenarbeit mit einigen Kaufhäusern und Tankstellen ihren insgesamt über 300 000 Eurocheque-Karteninhabern diesen neuen Service im Pilotversuch an. Der Kunde benötigt zum Bezahlen lediglich seine codierte EC-Karte und die dazugehörige Geheimzahl (PIN). Das Ausfüllen von Scheckformularen entfällt.

Die Legitimation wird durch den vom Kunden selbst einzutippenden "PIN" überprüft. Er kann Rechnungen bis zur Höhe eines auf der EC-Karte gespeicherten Restlimits, das am Geldausgabeautomaten wieder auf den ursprünglichen Stand gebracht werden kann, begleichen. Nach einigen Tagen findet der Kunde die hiermit veranlaßte Transaktion als Buchung auf seinem Konto.

Ziel des Pilotversuches ist es schnellstmöglich Erfahrungen über Nutzen und Auswirkungen eines derartigen Services für Kunden, Handel und Kreditinstitute zu sammeln. Im einzelnen soll die notwendige Akzeptanz durch den Kunden und den Handel ermittelt werden. Weitere Aspekte sind die Auswirkungen auf den beleglosen Zahlungsverkehr, Klärung der Sicherheitsmaßnahmen für Handel und Kreditinstitute, Ergebnisse über das Kosten-/ Nutzen-Verhältnis sowie die Praxistests der eingesetzten Hard- und Software.

Mit dem Pilotversuch werden zum ersten Mal in der Bundesrepublik EC-Karten-POS-Terminals (Point of Sale), die diese Art von bargeld- und beleglosen Zahlungsverkehr ermöglichen, eingesetzt. Das hierzu notwendige Systemkonzept, welches sowohl die Bedürfnisse des Handels berücksichtigen, als auch die notwendigen Verfahren der Kreditinstitute unterstützen soll, trägt auch dem Pilotcharakter Rechnung. Die "vorläufigen Richtlinien für bargeldlose Kassensysteme" wurden als Ausschreibung an namhafte Hardwarehersteller versandt. Die Formulierung vorläufig- wurde gewählt, um zum Ausdruck zu bringen, daß für eine Gemeinschaftslösung des Kreditgewerbes "endgültige" Richtlinien noch ausstehen.

Die Münchner Lösung stellt ein Offline-Konzept dar, das heißt, die POS-Terminals sind nicht mit einem Zentralcomputer verbunden. Dies bedeutet, daß alle Funktionen zur Überprüfung der Identität und Bonität im Gerät beziehungsweise auf der EC-Karte realisiert sein müssen.

Hier werden die Grenzen dieses Verfahrens schnell sichtbar, denn was für einen Pilotversuch mit geringer Verbreitung durchaus anwendbar ist, kann für einen bundesweiten Einsatz nicht mehr akzeptiert werden.

Keine Chance für europaweiten Einsatz

Aus Sicherheitsgründen kann in Offline-Systemen zur PIN-Prüfung lediglich der institutseigene Prüfschlüssel verwendet werden. Die Gefahr, daß mit der unkontrollierbaren Anzahl von Systemen das PIN-Prüfmodul in falsche Hände kommt und geknackt wird, ist viel zu groß. Zwar ist die Öffnung des Systems für alle in der Bundesrepublik ausgegebenen EC-Karten - und damit die Speicherung sämtlicher Institutsschlüssel - eventuell technisch noch machbar, aber vom Gesichtspunkt der Datenpflege auf keinen Fall sinnvoll. An einen europäischen EC-Karten-Verbund ist so nicht zu denken.

Hinzu kommt, daß eine maschinelle Echtheitsprüfung der EC-Karte durch das MM-Verfahren das POS-Terminal extrem verteuern wird. An einer bedienten POS-Kasse wird diese Funktion durch das Personal per Augenschein vorgenommen. Bei Out-door-Anwendungen muß darauf verzichtet werden.

Bei einer Anzahl von mehreren zehntausend Systemen im Markt ist nur schwer sicherzustellen, daß die Geheimnisse der PIN-Prüfung und des MM-Verfahrens, sofern es eingesetzt wird, vor dem organisierten Verbrechen gehütet werden können.

Online-Konzept der GZS

Der Pilotversuch zeigt weitere Nachteile des Konzeptes: Durch die Vielzahl der Geräte und durch die unterschiedlichen Hersteller für Geldausgabeautomaten und POS-Kassen entstehen Kompatibilitätsprobleme beim Schreiben und Lesen der dritten Spur der Magnetpiste auf der EC-Karte. Der Kunde ist in einem solchen Fall bis zur Neuausstellung seiner EC-Karte wieder auf Schecks angewiesen oder ganz ohne EC-Karte.

Alle diese Argumente sprechen für eine Online-Lösung, die zur Zeit von der GZS in Frankfurt im Auftrag des deutschen Kreditgewerbes konzipiert wird. Im Dialog wird die Identitätsprüfung, die Behandlung der falschen PIN-Eingaben, die Bonitätsprüfung, die Sperrkontrolle sowie die Übernahme und Verteilung der Belastungsdatensätze durchgeführt werden. Das EC-Karten-Terminal wird sicherer, einfacher und billiger. Diskettenstationen für den Datenträgeraustausch, große Speicher für die Sperrlisten und teure Hardware für PIN-Prüfung sind nicht mehr erforderlich. Hinzu kommt jedoch ein Kommunikationsteil, ein Modem.

Auf die Evidenzzentrale kommt eine große Leistungsverpflichtung zu. Hard- und Software für die Netzwerk- und Dialogsteuerung müssen so leistungsfähig sein, daß ein Zahlungsvorgang in zirka 20 Sekunden abgewickelt sein kann. Als Übertragungsmethoden werden alle von der Deutschen Bundespost verfügbaren Systeme wie Datex-L, Datex-P und Btx ermöglicht, um je nach der Art des Einsatzes die kostengünstigste und sinnvollste Lösung anbieten zu können.

Der Start des Online-Versuches wird an den Plätzen München und Frankfurt ab 1985 stattfinden. In zwei Jahren sollen 500 bis 700 Geräte im Handel installiert sein, nach fünf bis sieben Jahren zwischen 40 000 bis 50 000, mit denen rund 17 Prozent des Umsatzes bargeld- und bankbeleglos abgewickelt werden sollen.

Eine breite Marktdurchdringung ist dann möglich, wenn der Kaufpreis für dieses Gerät zwischen 1000 und 2000 Mark beträgt und über Schnittstellen Anschlußmöglichkeiten zu verschiedensten Kassentypen bestehen. Der Dialog kostet den Handel zirka acht Pfennig je Belastungsdatensatz.

Weites Rationalisierungsfeld

Der primäre Nutzen eines ECkartengesteuerten Zahlungssystems liegt in der Teilautomatisierung des Zahlungsvorganges. Der dabei entstehende elektronisch verarbeitbare Belastungsdatensatz ermöglicht ein weites Feld zur Rationalisierung des Zahlungsverkehrs. Aufgrund unterschiedlicher Struktur, Größe und Ausprägung der Handelsunternehmen - dies gilt ebenfalls für Kreditinstitute - werden die hiermit eröffneten Möglichkeiten unterschiedlich beurteilt. Aber auch für den Konsumenten gibt es viele Vorteile, von bequemerer Bezahlung, kürzerer Wartezeit an Kassen bis zur nicht mehr notwendigen Versorgung mit Bargeld oder Schecks vor dem Einkauf.

In einer 1980 unabhängig von diesem Pilotversuch durchgeführten Befragung im Einzelhandel wurden als sehr wichtigen acht Kriterien genannt:

- Rationalisierung des Bargeldhandlings,

- rasche Gutschrift auf dem Girokonto (Wertstellungsgewinn von ein bis zwei Zinstagen),

- Verkürzung der Wartezeit an der Kasse (ohne Registrierung der Artikelnummer),

- Verringerung des Diebstahlrisikos,

- Verringerung der Nachbearbeitungskosten bei der Scheckeinreichung,

- Verringerung der Mankogelder bei der Bargeldabwicklung,

- Verringerung der Kassenliquidität,

- erhöhte Konsumbereitschaft des Kunden durch bargeld- und schecklose Bezahlung (Spontankäufe).

Wegen des im Pilotversuch München noch relativ geringen Volumens werden von den Handelsunternehmen meist die Punkte zwei bis fünf als "sehr vorteilhaft" genannt.

Parallel zum Handel lief auch eine Konsumenten-Umfrage. Als Vorzüge wurden hier genannt:

- geringere Gefahr der Beraubung und des Diebstahls,

- man kann auch einkaufen, wenn man gerade kein Bargeld bei sich hat,

- weniger Barabhebungen vom Bankkonto,

- bequemer und schneller als die Bezahlung mit Bargeld oder Scheck,

- das Monatsgehalt bleibt länger auf dem Bankkonto,

- die Bank räumt hier bis zu einer bestimmten Grenze unbürokratisch einen Selbstbedienungskredit ein.

Aber auch Nachteile wurden laut:

- man verliert sehr schnell die Kontrolle über die Ausgaben,

- die Bank kann genau verfolgen, wo man sein Geld ausgibt.

Den beteiligten Kreditinstituten bringt der Pilotversuch erstmal nur Kosten. Der angebotene Dienst "Disketten-Clearing-Verfahren" ist auf Massen von Daten und nicht auf Massen von Datenträgern ausgelegt, zumal Kompromisse bei den Gebühren für das tägliche Einlesen der Disketten gefunden werden mußten.

Die Pflege und Distribution der gemeinsamen Sperrdatei wurde von einem der Kreditinstitute zentral übernommen. Die somit entstehenden zusätzlichen Kosten können durch Buchungsgebühren nicht gedeckt werden. Einsparungen im Verwaltungsaufwand sind nicht möglich, da das niedrige Transaktionsvolumen einen Abbau von Kapazität nicht rechtfertigt. Marketingargumente greifen für den Pilotversuch ebenfalls kaum.

Doch dies ist eine Investition für die Zukunft, denn der kostenintensivste Bereich des Bankwesens ist das Handling der etwa 37 Millionen privaten und rund zehn Millionen geschäftlichen Girokonten. Das Medium Papier als Datenträger ist progressiv kostspielig, da direkte und indirekte Personalkosten (Papier ist personalintensiv) von 51 000 Mark je Mannjahr 1981 auf schätzungsweise 80 000 Mark bis Mitte der 80er Jahre wachsen werden. Eine Kostenanalyse der Sparkassen ergab für das Jahr 1981 Aufwendungen für den Zahlungsverkehr zwischen 16 und 21 Milliarden Mark mit einer Kostenunterdeckung von fünf bis sechs Milliarden Mark.

Nach einer Schätzung wurden 1978 zirka 140 Millionen Eurocheques ausgestellt, im Ausland weitere 25 Millionen. Im selben Jahr waren 10,8 Millionen Privatkonten mit Scheckkarten ausgestattet, das waren 31,4 Prozent aller Privatkonten. 1983 waren es 640 Millionen Schecks in Deutschland. Das Scheckkartenpotential ist auch heute bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

Aus diesen wenigen Zahlen wird klar, daß die Kreditwirtschaft großes Interesse haben muß, die Papier- und damit Kostenflut einzudämmen. Mit der bargeld-, beleglosen und elektronisch verarbeitbaren Zahlung bietet sich die Chance, kostenintensive Teile des Giroverkehrs mittels EDV zu automatisieren. Im einzelnen ergibt sich langfristig für das Kreditgewerbe eine Verringerung des Bargeld- und Belegvolumens. Zudem wird das Kreditrisiko im Vergleich zum Scheck vermindert und die Verarbeitung von Transaktionen automatisiert.

Diese Zukunftsära bringt aber auch eine Verminderung des Kundenkontaktes mit sich. Der Wettbewerb mit verstärkter Notwendigkeit zur Rationalisierung verschärft sich, und die Gebühren für elektronische Buchungen müssen neu kalkuliert werden.

Verringerte Geldmenge hat Konsequenzen

Als volkswirtschaftliche Konsequenz ist bei einer breiten Einführung des Systems zu erwarten, daß die Gesamtkosten des Zahlungsverkehrs sinken. Die Lasten dieses Systems werden auch auf die Gruppen, die Nutzen daraus ziehen, verteilt. Deshalb scheint die Forcierung kartengesteuerter Abwicklungsformen für den Zahlungsverkehr voll gerechtfertigt. Durch Verringerung der Geldmenge und Anstieg des kurzfristigen Kreditvolumens ergeben sich auch Auswirkungen auf den Einsatz von notenbankpolitischen Instrumentarien. Hier ist eher mit der Erhöhung von Mindestreserven für die Kreditwirtschaft als mit dem Erlaß von quantitativen Kreditlinien zu rechnen.

Bereits heute zeichnet sich die weitere Entwicklung ab. Der Handel will auch noch die Automatisierung der Warenabgabe realisiert wissen. Nicht ohne Grund sind von 14 Pilotversuchsteilnehmern nicht weniger als zwölf Tankstellen, meist mit Bargeldautomaten-Erfahrung.

Aber auch der Verkauf von Tickets für Bahn und Flug oder Theaterkarten, welche durch einen Drucker erstellt werden können, verlangen förmlich nach einem automatisierten Zahlungsmittel wie die EC-Karte.

Mit dem Pilotversuch in München wurde eine neue Ära der Zahlungssysteme begonnen. Alle Anzeichen und Argumente sprechen für einen breiten Einsatz solcher Systeme auch mit der Chip-Card und über Deutschlands Grenzen hinaus. Den Konsumenten erwartet ein bequemeres Zahlungsmittel als Geld oder Scheck plus Scheckkarte. Für Hardwarehersteller wird das Thema POS und Kassenterminal immer interessanter, und auf die Bundespost kommt ein riesiges Datenkommunikationsvolumen zu. Es bleibt nur zu hoffen, daß die Beteiligten bei der Schaffung von einheitlichen Systemen und Regeln nicht zu viel Zeit verlieren.

* Angelo Zenz ist freier Unternehmensberater in München.