Münchner Kreis befaßt sich mit "Value Added Services (VAS)" Post: Auch in Deutschland haben wir VA-Dienste

25.07.1986

MÜNCHEN (CW) - Als "ganz normale transaktionsorientierte DV-Anwendungen in privaten Sondernetzen" bezeichnete Werner Pochenrieder, Siemens-Verantwortlicher für den Geschäftsbereich Datentechnik die unter der international gängigen Bezeichnung "Value Added Services" behandelten Telekommunikationsapplikationen, die jetzt Tagungsgegenstand des Münchner Kreises waren. Die internationale VAS-Szenerie nach den Deregulierungen in den USA (AT&T), Japan (NTT) und Großbritannien (British Telecom) war Hintergrund für eine betont "unpolitische" Bestandsaufnahme der entsprechenden Aktivitäten auch in der Bundesrepublik.

Die mit 200 Teilnehmern weit "überbuchte" Veranstaltung gelang zur Überraschung der Veranstalter zu einem kleinen Kongreß statt - wie erwartet - nur zu einer Fachtagung mit höchstens 80 Zuhörern. Neben Historie, Statusberichten aus erklärten VAS Ländern, wie den USA, Japan und Großbritannien, spielte die Abschätzung des jeweiligen Marktpotentials und die künftige Entwicklung weiterer Value Added Services eine wesentliche Rolle in den Berichten der Referenten.

Schwer taten sich die Deutschen, den Begriff "Value Added Services" ohne weiteres in das technische Neudeutsch zu übernehmen. Moderator Professor Wolfgang Kaiser, seines Amtes unter anderem Vorsitzender der Regierungskommission Fernmeldewesen, machte sich stark für eine Unterscheidung in "Nachrichtendienste" und "Verarbeitungsdienste". Der Sprecher der Bundespost, Jürgen Bohm, Leiter des Referats Datenfernverarbeitung im Postministerium, schloß sich der Stufeneinteilung 1 bis 5 des amerikanischen Referenten an, sprach aber nicht etwa von "Mehrwertdiensten", sondern von "Anwenderdatennetzen".

Unter dem Begriff "Value Added Services" versteht die Post hierzulande also in erster Linie Anwendungen (Postjargon). Die Japaner bezeichnen VAS als Information Services. Die Ausgangsbasis sei dort allerdings eine völlig andere gewesen als in der

Bundesrepublik, sagte Bohm. NTT habe schon immer national DV-Dienstleistungen angeboten. Bohm zog des weiteren einen Vergleich zu den Ausführungen des Kollegen von British Telecom: Er äußerte die Vermutung, daß das Wachstum der Anwendungen im bundesdeutschen Markt parallel zum englischen Markt verlaufen werde. Der britische Referent hatte immerhin die stolze Zahl von 5,7 Milliarden Dollar VAS-Marktvolumen für das Jahr 1987 genannt, und zwar in Anlehnung an eine Frost&Sullivan-Prognose.

Zum Thema Liberalisierung bemerkte Bohm ganz allgemein, daß die Deutsche Bundespost es als ihre Aufgabe verstanden habe, der Wirtschaft die nötige Infrastruktur anzubieten. Sie stelle das Fernmeldenetz und Sondernetze zur Verfügung, und damit könne der Anwender machen, was er wolle. Der Bereich der Netze einerseits und der Endgeräte und Anwendungen andererseits müßten sich getrennt voneinander entwickeln können. Inzwischen sei auch die Post-Regelung in der Bundesrepublik so weit fortgeschritten, daß die "normalen VA-Anwendungen" keiner Lizenzierung bedürfen. Es sind aber auch in der Vergangenheit bereits zahlreiche private Anwenderdatennetze entstanden. Als Beispiele hierfür nannte der Post-Ministeriale die Netze der Datev, von IBM, das Start-Netz und das Bankennetz Swift.

Deutsche Parallelen zog Bohm zu dem fünfstufigen Schichtenmodell, das Professor Eli M. Noam von der Columbia University aus New York in seinem Vortrag für den US-Markt als charakteristisch bezeichnete (siehe Kasten US-Markt): Die US-Ebenen 1 und 2 (Transportebene) würden gänzlich von der Deutschen Bundespost abgedeckt. Ebene 4 (Anwendungen) bezeichne eindeutig viele Angebote privater Hersteller. In Ebene 3 (hier reihte er als Beispiel Btx ein), wo auch private Anwendungen zu finden sind, sei die Post wettbewerbsmäßig parallel am Markt.

Das gesamte Dienstleistungsangebot der Deutschen Bundespost ist nach Aussage von Bohm inzwischen am Markt akzeptiert. Mitte letzten Jahres zählte die Post 250 000 Datenanschlüsse, was einem Nettozuwachs von 20 Prozent entspricht. Für 1986 wird ein noch größeres Wachstum erwartet. In den letzten vier Jahren hätten sich die Anschlußzahlen sogar verdoppelt. Um den Wachstumsfaktor für die nächsten Jahre zu ermitteln, hat die DBP jetzt eine Studie in Auftrag gegeben, die sich mit VAN-ähnlichen Dienstleistungen befassen soll, die bereits auf dem bundesdeutschen Markt vorhanden sind.

Nach Bohms Worten hat die Bundespost inzwischen Verbindungen zu sämtlichen auf der Welt existierenden paketvermittelten Netzen geknüpft. Das sind zur Zeit etwa 82, die von 52 Gesellschaften angeboten werden. Allein in den USA seien dies 15 paketvermittelte Dienste, also VAS der Ebenen 1 bis 3.

Abhebend auf die Glasfaserinstallationen sowohl in den USA wie in Japan hier gibt es eigene VAS-Gesellschaften, die nur auf Glasfaserbasis arbeiten), konnte Bohm berichten, daß die Bundespost die Glasfaserinstallation '86/'87 in der Bundesrepublik so weit vorangetrieben haben wird, daß dann ein geschlossenes Overlay-Netz den Postkunden zur Verfügung steht. Und zwar reiche die Glasfaser nicht nur bis zur Vermittlungsstelle, sondern könne bis zum Kunden geführt werden. Dies eröffne auf allen Ebenen enorme Möglichkeiten, Dienstleistungen anzubieten. In dieses Netz integriert sei auch die Datenübertragung via Satellit. Zur Zeit sei bereits Kapazität des französischen Satelliten Telecom 1 angemietet. Das System sei betriebsbereit. Die Vermarktung habe bereits über die Posttochter Detecon begonnen, erste Abschlüsse seien getätigt. Weitere Satellitenversuche der Deutschen Bundespost verlaufen, so der Ministeriale, planungsgerecht; das bedeutet, daß das erste System zu Beginn 1988 und das zweite System Ende 1988 anlaufen können.

Als Mitentwickler von Anwendungen präsentierte sich die Post im Bereich der Mailboxen. Heute seien zahlreiche Systeme für Informationsbroker am Markt, ferner Übersetzungsdienste, für Ersatzrechenleistung sowie Testleistungen etc.

Post arbeitet am Voice-Mail-Problem

Schwierigkeiten räumte Bohm für den Voice-Bereich ein. Leider sähe sich die Post zur Zeit nicht in der Lage, ähnlich frei wie im Non-voice-Sektor zu verfahren, "denn wir haben bei der Sprachübermittlung heute eine Tarifverzerrung, die wir beseitigen müssen, ehe wir so offen fahren können wie im digitalen Non-voice-Bereich". Die Post habe einen zweiten Weg beschritten, um auch diesen Markt zu erschließen. Dies sei die nutzungszeitabhängigen Tarifierung bei Festverbindungen für Sprache und andere Dienstleistungen. Zur Zeit seien noch enorm viele Tarifabsprachen nötig, weshalb Voice-Mail heute noch nicht zugelassen werden könne. Die Post arbeite jedoch an diesem Problem.

Hinsichtlich der nutzungszeitabhängigen Tarifierung (nT) erntete Bohm speziell von IBM-Sprecher Forner nachhaltigen Widerspruch. Hier sein Statement: "Ich meine, wir müssen alle die Sorge haben, daß über dem Tarifierungsthema (nT in festgeschalteten Leitungen) die Wirtschaftlichkeit von Value Added Services sehr gefährdet ist beziehungsweise bestimmte VAS überhaupt nicht möglich werden."

Japan Traditionen

Einblick in den japanischen VAS-Markt gaben gleich zwei Referenten aus Tokio: Seisuke Komatsuzaki, Managing Director beim Research Institute of Telecommunications and Economics (RITE) sowie Yoshimichi Yamashita, President von Artur D. Little. Das Volumen des japanischen Marktes für Information Services beträgt demnach 2500 Milliarden Yen jährlich. Diese Zahl setzt sich zusammen aus 2200 Milliarden Yen für sogenannte "Inhause-Dienste" (NTT) und 300 Milliarden Yen für externe Dienste. (Die Erklärung für diesen krassen Unterschied liegt noch Ansicht des Postministerialen Jürgen Bohm darin, daß die NTT bereits vor der Deregulierung in einer Monopolstellung DV-Dienste angeboten hat.)

Der gesamte japanische VAS-Markt wird - so die Referenten - von 1985 bis 1990 schätzungsweise um 14 Prozent jährlich wachsen. In Japan sind nach Auskunft der Referenten insgesamt 250 Anbieter von Fernmeldenetzen registriert. Der Weiterverkauf von Fernmeldediensten ist genehmigt und möglich.

Zu den Schwierigkeiten ausländischer Investoren, in Japan Fuß zu fassen, erklärte Yamashita: "Wer Insider werden möchte, muß eine langfristige Verpflichtung übernehmen, denn die japanischen Geschäftsbeziehungen beruhen auf Traditionen." Als positive Beispiele hierzu nannte er IBM und NCR. Die NTT werde nach wie vor eine sehr starke Rolle spielen, denn alle VAN-Anbieter müßten mit ihr konkurrieren.

USA: Flexibel

Über den VAN/VAS-Markt in den Vereinigten Staaten referierte Professor Eli M. Noam, Columbia University, New York. Die Größe des gesamten VAS-Markt umfaßt - seinen Ausführungen zufolge - knapp eine Milliarde Dollar (alle Ebenen). Das amerikanische Angebot an Value Added Networks und Services gliederte Noam in fünf Berieche:

- Stufe I umfaßt die Übertragungsleistung,

- Stufe II stellt die packetvermittelten Dienste dar,

- in Stufe III finden sich sogenannte "Generic Services",

- Stufe IV beinhaltet spezifische Anwendungen für die Industrie etc., und

- unter Stufe V versteht der Referent "private Anwendungen".

Als nicht sehr erfolgreich erwiesen sich die Aktivitäten von AT&T in den Stufen I und II: Erst kürzlich hat der Telecom-Gigant sein Net 1000 vom Markt genommen.

Stufe III teilte Noam wie folgt auf: Voice Mail, Audiotex, Electronic Mail, Online-Services (Datenbankabfragen), Electronic Data Interchange (EDI) sowie Audio- und Videokonferenzen. Die auf dem wichtigen Electronic-Mail-Sektor tätigen Unternehmen beanspruchen für sich Marktanteile von je 8 bis 15 Prozent, der Wettbewerb sei demzufolge sehr hart.

Die Online-Services verzeichnen jährliche Steigerungsraten (an Volumen) von 30 bis 40 Prozent. Videokonferenzen scheint in der "Neuen Welt" nicht besonders gut zu laufen. noch führt dies auf die zu hohen Kosten und den geringen Komfort zurück.

Auch in der Fertigungsindustrie (CAD{CAM), für die Bankenautomation und bei Teleshopping spielen VAS eine große Rolle (transaktionsorientierte DV-Anwendungen in Stufe IV).

Abschließend erklärte Noam, Unternehmen, die länger in diesem Markt bleiben wollten, müssen über eine gewisse Flexibilität verfügen. Die Hälfte der Firmen und Netze, die es heute gibt, würden erfahrungsgemäß in einigen Jahren nicht mehr aktiv sein, sagte Noam.

UK: Messaging

Als letzer ausländischer Redner trat Charles Markus für British Telecom ans Podium und skizzierte den britischen VAS-Markt. Als Schätzwerte für dieses Marktsegment nannte Markus Zahlen von Frost&Sullivan: So ermittelte F&S ein VA-Volumen von 532 Millionen Dollar für 1984 und errechnete 5,7 Milliarden Dollar bis 1987.

Die grundlegenden Elemente des UK-VAS-Marktes sind:

1. Message Handling Systems (80 Mailbox-Services, über 100 Speicher- und Zugriffsnetze).

2. Elektronisches Publizieren (60 Dienste, beispielsweise Videotex).

3. Transaktionsorientierte Dienste (zum Beispiel Reuther Echtzeitabfragen, Luftfahrtgesellschaften, Banken).

4. Network Services (Beispiel: Speaking Clock).

Insgesamt sind nach der Deregulierung der British Telecom 1982 knapp 800 Dienste hinzugekommen, die sich in 16 Service- Kategorien gliedern. Als tragendes Element der Value Added Services bezeichnete der Brite das "Messaging".

Das Inlandsgeschäft wächst nach den Worten Markus jährlich um etwa 25 Prozent.

Im September dieses Jahres soll ein neues Value Added Network verfügbar sein. Zu diesem Zeitpunkt würden dann auch die Einzelheiten für die Lizenzierung festgelegt. Die Regierung werde jedoch erst Ende des Jahrzehnts ein Wiederverkaufsrecht einführen, sagte Markus.