München und Wien auf Linux-Kurs

25.07.2005
Mit ihren Plänen für die Migration auf Linux-Desktops finden die Stadtverwaltungen von München und Wien international Beachtung. Die Bayern haben dabei die schwerere Aufgabe zu lösen.

Home of Wiener Schnitzel falls to the penguin". So kommentierte der britische IT-Nachrichtendienst "The Inquirer" die Vorstellung der Wiener Linux-Variante Anfang Juli. "Wienux", eine an die Bedürfnisse der Stadtverwaltung angepasste Linux-Distribution, sorgte weit über die österreichischen Grenzen hinaus für Schlagzeilen. Parallelen zur spektakulären Open-Source-Entscheidung der Stadt München im Mai 2003 drängten sich auf: Im Rahmen ihres "Li- mux"-Projekts wollen die Bayern bis 2008 rund 14 000 PCs auf quelloffene Software umstellen. In der österreichischen Metropole geht es um 18 000 PCs, die allerdings nur zum Teil auf Linux migriert werden sollen.

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www.computerwoche.de/go/

*77989: Open-Source-Strategie der Stadt Wien;

*74080: Gonicus und Softcon gewinnen Münchner Linux-Ausschreibung;

*49453: Münchens Entscheidung für Linux.

Hier lesen Sie …

• wie München und Wien auf Linux-Desktops migrieren wollen;

• worin sich die IT-Strategien der Stadtverwaltungen unterscheiden;

• warum das Münchner Projekt höhere Risiken birgt.

Bei genauerer Betrachtung unterscheiden sich die Vorhaben gravierend: Fast alle PCs der Wiener Stadtverwaltung arbeiten mit Windows 2000 oder einer jüngeren Version des Microsoft-Betriebssystems. Nach einer Betriebszeit von fünf Jahren werde die Hardware regelmäßig ausgetauscht, berichtet IT-Chef Erwin Gillich. Weil Microsoft Windows 2000 offiziell bis zum Jahr 2010 unterstützt, habe man es mit dem Umstieg nicht eilig.

Anders in München. "Hier ist der Migrationsdruck da", konzediert Wilhelm Hoegner, Leiter des Amts für Informations-und Datenverarbeitung (Afid). Die meisten der 14 000 städtischen PCs laufen unter Windows NT 4.0, das noch nicht einmal USB-Schnittstellen unterstützt. Die Hardware gilt als hoffnungslos überaltert. Hoegner: "Wien befindet sich einer günstigeren Situation und kann sich Zeit lassen."

Dass die österreichische Hauptstadt eine weitgehend einheitliche Client-Landschaft vorweisen kann, liegt vor allem an der zentralen IT-Organisation. Über das Rechenzentrum der Stadt verteilt Gillichs Magistratsabteilung 14 (MA 14) seit jeher die Betriebssysteme an die diversen städtischen Client-Rechner. Als interner Dienstleister zeichnet sie für die komplette Hardware- und Softwareinfrastruktur samt zugehörigen Dienstleistungen verantwortlich. In München dagegen dezentralisierte die Verwaltung 1989 die IT-Zuständigkeiten. Seitdem kann jedes Referat nach Belieben schalten und walten. Mit dem so genannten Basis-Client, der bis spätestens 2008 auf allen PCs laufen soll, wollen die Bayern zurück in die Zukunft. Das geht nur mit einer harten Migration aller Desktops, das heißt ohne Mitspracherecht der Nutzer.

Dieses Recht räumt Wien den rund 35 000 Magistratsbediensteten ausdrücklich ein. "Wer will, kann sich für den Open-Source-Weg entscheiden; wer an den bisherigen Produkten hängt, möge dort verbleiben", beschreibt die Stadtverwaltung die Optionen. Die Mitarbeiter können wählen, ob sie eine reine Microsoft-Umgebung mit dem Büropaket "Office" bevorzugen oder die Open-Source-Suite "Open Office". Diese lässt sich bei Bedarf auch unter Windows betreiben. Auf einem Informationstag im Juli gab die Stadtverwaltung den Nutzern Gelegenheit, die Open-Source-Programme zu testen. Eine eigens eingerichtete User Group soll eventuelle Änderungen an der Wienux-Distribution diskutieren.

Kein Pflichtumstieg in Wien

"Ein Pflichtumstieg auf Linux ist nicht wirtschaftlich", begründet Gillich seine Strategie. Das habe eine 2004 erstellte Studie zum Open-Source-Einsatz in der Stadtverwaltung gezeigt. Die meisten Kosten fielen für die Nutzerschulungen an. "Das geht nicht unter Zwang." Wechselten die Mitarbeiter hingegen aus eigenem Antrieb auf Open Source, seien Schulungen in vielen Fällen kaum noch nötig. Für eine Migration ziehe Wien ohnehin nur solche PCs in Betracht, die relativ leicht umzustellen sind. Von den rund 16 000 in der Studie untersuchten Rechnern könnten 7500 ohne Schwierigkeiten mit Open Office statt dem Microsoft-Paket arbeiten, lautet ein Ergebnis. Davon wiederum ließen sich 4800 PCs auf ein Open-Source-Betriebssystem migrieren.

Ein Knackpunkt im Münchner Linux-Projekt sind die zahlreichen Fachverfahren, auf die die Mitarbeiter über ihre PCs zugreifen. In den Referaten der Stadt laufen etwa 170 verschiedene Fachanwendungen; hinzu kommen einige große Applikationen auf dem zentralen BS2000-Mainframe. Für die Umstellung gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder werden die Server-Programme auf Linux portiert oder über plattformunabhängige Frontends wie SAPs Java Client mit den neuen PCs verbunden.

Für die BS2000-Verfahren könne man die Linux-Emulation nutzen, die das Fujitsu-Siemens-Betriebssystem biete, erläutert Hoegner. Schwieriger gestalte sich die Anbindung der dezentralen Anwendungen. Sie stammten von rund 120 verschiedenen Softwarehäusern, darunter auch sehr kleine, die sich eine Linux-Migration oft gar nicht leisten könnten. "Die Firmen müssen mitziehen", sagt der IT-Verantwortliche. "Das ist ein kritischer Erfolgsfaktor für das ganze Projekt."

Doch es sind nicht nur die kleinen Softwareschmieden, die Hoegner das Leben schwer machen. So muss beispielsweise SAP auf den Partner Microsoft Rücksicht nehmen und unterstützt deshalb Linux-Clients nur zögerlich. In Sachen Open Source sei das Walldorfer Unternehmen in zwei Lager gespalten, so Hoegner. Derzeit verhandele man mit dem Hersteller über die Anbindung der ERP-Software an Open Office.

In Wien sind die 4800 für eine rasche Linux-Migration identifizierten PCs gar nicht vom Problem der Fachverfahren betroffen, sagt Gillich. Bereits seit dem Jahr 2000 beschaffe oder entwickle die Stadt ausschließlich Fachanwendungen, die auch unter Linux laufen. Ältere Applikationen blieben unverändert, auf sie könnten die Bediensteten wie bisher über Windows-Clients zugreifen. Die Anbindung an die SAP-Welt macht aber auch ihm zu schaffen. So decke das Java GUI nicht alle benötigten Funktionen ab. Für den Zugriff auf das Modul Business Warehouse beispielsweise verlange SAP zwingend Microsoft Excel.

Weitgehend einig sind sich Hoegner und Gillich, wenn es um die Gründe für ihr Linux-Engagement geht. "Wir wollen die Abhängigkeit von marktbeherrschenden Unternehmen verringern", sagt der Münchner IT-Chef. Wichtig sei auch die Möglichkeit, den Quellcode der eingesetzten Software einzusehen und bei Bedarf zu verändern. Eine weitere Gemeinsamkeit der IT-Großprojekte liegt in der gewählten Linux-Variante. Beide Städte entschieden sich für die Debian/GNU-Distribution als Basis für ihre Plattform. Die etablierten kommerziellen Linux-Distributoren Novell/Suse und Red Hat hatten das Nachsehen.

Nicht zuletzt versprechen sich sowohl München als auch Wien Kostenvorteile. Doch auch hier gibt es Unterschiede: Hoegner etwa sieht in der Linux-Migration lediglich ein "langfristiges Einsparpotenzial". Gillich dagegen erwartet von der Wienux-Lösung mit Open Office Einsparungen von 93 Euro pro Jahr und PC, die Variante mit Open Office unter Windows würde 62 Euro pro Rechner sparen. Gemessen an den Gesamtkosten pro Arbeitsplatz mache dies jedoch nur einen geringen Teil aus.

Unterm Strich sind Wienux und Limux ein ungleiches Paar. Wien könne sein Linux-Engagement jederzeit zu relativ geringen Kosten beenden, argumentiert Gillich. München dagegen habe "alles auf eine Karte gesetzt." Das Projekt sei zum Erfolg verdammt: "Wir beneiden die Kollegen nicht."