Fachanwendungen bereiten den Verantwortlichen weiter Kopfzerbrechen

München gibt Startschuss für Linux-Umstellung

25.06.2004
MÜNCHEN (CW) - Der Münchner Stadtrat hat am 16. Juni das Feinkonzept für die Migration der städtischen IT-Systeme auf Open-Source-Produkte verabschiedet. Während sich die Verantwortlichen der bayerischen Landeshauptstadt in einer Vorreiterrolle in Sachen Linux-Umstieg sehen, herrschen in einigen Abteilungen noch Vorbehalte. Probleme könnte vor allem die Umstellung der zahlreichen Fachanwendungen bereiten.

"Es wird eine sanfte Migration geben", betont Christine Strobl, Vizechefin der SPD-Fraktion und Mitglied der IT-Kommission im Stadtrat. Offiziell starten soll "Li-Mux" am 1. Juli 2004. Die Kernarbeiten an den Systemen werden laut den bislang vorliegenden Plänen am 1. Oktober dieses Jahres beginnen und sollen bis Ende 2006 abgeschlossen sein. Bis jedoch alle Referate den Wechsel auf Open-Source-Produkte vollzogen haben, wird es nach Einschätzung Strobls bis zum Jahr 2009 dauern.

Bereits vor rund einem Jahr hatte das Stadtparlament den Grundsatzbeschluss gefasst, die weitgehend auf Microsoft-Produkten basierende Systemlandschaft der bayerischen Landeshauptstadt auf Linux zu migrieren. Betroffen sind rund 16 000 Mitarbeiter und etwa 14 000 PCs. In den vergangenen Monaten haben die Verantwortlichen dazu unter der Federführung des Amts für Informations- und Datenverarbeitung (Afid) und des Münchner Direktoriums ein Feinkonzept entwickelt. Im Rahmen dieser Vorarbeiten, die nur mit finanzieller und praktischer Unterstützung der Firmen IBM und Suse möglich waren, wurden bereits ein Schulungskonzept entwickelt und ein Basis-Linux-Client mit allen notwendigen Komponenten definiert.

Softwareanbieter zögern

"Die Migration wird jedoch nicht ohne Probleme ablaufen", räumt Strobl ein. So erweise sich die Umstellung der Fachanwendungen schwieriger als ursprünglich erwartet. Viele kleinere Softwareanbieter zögerten noch, ihre Produkte an Linux anzupassen. Auch die rund 1300 Makrofunktionen innerhalb der Stadtverwaltung müssten konsolidiert und durch standardisierte Web-Applikationen ersetzt werden. Außerdem gebe es in Sachen Nutzerakzeptanz noch allerhand zu tun. Strobl will die Linux-Umstellung zum Anlass nehmen, die gesamte IT-Organisation der Stadt München strategisch neu auszurichten. Beispielsweise müssten Redundanzen zwischen den rund 6000 Verwaltungsformularen ausgeräumt werden.

Doch nicht nur die Stadtverwaltung ist von der Linux-Entscheidung betroffen. Rund um die Behörden-IT gibt es zahlreiche Betriebe, deren Systeme eng an die Stadtverwaltung gekoppelt sind. So muss beispielsweise auch Mirko Liebert, IT-Verantwortlicher der Großmarkthallen in München, ein Migrationskonzept für den Umstieg auf Linux erarbeiten: "Für uns als kleinen mittelständischen Betrieb bedeutet das einen Riesenaufwand." Zwar werde die Stadt die Hallen in technischer Hinsicht unterstützen. Finanziell müsse man den Aufwand jedoch selbst tragen. Vor allem im Rahmen seiner Buchhaltungssoftware sieht Liebert Probleme auf sich zukommen. Derzeit haben die Großmarkthallen eine Navision-Lösung von Microsoft im Einsatz. Alternativen im Linux-Bereich seien dünn gesät, berichtet der IT-Leiter.

Wie das Projekt Li-Mux konkret aussieht, wird sich erst in den nächsten Monaten herausstellen. Eine Art Generalunternehmer soll allem Anschein nach nicht verpflichtet werden. Laut Jens Mühlhaus von der Fraktion von Bündnis90/Die Grünen wird es viele kleine Ausschreibungen für Einzel- und Teilvorhaben geben. Damit will der Stadtrat kleine und mittlere IT-Anbieter mit ins Boot holen und den Wirtschaftsstandort München stärken. Das Projekt soll der lokalen IT-Branche neue Impulse verschaffen, hofft Mühlhaus. München dürfe sich nicht von dem Monopolisten Microsoft abwenden und dem nächsten, nämlich IBM, in die Arme laufen, warnt der Stadtrat.

CSU lehnt Linux-Projekt ab

Für das Linux-Projekt stimmten im Stadtrat die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen sowie FDP und kleinere Parteien wie ÖDP und PDS. Einzig die Stadträte der CSU waren gegen das Konzept. Vor allem finanzielle Gründe führen die christlich-sozialen Politiker an. So rechnet CSU-Stadtrat Robert Brannekämper damit, dass die Kosten weit über den bisher veranschlagten 35 Millionen Euro liegen werden. Daher könne seine Fraktion den Umstieg politisch nicht mittragen. Die Microsoft-Lösung wäre rund sieben Millionen günstiger gekommen. Brannekämper geißelt das Projekt als "finanzielles Abenteuer mit nicht absehbaren Folgen". Die Grundsatzentscheidung aus dem vergangenen Jahr sei allein politisch begründet gewesen. Wenn man jedoch Microsoft als bösen Monopolisten verurteile, müsse die Stadt auch mit Firmen wie IBM und SAP anders umspringen.

Stadtkämmerer Klaus Jungfer räumte ein, dass für die Migration zusätzliche Mittel im Haushalt für das Jahr 2005 eingeplant werden müssten. Deren Höhe sei noch nicht absehbar. Woher er das Geld für die Linux-Migration nehmen soll, weiß Jungfer nicht. (ba)

Linux all over the world

Nach der Entscheidung der Stadt München, auf Linux zu migrieren, haben eine Reihe weiterer europäischer Großstädte und Regierungen ähnliche Projekte angekündigt. So hat vor wenigen Tagen die französische Regierung erklärt, rund eine Million Rechner der öffentlichen Verwaltung auf Open-Source-Produkte umstellen zu wollen. Zuvor hatte die Stadt Paris ein Gutachten in Auftrag gegeben, um die möglichen Vorteile eines Umstiegs auszuloten. Das Ergebnis liegt noch nicht vor. Auch in Wien prüfen die Verantwortlichen bereits sei einigen Monaten Open-Source-Alternativen. Eine Entscheidung, die rund 15000 PCs auf Linux umzurüsten, könnte schon in den nächsten Wochen fallen. Die IT-Verantwortlichen von Rom haben im Februar dieses Jahres bekannt gegeben, ihr neues Portalsystem auf einer Open-Source-Plattform betreiben zu wollen. Im norwegischen Bergen ist die Entscheidung für Linux bereits gefallen: Zahlreiche Server der Stadtverwaltung und im Schulbetrieb arbeiten mit Open-Source-Produkten. Die Desktop-Systeme könnten bald folgen.