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MS-Kartellurteil: Business as usual - unter Kontrolle

04.11.2002
Auch wenn US-Justizminister Ashcroft das Urteil im Kartellprozess als "wichtigen Sieg für die Verbraucher" wertet, ist Microsoft aus Sicht vieler Beobachter und Experten zu glimpflich davongekommen.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - "Wir begrüßen, dass das Gericht den mit der Bundesregierung und den neun Bundesstaaten erzielten Vergleich unter Vorbehalt genehmigt hat. Dieser Vergleich ist ein harter, jedoch fairer Kompromiss. Dadurch werden Microsoft signifikante Anforderungen auferlegt, jedoch haben wir dadurch weiterhin die Möglichkeit, Innovationen und Produkte zu entwickeln, die auf die wechselnden Bedürfnisse unserer Kunden eingehen. Uns ist bewusst, dass wir unter Beobachtung der Regierung und unserer Wettbewerber stehen werden. Wir werden die erforderliche Zeit, Energie und Mittel aufbringen, um sicherzustellen, dass wir unseren Verpflichtungen gerecht werden." So kommentierte Microsoft das Urteil im US-Kartellprozess von Richterin Colleen Kollar-Kotelly vom vergangenen Freitag (Computerwoche online berichtete).

Mal ehrlich: "Jauchzet! Frohlocket!" konnte der Konzern ja nicht wirklich schreiben - auch wenn sicher in so manchem stillen Redmonder Kämmerlein die Korken nach der Urteilsverkündigung geknallt haben dürften. Microsoft ist aus Sicht vieler Beobachter mit nicht einmal einem blauen Auge viel zu glimpflich davon gekommen. "Der Grundtenor ist doch: 'Sie haben eine Bank ausgeraubt. Sie dürfen das Geld behalten, und Sie dürfen es wieder tun. Aber benutzen Sie nicht die exakt gleiche Methode'", kommentiert Donald Falk, Partner bei der Anwaltskanzlei Mayer, Brown, Rowe and Maw aus Palo Alto. "Die klare Aussage ist, dass Monopolisten einen Freifahrtschein erhalten, zumindest unter dieser Regierung." "Angesichts der Alternativen ist klar, dass Microsoft bei dem Urteil reichlich gut weggekommen ist", findet auch Rob Enderle von der Giga Information Group. "Das ist - selbst da, wo es am meisten weh tut - an keiner Stelle so schmerzhaft wie die Forderungen der noch klagenden

Bundesstaaten."

"Das sieht nach einem unglaublichen Sieg für Microsoft aus", stimmt Robert Lande zu, Professor für Kartellrecht an der University of Baltimore. "Es gibt hier und da ein paar kleine Änderungen, aber das ist und bleibt nahezu ein vollständiger Sieg für Microsoft." Ins selbe Horn bläst Dwight Davis, Analyst bei Summit Strategies in Boston. "Das ist klar ein fröhlicher Tag in Redmond", meint der Experte. "Der von Microsoft ausgehandelte Vergleich war viel milder als einige zuvor kursierende Vorschläge. Das Unternehmen hat einen weiteren gerichtlichen Test weitgehend intakt überstanden und kann eigentlich weiter Business as usual betreiben."

Ein Großteil der Auflagen ist bereits erfüllt

Über "Programmzugriff und -standards" können Nutzer aktueller Windows-Versionen die so genannte Middleware von Microsoft ausblenden.
Über "Programmzugriff und -standards" können Nutzer aktueller Windows-Versionen die so genannte Middleware von Microsoft ausblenden.

Einem Großteil der im November vergangenen Jahres im Vergleich mit dem DOJ (Department of Justice = Justizministerium) und neun von zuvor 18 klagenden einzelnen US-Bundesstaaten ausgehandelten Auflagen ist Microsoft proaktiv bereits nachgekommen: Windows 2000 und XP verfügen nach Installation der aktuellen Service Packs (SP3 für Windows 2000, SP1 für Windows XP) über die neue Funktion "Programmzugriff und -standards", über die der Benutzer im Kartellprozess leicht missverständlich als "Middleware" bezeichnete Programme wie Webbrowser, Mailclient, Mediaplayer und Instant Messenger selbst definieren kann. Dabei hat er die Auswahl zwischen drei Varianten: Microsoft pur, ausschließlich Konkurrenzprogramme oder eine individuellen Mischkonfiguration. De facto gibt es allerdings längst nicht mehr in allen Bereichen echte Alternativen - schließlich konnte der Konzern seine Marktmacht über Jahre hinweg ungebremst ausspielen und hat damit zahlreiche einst

möglicherweise ernst zu nehmende Wettbewerber und deren Produkte zur Bedeutungslosigkeit verkommen lassen.

Für die mittelfristige Zukunft - genauer gesagt fünf Jahre mit einer Option auf weitere 24 Monate Verlängerung - darf Microsoft dem jetzt gesprochenen Urteil zufolge PC- und konkurrierende Softwarehersteller nicht darin behindern, "irgendeine Software zu entwickeln, zu verteilen, zu promoten, zu nutzen, zu verkaufen oder zu lizenzieren, die mit Microsofts Plattform-Software konkurriert". Gleiches gilt für jedes Produkt oder jeglichen Service, der Nicht-Microsoft-Middleware verteilt oder bewirbt.

Ebenfalls nicht gängeln darf der Softwarekonzern Anbieter, die PCs mit Windows und weiteren Betriebssystemen ausliefern oder deren Rechner mehrere Betriebssysteme booten. Der Spruch sieht ferner vor, dass Microsoft die Kündigung von Lizenzverträgen wenigstens 30 Tage vorab ankündigen und auch begründen muss. Das Unternehmen muss seine Lizenzbedingungen einheitlich halten und für Windows eine Lizenzgebühr nehmen, die auf einer für alle Prozessparteien und sonstigen betroffenen Unternehmen zugänglichen Web-Site einsehbar ist.

Nicht dokumentieren, veröffentlichen oder in Lizenz geben muss Microsoft dagegen Programmierschnittstellen oder Kommunikationsprotokolle, die die Sicherheit seiner Software in puncto Anti-Piracy, Virenschutz, Softwarelizenzierung, Digital Rights Management (DRM), Verschlüsselung oder Authentifizierung gefähren könnten.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

"Das Gericht wird Microsofts Manager, und insbesondere die, welche in diesem Verfahren ausgesagt haben, persönlich dafür veranwortlich machen, dass jede einzelne Bestimmung dieser Einigung eingehalten wird", gab Richterin Kollar-Kotelly Bill Gates und seinen Mannen als Warnung mit auf den Weg. "Dieses Gericht wird seine volle Machtfülle einsetzen, um sicherzustellen, dass dieses Urteil in Wortlaut und Sinn umgesetzt wird."

Die Regierung trägt die Verantwortung für die korrekte Umsetzung der Bestimmungen. Sie muss ein Komitee zur Koordinierung einsetzen. Dieses wird wiederum einen "Compliance Officer" bestimmen, der als hochrangiger Microsoft-Mitarbeiter eingesetzt wird, aber unabhängig agiert. Die Kläger im Kartellprozess sollen ferner "vernünftigen Zugang" zu Microsofts Sourcecode, Buchhaltung, Korrespondenz und anderen Dokumenten erhalten und Mitarbeiter des Konzerns bezüglich der Einhaltung des Urteils befragen dürfen.

Ein Sieg für die Verbraucher?

Der amerikanische Justizminister und Generalbundesanwalt John Ashcroft bezeichnte das Urteil gegen Microsoft als "wichtigen Sieg für Verbraucher und Unternehmen". Seltsamerweise kam aber auch Chief Software Architect und Firmengründer Bill Gates zu dem Schluss, es handele sich "um einen guten Kompromiss und eine gute Einigung". Eine Berufung seitens des Konzerns sei unwahrscheinlich, so Gates weiter. "Die Einigung erlegt Microsoft neue Verantwortung auf, und diese akzeptieren wir."

Erstaunlich friedlich akzeptierten das Urteil auch die Vertreter der nach dem Vergleichsvorschlag vom November letzten Jahres im Verfahren verbliebenen neun einzelnen US-Bundesstaaten. Tom Miller, Attorney General von Iowa, fand, das Urteil lege "große Betonung auf die Umsetzung". Sein Kollege aus Connecticut, Richard Blumenthal, bezeichnete es gar als "wahrhaft historisch". Erstmals hätten einzelne Staaten in einer gemeinsamen Klage mehr erreicht als zuvor die Bundesregierung: "Das Ergebnis ist besser und stärker, weil wir mehr effektive Gegenmittel erreicht haben, und die Staaten können auf diese Leistung stolz sein."

Eine Entscheidung über eine mögliche Berufung werde man erst später fällen, betonte Blumenthal. Man müsse das Urteil zunächst gründlich analysieren und mit allen Kollegen aus den neun bislang noch klagenden Staaten besprechen. Beide Prozessparteien haben nach dem Spruch 30 Tage Zeit, um dagegen Berufung einzulegen. "Das letzte Kapitel ist noch nicht geschrieben", erklärte Blumenthal weiter. "Die Staaten werden sich in jedem Fall bei der effektiven Umsetzung engagieren."

Gartner-Analyst Tom Bittman hält eine Berufung indes für wenig wahrscheinlich: "Der Supreme Court hat bereits zu verstehen gegeben, dass er an der Angelegenheit nicht interessiert ist. Aus unserer Sicht ist der Fall abgeschlossen."

Weitere Stimmen

Ken Walsh von der eher Microsoft-kritischen Software Information Industry Association (SIIA) hält das Urteil für wenig hilfreich. Es stelle "ein ineffektives Mittel gegen Microsofts Kartellrechtsverstöße" dar. Diese erstreckten sich mittlerweile längst über den Browser hinaus auf andere Technologien und Märkte.

Richterin Kollar-Kotelly ist diese zweifellos richtige Feststellung natürlich auch nicht entgangen. Sie schreibt in ihrem Urteil diesbezüglich, die Forderungen der verbliebenen Kläger - diese hatten unter anderem ein Windows ohne jegliche zusätzliche Microsoft-Middleware gefordert - seien überzogen und hätten zu einer "ungerechtfertigten Manipulation des Markts" geführt mit dem Ziel, Wettbewerbern wie Sun Microsystems, Apple und Red Hat einen "künstlichen Vorteil" zu verschaffen.

Suns Special Counsel Michael Morris hat bereits erklärt, angesichts Microsofts bisherigen Verhaltens sei abzusehen, dass das Urteil "bei der Beschränkung von Microsofts monopolistischen und wettbewerbsfeindlichen Praktiken nicht effektiv" sein werde. Die noch klagenden Staaten haben aus seiner Sicht gute Gründe für eine Berufung und würden diese hoffentlich einlegen. Morris verwies wie sein Kollege Paul Cappucio, Generaljustiziar von AOL Time Warner, außerdem auf die noch anhängigen Privatklagen von Sun und Netscape sowie das ebenfalls noch offene Kartellverfahren der Europäischen Kommission, das thematisch breiter angelegt sei.

Das Verfahren habe "wie ein Damoklesschwert" über der Branche gehangen und Jahre lang Investitionen, Innovation und Wirtschaftswachstum gebremst, findet Jonathan Zuck von der Microsoft-gesponserten Association for Competitive Technology. "Wir hoffen wie auch die Mehrheit der Industrie, dass das endlich vorbei ist." Naturgemäß anders sieht dies Robert Bork, Berater der von Microsoft-Wettbewerbern geförderten ProComp. Das Urteil stelle einen "gefährlichen Präzedenzfall" dar, erklärte der frühere Richter. Es habe in der Vergangenheit noch niemals einen Fall gegeben, bei dem das Justizministerium einem Vergleich zugestimmt habe, bei dem fast nichts von dem enthalten war, was Gesetz und Berufungsgericht gefordert hatten.

Aus Sicht von Dan Kusnetzky, Betriebssystemanalyst bei der IDC, wird sich für Microsoft und dessen Kunden zumindest wenig ändern: "Ich vermute, dass wir nicht viele Maßnahmen erleben werden, die für den Verbraucher sichtbar sind." Veränderungen seien noch Jahre entfernt - falls es denn überhaupt welche geben werde (nach einer möglichen Berufung vor dem Supreme Court). Giga-Mann Enderle sieht die Anwender eher als Gewinner: "Auf keinen Fall schafft die Einigung für die IT-Abteilungen eine schlechtere Umgebung. Das Ergebnis ist entweder neutral oder besser."

Das Schlusswort überlassen wir an dieser Stelle dem Open-Source-Verfechter und -Aktivisten Eric Raymond. Angesichts des Urteils gegen Microsoft sehe es zwar nicht danach aus, dass "dies mehr als marginale Auswirkungen" auf die Welt der Betriebssysteme und den Wettbewerb haben werde. Leider habe man, so Raymond, nun das Schlechteste aus beiden Welten - niemand bestreite, dass die Regierung sich derart einmischen solle, die Einmischung sei aber nicht wirkungsvoll. Die eigentliche Entscheidung übernehmen aus Sicht des Verfechters freier Software ohnehin andere Kräfte. "Ich denke, der Markt wird sich des Problems Microsoft annehmen", glaubt Raymond. (tc)