Schleichender Niedergang von Firefox

Mozilla sucht den Sündenbock

Kommentar  05.10.2022
Von 
Matt Asay ist Autor der US-Schwesterpublikation Infoworld.com.
Das Problem von Mozilla sind nicht wettbewerbsfeindliche Praktiken, sondern der Wettbewerb selbst.
Firefox geht langsam aber sicher die Luft aus. Laut Mozilla liegt's an der Konkurrenz. Unser Autor sieht das völlig anders.
Firefox geht langsam aber sicher die Luft aus. Laut Mozilla liegt's an der Konkurrenz. Unser Autor sieht das völlig anders.
Foto: JaysonPhotography - shutterstock.com

Mozilla hat kürzlich einen 60 Seiten starken Report veröffentlicht (PDF), in dem das Unternehmen Regulierungsbehörden auffordert, Verbrauchern eine "sinnvolle Möglichkeit zu geben, alternative Browser auszuprobieren". Allerdings liegt Mozillas Problem nicht in wettbewerbswidrigen Praktiken der Browser-Konkurrenz: Das Problem ist der Wettbewerb selbst, gegen den Mozilla abstinkt. Laut eigener Aussage ist es die Mission der Firefox-Macher, Nutzer zusammenzubringen, Entscheider miteinander zu verbinden und die Agenda für ein gesundes Internet zu gestalten. Meine Meinung: Vielleicht sollte Mozilla mehr Zeit darauf verwenden, einen anständigen Browser zu entwickeln.

Schon vor Jahren ist man bei Mozilla zu dem Schluss gekommen, die schwindenden Browser-Marktanteile hätten vor allem mit ruchlosen Geschäftspraktiken der Konkurrenz - und nicht mit schlechter Produktentwicklung - zu tun. Das resultierte beispielsweise in Plakat-Kampagnen, die mit Sätzen warben wie: "Jeder Browser ist schnell. Aber nicht jeder Browser tut Gutes".

Leider ist es nur so, dass altruistische Motive bei der Browser-Nutzung für die meisten Internetnutzer eher nachrangig sind: Sie wollen einfach etwas, das funktioniert. Genau diese mühelose Nutzererfahrung hat Google Chrome auf allen Geräten konsistenter gemacht als jeder andere Browser.

Mozillas verpasste Firefox-Chancen

Ob auf Desktop oder Mobile: Fakt ist, Mozillas Firefox läuft, insbesondere was zweitgenannte Kategorie angeht, nur noch unter "ferner liefen":

Source: StatCounter Global Stats - Browser Market Share

Source: StatCounter Global Stats - Browser Market Share

Dazu hätte es meiner Meinung nach nicht kommen müssen.

In den 1990er Jahren beherrschte Microsoft mit dem Internet Explorer den Markt. Das änderte sich, nachdem die Kartellbehörden einschritten - allerdings war es Google und nicht Mozilla, das Microsofts Platz einnahm, nur ohne ubiquitäres Betriebssystem im Rücken. Schon damals - im Jahr 2008 - schrieb ich über Mozillas Chance, Firefox in eine echte, von der Community entwickelte Web-Plattform zu verwandeln. Das ist nicht gelungen, obwohl Mozilla Innovationen wie Rust hervorgebracht hat. Das Unternehmen "kann" also Innovation - nur eben nicht, wenn es um Firefox geht. DuckDuckGo etwa hat sich eine beachtliche, wachsende Nische im Bereich datenschutzorientierter Suchmaschinen geschaffen. Mozilla hingegen verliert nur beständig an Boden. Warum?

Im eingangs genannten Report behauptet Mozilla, eine freie Browser-Nutzung werde seit Jahren durch Online-Architekturen und kommerzielle Praktiken behindert, die die Plattformen begünstigen würden aber nicht im Interesse von Verbrauchern, Entwicklern und einem offenen Web stünden. Das wäre unter Umständen glaubwürdiger, wenn Mozilla nicht das Unternehmen wäre, das seinen Einstieg in den Mobile-Markt völlig verpatzt hat - eine kurze Übersicht:

  • vier Jahre zu spät auf Android;

  • die anfängliche Weigerung für iOS zu entwickeln, wegen einer Antipathie für WebKit;

  • der verpatzte Versuch, Firefox als weborientiertes Betriebssystem für Smartphones oder TVs zu etablieren;

  • der Weltverbesserer-Fehlschlag mit Context Graph;

Tatsächlich scheint nichts, was Mozilla tut, so richtig zu funktionieren - wie auch die oben abgebildeten Marktanteilsdiagramme belegen.

Mozillas Eigenwahrnehmungsproblem

Geht es darum, die Ursachen für diese Entwicklung zu benennen, hat Mozilla alle möglichen Ausreden auf Lager, die aber eher haltloser Natur sind. Betrachten wir zum Beispiel folgendes Statement aus dem Mozilla-Report: "Eine freie Browser-Wahl wird auf dem Desktop seit Jahren vereitelt und auf mobilen Geräten hat es sie nie wirklich gegeben." Der erste Teil des Satzes mag die Situation um Microsoft und den Internet Explorer zutreffend beschreiben, das war es aber auch schon. Dass Google seinen Chrome-Browser bereits im Jahr 2008 erfolgreich auf den Desktop und 2012 auf Mobilgeräte brachte, wird schlicht ausgeklammert.

Weiter schreiben die Mozilla-Autoren: "Als die dominierenden Betriebssysteme (Microsoft und Apple) beschlossen, ihre eigenen Browser zusammen mit dem Betriebssystem eines jeden Computers anzubieten, schwanden die Möglichkeiten für unabhängige Browser". Das ist schlicht unwahr. Google hat jeden etablierten Anbieter, der ein Betriebssystem mit einem Browser gebündelt hat, auf dessen eigener Plattform besiegt.

Dieselbe Logik versucht Mozilla im Rahmen seines Berichts auf den Mobilfunkbereich anzuwenden: "Die Situation hat sich mit der Entwicklung von Smartphones mit proprietären und geschlossenen Betriebssystemen (Google und Apple) und Connected Devices (Google, Apple, Amazon, Facebook) verschlimmert - jedes Betriebssystem wird mit seinem eigenen Browser gebündelt". Letzteres ist korrekt. Allerdings untermauern die Folgen dieser Bündelung nicht Mozillas Standpunkt - im Gegenteil.

Ja, Apples Safari ist auf iOS-Geräten stark, vermutlich weil die Nutzer einen Wechsel als mühsam empfinden. Auf Desktops fällt diese Rolle Googles Chrome zu (vielleicht, weil es für Verbraucher einfacher ist, Chrome herunterzuladen und auf ihrem Desktop zu installieren). Es stimmt auch, dass es zumindest im Fall von Apple schwierig beziehungsweise umständlich ist, den gebündelten Browser zu löschen oder als Standardbrowser zu entfernen. Allerdings finden die meisten Nutzer dennoch den Weg zur Chrome-Installation: Sogar auf Apple- und Microsoft-Geräten ist Chrome seinen Alternativen überlegen.

Mozillas Argumentation, dass die starke Position von Google und Apple im Bereich Browser zu weniger Innovation und Qualität führt, ist vor dem Hintergrund, dass Firefox (besonders im Mobile-Bereich) seit Jahren hinterherhinkt, nur schwer zu akzeptieren. Tatsächlich scheint das Unternehmen sich in seinem Report in einem Meer aus Argumenten zu verlieren, von denen es sich wünscht, sie würden greifen - auch wenn sie nachweislich falsch sind.

Mein Fazit: Mozilla täte gut daran, einen besseren Browser zu entwickeln, statt Plakataktionen zu starten und die Konkurrenz über Berichte im Studienmantel anzugreifen. Die Konsumenten entscheiden sich für Chrome, weil der Browser sowohl auf dem Desktop als auch auf dem Smartphone ein konsistentes, hochwertiges Nutzererlebnis bietet. Mozillas Firefox hingegen ist schon vor einem Jahrzehnt an entscheidenden Punkten ins Wanken geraten und bezahlt jetzt den Preis für diese Fehltritte. Ein flehender Appell an die Regulierungsbehörden wird die Probleme, mit denen sich das Unternehmen wettbewerbsunfähig gemacht hat, jedenfalls nicht beheben können. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation InfoWorld.