Motivation Geld hat ihre Grenzen

10.05.2001
Von in Hiltrud
Wenn der Headhunter IT-Experten anruft, lockt er mit hohen Gehältern. Nur wer sich rechtzeitig um eine attraktive Personalentwicklung und interessante Arbeitsinhalte kümmert, hat Chancen, seine Mitarbeiter zum Bleiben zu bewegen. Denn mit Geld allein lässt sich kaum einer von der Kündigung abhalten.

“Wir zittern jedes Mal zu den Kündigungsfristen, wenn ein IT-Mitarbeiter mit einzelnen Blättern in unser Büro kommt“, erzählt Angelika Schuster*, Personalbetreuerin eines süddeutschen Systemhauses, und spricht damit vielen Teilnehmern des Seminars „IT-Personal binden“ von Management Circle aus dem Herzen. Dass IT-Experten derzeit sehr gefragt sind und oft abgeworben werden, stellt Schuster vor viele Probleme, denn ein Mitarbeiterwechsel ist in erster Linie teuer.

Max Deutler*, Personalverantwortlicher eines kleineren IT-Unternehmens, dessen Mitarbeiter vor allem in Kundenprojekten tätig sind, rechnet vor: Ein IT-Spezialist erarbeitet in seiner Gesellschaft jährlich eine Gewinnmarge von zirka 180 000 Mark. Wird der Mitarbeiter abgeworben, entsteht eine Lücke - zumindest bis ein entsprechender Ersatz gefunden ist. Geht der Mitarbeiter zum Kunden, kann das auf längere Sicht den Verlust des Auftrags bedeuten.

Abgesehen davon, dass das restliche Personal wenig begeistert sein wird, die Arbeit des Ausgeschiedenen zu übernehmen, bis ein Nachfolger gefunden ist, entstehen enorme Rekrutierungskosten für Personalberater, Annoncen sowie Einarbeitungszeit. Deutler hat die Erfahrung gemacht, dass gute Spezialisten bei einem Wechsel mit Gehaltssprüngen von 50 Prozent und mehr geködert werden. Sein Fazit: „Wenn wir dabei mitmachen, kann ich mir ausrechnen, wann das Unternehmen Bankott geht.“

Dass bei Neueinstellungen oft um das Salär und andere Add-ons gepokert wird, gehört mittlerweile zum Berufsalltag der Personaler. So hat Ulrike Krick*, Personalchefin einer IT-Dienstleistungsgesellschaft, einen IT-Consultant ohne Hochschuldiplom für 180 000 Mark eingestellt – plus Firmenauto und weitere Annehmlichkeiten. Die Personalknappheit ließ ihr keine andere Wahl. Gerade für Arbeitgeber aus der IT-Branche stellt sich die Frage nach der Bindung des Personals besonders stark.

Da die Firmen häufig schnell gewachsen sind, bleiben oft Familienatmosphäre und Nestwärme auf der Strecke, was die Mitarbeiter für Angebote der Konkurrenz empfänglicher macht. Auch die häufige Projektarbeit beim Kunden kann das Zugehörigkeitsgefühl des Mitarbeiters schwächen. Wie aber lassen sich die heiß begehrten IT-Experten halten? Geld spielt hier sicher eine nicht unwichtige Rolle, aber die Motivation über finanzielle Anreize hat ihre Grenzen.

So auch die Erfahrung von Brigitte Wagner*, Personalchefin eines IT-Großhändlers, die bei der Auswertung von Kündigungsgesprächen herausfand, dass nur ein verschwindend geringer Anteil der Aussteiger seine Entscheidung mit mangelnder Verdienstmöglichkeiten begündete. In puncto Salär empiehlt Christian Stöwe, bis vor kurzem Kienbaum-Consultant und jetzt freier Berater, marktgerechte, aber nicht übertriebene Bezahlung, wobei die Verantwortlichen darauf achten sollten, dass es zu keinen Vergütungsdifferenzen zwischen neuen und langjährigen Mitarbeitern kommt. Auf diese Weise lasse sich vermeiden, dass Experten wegen des Geldes gehen. „Binden können Sie die Leute jedoch nicht allein mit Geld.“

Weit wichtiger, so zeigten die Kündigungsgespräche Wagners, waren attraktivere Arbeitsinhalte und gute Entwicklungsmöglichkeiten.

Gerade diese Bereiche lassen sich aber oft schwer beeinflussen, denn wie soll beispielsweise eine Firma, die altgediente IT-Systeme einsetzt, aufstrebende Mitarbeiter bei der Stange halten? Stöwe rät in diesen Fällen, eine Art Spielwiese mit den neuester Hard- und Software zu errichten, auf der sich Ehrgeizige nach Lust und Laune austoben können. Allerdings setzen der berufliche Alltag und der damit zusammenhängende Arbeitsaufwand diesem Ausprobieren oft enge Grenzen.

Jenseits der reinen Vergütung gibt es viele Anreize, die dem Mitarbeiter das Bleiben schmackhaft machen sollten. Ein beliebter Klassikern ist immer noch das Auto, je nach Status mit vielen Extras ausgestattet, zu den eher ausgefallenen Schmankerl gehören die Massage in der Mittagspause, das Relax-Wochenende, Einkaufsdienst oder der firmeneigene Kindergarten.

Hier empfiehlt Petra Carlsen, Niederlassungsleitern IT bei der Offenbacher DIS Deutsche Industrie Service AG, den Mitarbeitern den finanziellen Wert dieser Zusatzleistungen deutlich zu machen, da viele sich gar nicht über die Gesamtbezüge im Klaren seien. Attraktiv seien vor allem steuerfreie Extras wie Fahrkostenzuschuss für öffentliche Verkehrsmittel, Handy oder das Büro zuhause.

Neben dem Fixgehalt bietet inzwischen ein Großteil der Firmen variable Vergütungen, die sich nach der Leistung der Mitarbeiter beziehungsweise nach dem Unternehmenserfolg richten und je nach Position einen erheblichen Anteil ausmachen können. Weiterbildung steht gerade bei IT-Profis ganz oben auf der Wunschliste – kein Wunder, richtet sich doch ihr Marktwert extrem nach dem aktuellen Know-how. Allerdings ist es mit Seminaren, Workshops und Kongressen nicht getan, denn wenn die hochmotivierten Teilnehmer das Erlernte nicht in die Praxis umsetzen können, kommt bald Frustration auf.

Lange Zeit herrschte die klischeehafte Vorstellung, dass Entwickler exotische Wesen sind, die im Büro übernachten und nicht wissen, was Feierabend heißt. Offensichtlich sind die IT-Experten nicht mehr gewillt, auf das Leben jenseits von Maus und Tastatur zu verzichten, denn Umfragen zeigen, dass Familie, Freunde und Freizeit inzwischen einen höheren Stellenwert haben als noch vor einigen Jahren. Deshalb sollten sich Firmen, die ihre Mitarbeiter nicht verlieren wollen, um die so genannte Work-Life-Balance kümmern und über flexible Arbeitszeiten, Sabbaticals, Langzeitarbeitskonten oder Heim- und Telearbeit nachdenken.

Oft begehen die Führungskräfte bereits beim Einstellungsgespräch die Fehler, die letztendlich in einer nur kurze Verweildauer des eingestellten Mitarbeiter resultieren. Denn angesichts der Arbeitsmenge und der oft spärlich eingehenden Bewerbungen wollen die Personalverantwortlichen die wenigen geeigneten Kandidaten unbedingt von den Vorzügen des Arbeitsplatzes überzeugen, machen übertriebene Versprechungen und verschweigen nicht selten Probleme.

Diese Vorgehensweise hat, so die Erfahrung von Berater Stöwe, ihre Tücken, da sich die enttäuschten Mitarbeiter erfahrungsgemäß nicht lange halten lassen. Besser sei es, von Anfang an eine realistische Jobbeschreibung zu geben. Zudem empfiehlt er sich, darauf zu achten, dass der Neue in die bestehende Mannschaft passe, da die meisten IT-Aufgaben in Teams erledigt werden.

Um die Akzeptanz der Neulinge zu gewährleisten, haben die Mitarbeiter der Dienstleistungsgesellschaft von Krick ein Mitspracherecht. Sie reden zirka 15 bis 20 Minuten mit dem Kandidaten. „Eingestellt wird nur derjenige, den das Team will“ – ein Procedere, das seine Risiken hat, aber auch seine Vorteile, denn Akzeptanz- und damit Einarbeitungsprobleme gibt es hier so gut wie keine.

Die meisten IT-Chefs haben inzwischen akzeptiert, dass sich die Arbeit ihrer Mitarbeiter schlecht nach der Zahl der abgesessenen Stunden messen lässt. Statt auf die Arbeitszeit sollte auf die Erreichung bestimmter individueller Ziele ankommen, die im persönlichen Gespräch festgelegt werden und in Zielvereinbarungen münden. Werden sie erreicht, winkt dem Erfolgreichen die Auszahlung eines Bonus – insgesamt ein Konzept, das für den Mitarbeiter mehr Selbstverantwortung bedeutet und von dem sich die Unternehmen eine Motivations- und Leistungssteigerung versprechen.

Allerdings birgt diese Vorgehensweise gerade in der schnelllebigen IT Probleme, denn die Zielvereinbarungsgespräche finden in vielen Firmen nur einmal pro Jahr statt, ein Zeitraum, in dem sich die IT-Projekte und Termine schon zigmal geändert haben können. Deshalb sollte die IT-Führungskraft den direkten Draht zum Alltagsgeschehen in ihrer Abteilung aufrechterhalten und sich von den Mitarbeitern öfter über den aktuellen Stand der Projekte informieren lassen.

Diese ständige Kommunikation ist für die Personalverantwortliche Wagner das A und O des Erfolgs: „Wir haben untersucht, warum Projekte gescheitert sind. In 95 Prozent der Fälle hat es an mangelnder Kommunikation gelegen“. Oft bewirken aber auch die Firmenstrukturen, dass es mit den Informationsfluss nicht so recht klappt, „denn wenn auf einen Abteilungsleiter 30 Mitarbeiter oder noch mehr kommen, ist vernünftige Personalarbeit illusorisch“, meint dazu Personalbetreuerin Schuster.

An der Diskussion zeigte sich, dass Personalführung in der IT ein heißes Thema ist: Zwar führt oft gutes Fachwissen auf der Karriereleiter nach obe, doch nicht alle Technikcracks, so die einhellige Meinung der Seminarteilnehmer, sind auch gute Teamleader. Viele Aufstrebende scheuen es sich, Personalverantwortungzu übernehmen. Eine gute Alternative bietet hier die rein technische Laufbahn, die schon von vielen Firmen offeriert wird. Zu oft werde das Thema Führung in den Unternehmen vernachlässigt. Ein Abteilungsleiter sollte 80 Prozent seiner Zeit auf die Führung seiner Mitarbeiter verwenden, zitiert Alfred Gipfel*, II-Chef eines Systemhauses, die Forderung seiner Personalabteilung.

Allerdings falle es den Führungkräften sehr schwer, sich aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen und Bereiche zu delegieren. In der IT-Firma sei zurzeit ein Manager nur für fachliche, der andere nur für die Mitarbeiterführung zuständig, eine Arbeitsteilung, die zwar mehr Kommunikationsaufwand erfordere, aber bisher deutliche Verbesserungen mit sich gebracht habe.

Die Atmosphäre im Team und die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Chef gehören zu den wichtigsten Faktoren, die Mitarbeiter bei der Stange und damit im Unternehmen halten. Um die Stimmung in der Abteilung zu fördern, seien teure steife Abendessen weniger geeignet, so die Erfahrung von Ex-Kienbaum-Berater Stöwe. Besser seien so genannte Social Events wie Ausflüge.

Die Chefs sollten zudem beachten, dass das Lob immer noch eines der stärksten Motivationsmittel ist. Anstatt nur von Projekt zu Projekt zu hetzen, sollte die gesamte Abteilung Erfolge feiern. Die größte Herausforderung für die IT-Führungskräfte bestehe aber darin, sich innerhalb des Unternehmens durchzusetzen und durch die Streichung nicht machbarere Projekte eine sinnvolle Arbeit in seiner Abteilung zu ermöglichen.

Es gehört schon zu den Binsenweisheiten, dass Personalentwicklung zu den wichtigsten Bindungsfaktoren zählt. Hier bietet sich ein breites Methodensprektrum an, angefangen vom Self-Training über klassische Maßnahmen wie Seminare bis zu innovativen Vorgehensweisen wie Real-Life-Assesment.Gute Ergebnisse setzen allerdings eine gut strukturierte Personalarbeit voraus, die sich auch über die Konsequenzen von Personalentwicklung Gedanken macht.

So nutzt es wenig, wenn talentierte Mitarbeiter intensiv gecoacht und geschult werden, aber keine Möglichkeit haben, das Gelernte in die Praxis umzusetzen. „Sie suchen einen neuen Arbeitgeber oder machen sich gleich selbständig“, so die Erfahrung von Personalchefin Wagner. Der Großhändler betreibt eine sehr aufwändige Personalentwicklung, an deren Anfang ein 360-Grad-Feedback, also die Beurteilung durch Mitarbeiter, Kollegen und Vorgesetze steht und bei der die Führungskräfte alle sechs Monate ein einwöchiges Individual-Training durchlaufen. Wagner macht deutlich, dass bei dieser Personalpolitik die damit verfolgten Ziele einer genauen Abstimmung mit der Geschäftsleitung bedürfen: “Wir haben durch unsere Personalentwicklung sehr selbstbewusste und kritische Führungskräfte herangezogen – unsere US-Mutter ist davon nicht gerade begeistert.“

*Namen und Firmen wurden auf Wunsch der Teilnehmer von der Redaktion geändert.