MOSS: Alleskönner oder Mängelwesen?

22.02.2008
Während viele Anwender im "Microsoft Office Sharepoint Server 2007" ein mächtiges Allzweck-Tool sehen, verweisen Microsoft-Partner auf die Lücken des Produkts, die sie mit Add-ons schließen möchten.
Quelle: Microsoft Das Glücksrad der MOSS- Features: Funktionsfülle, die gebändigt sein will.
Quelle: Microsoft Das Glücksrad der MOSS- Features: Funktionsfülle, die gebändigt sein will.
Foto: Microsoft

Wo sich der Sharepoint Portal Server 2003 im Wesentlichen auf Suchfunktionen und Portal beschränkte, bietet sein Nachfolger MOSS 2007 eine Fülle von Funktionen. Schon vor seiner Markteinführung wurden hohe Erwartungen an die Software gestellt, und viele Analysten prognostizierten, dass Microsoft damit einige Marktsegmente aufrollen würde. So wurden etwa gravierende Auswirkungen auf die Anbieter von Systemen für das Enterprise-Content-Management (ECM) erwartet.

Fazit

Firmen, die Sharepoint als strategische Informations-plattform einführen möchten, sollten eine Balance zwischen zentral verordneten Richtlinien und den Gestaltungsmöglichkeiten für die Fachabteilun-gen finden. Darüber hinaus zwingt sie die Funktionsvielfalt und die Heterogenität von MOSS 2007 zur planvollen und gezielten Nutzung der Features. Je mehr sich das System zum Allzweck-Tool entwickelt, desto häufiger benötigt es Erweiterungen von Drittanbietern. Gerade ECM-Anbieter neigen dazu, die Fähigkeiten des Sharepoint-Servers kleinzureden, um auch redundante Features verkaufen zu können.

Hürden der Sharepoint-Einführung

n

Die Komplexität von Sharepoint und seine Nutzung als offene Plattform machen seine erfolgreiche Einführung als System für das firmenweite Informations-Management nicht ganz einfach. Auf der Sharepoint-Konferenz gaben mehrere Referenten Tipps, was Unternehmen dabei beachten sollten:

n Bei einer starken dezentralen Nutzung von WSS in Fachabteilungen sollten Unternehmen den richtigen Zeitpunkt erkennen, ab dem Sharepoint strategischen Charakter bekommen soll. Dies bedingt auch eine stärkere Einbindung der IT-Abteilung, die nicht nur die Verfügbarkeit der Infrastruktur gewährleisten muss, sondern auch zentrale Vorgaben machen sollte.

n Ein Tool mit starker Ausrichtung auf Collaboration lässt sich Top-down nicht erfolgreich einführen, sondern bedarf einer Ausgewogenheit zwischen zentraler Kontrolle und Benutzerfreiheiten in den Fachabteilungen.

n Anwender sollten keine rohe Sharepoint-Installation erhalten, sondern eine an ihre Aufgaben vorab angepasste Umgebung.

Bei der Entscheidung für Sharepoint als strategische Plattform sollten nicht alle Funktionen auf einmal genutzt, sondern mit überschaubaren Aufgaben begonnen werden.

n Entscheider sollten sich nicht vom Hype um Collaboration anstecken lassen und entsprechende Funktionen forcieren, obwohl die Prozesse in den jeweiligen Abteilungen eine elektronisch unterstützte Teamarbeit gar nicht erfordern.

Fachabteilungen bringenSharepoint in die Firmen

Während die Funktionsvielfalt einerseits Anwender befähigt, auf Basis von MOSS vielfältige neue Anwendungen zu entwickeln, lauern in der Komplexität der Software andererseits zahlreiche Stolpersteine. Probleme können sich auch aus der etwas eigenwilligen Mischung von Komponenten in MOSS 2007 ergeben. Er vereint Collaboration-Tools unter anderem mit Business Intelligence, Formular-Server und Enterprise-Search.

In der Regel gelangt MOSS 2007 als Tool für die Teamarbeit in die Unternehmen, weil die Windows Sharepoint Services (WSS) ohne Aufpreis mit dem Windows Server ausgeliefert werden. Auf Grundlage der WSS richten vornehmlich Fachabteilungen eigene Team-Sites ein, die von fortgeschrittenen Anwendern häufig nach eigenen Vorstellungen und Vorlieben konfiguriert werden. Dieser Bottom-up-Ansatz war maßgeblich für den Erfolg von Sharepoint verantwortlich, weil er Benutzer in die Lage versetzte, etwa Anwendun-gen für einfaches Projekt-Management oder für Dokumentenverwaltung schnell zu realisieren, ohne dafür die IT-Abteilung involvieren zu müssen.

Wildwuchs von Teamsites bremsen

Solche Nutzungsszenarien haben meistens taktischen Charakter, die aber bei entsprechender Verbreitung von Sharepoint nach einer Strategie verlangen. Wenn wie in vielen Fällen die WSS eingesetzt werden, um den Dokumentenwildwuchs auf Datei-Servern zu beenden und alle wichtigen Informationen den Beteilig-ten eines Projekts zugänglich zu machen, dann wiederholt die inflationäre Ausbreitung von Teamsites letztlich die alten Fehler. Wuchernde Projekt- und Teamanwendungen verhindern nicht nur den firmenweiten Zugriff auf Informationen, sondern erschweren auch die aufgrund diverser gesetzlicher Vorschriften erforderliche Archivierung. Mittlerweile entsteht ein eigener Dritt-anbietermarkt für Tools, die Sharepoint-Server im Firmennetz aufspüren und ihre Konfiguration auslesen können. Ein Beispiel dafür ist der kostenlose "Quest Discovery Wizard" von Quest.

Unternehmen sollten daher den richtigen Zeitpunkt erkennen, wann Sharepoint zur strategischen Plattform für das Informations-Management werden soll. Spätestens dann muss die IT-Abteilung die Verlässlichkeit und Verfügbarkeit des Systems gewährleisten, übergreifende Konzepte für das systematische Ablegen von Dokumenten entwickeln und Standards für neue Anwendungen vorgeben.

Dieser Übergang kann allerdings zu kulturellen Spannungen führen, wenn die Fachabteilungen ihre kreativen Möglichkeiten bei der Verwendung eines offenen Systems durch ein zentralistisches Vorgehen der IT-Abteilung eingeschränkt sehen. Mehrere Referenten auf Microsofts Sharepoint-Konferenz vom 19. bis 21. Februar 2008 in Frankfurt am Main nannten die Balance zwischen Endbenutzerfreiheiten und zentralen Richtlinien als kritischen Erfolgsfaktor für die gelungene Einführung von Sharepoint. Ironischerweise finden damit in der Sharepoint-Szene heute ähnliche Debatten statt, wie sie vor zehn Jahren in der Lotus-Notes-Welt geführt wurden. Auch damals drehte sich die Diskussion darum, wie sich ein ursprüngliches PC-Werkzeug für die Abteilungsebene mit dem von IBM formulierten Anspruch einer Enterprise-Lösung verbinden lässt.

Kontrolle durch die IT versus dezentraler Ansatz

Nicht nur der Wildwuchs von Teamsites kann den Nutzen der Software konterkarieren, sondern auch ein striktes Top-down-Modell. Stefan Pradel, Senior Manager bei der Bertelsmann-Tochter Arvato Systems, stellte in seinem Vortrag ein unglückliches Praxisbeispiel vor, in dem Unternehmen die Einführung von Sharepoint beschließen und die IT-Abteilung daraufhin die Anwender mit einer unmodifizierten Standardinstallation der Software beglückt. Dafür sollen die Fachabteilungen womöglich ein bisher funktionierendes Tool für das Projekt-Management aufgeben, finden aber benötigte Funktionen in der neuen Umgebung nicht vor - und das, obwohl Sharepoint alle wesentlichen Features enthält, die sich in vielen Fällen ohne Programmieraufwand zu einem geeigneten Werkzeug kombinieren lassen.

Eine unternehmensweite Einführung von Sharepoint bewegt sich nicht nur im Spannungsfeld zwischen zentralistischem Ansatz und den Freiheiten von Fachabteilungen, sondern muss auch den Feature-Mix der Plattform in den Griff bekommen. Die diversen Module bedingen dabei unterschiedliche Nutzungsmuster. Während die üblicherweise zuerst eingesetzten Collaboration-Funktionen mehr Offenheit und Gestaltungsfreiheit für die Benutzer fördern, sind formularbasierende Workflows oder die Nutzung von BI strenger an Prozesse und Berechtigungen gebunden. Neben der führenden Rolle der IT-Abteilung können solche zusätzlichen Anwendungen den Umgang mit der Software verändern.

Überforderung durch Funktionsfülle

Ein häufiger Fehler, der Sharepoint-Projekte scheitern lassen kann, besteht darin, dass nach einer strategischen Entscheidung für die Plattform alle Features gleichzeitig eingesetzt werden sollen. Stefan Pradel empfiehlt, sich anfangs auf spezifische Aufgaben und Funktionen zu konzentrieren. Solche punktuellen Vorhaben ließen sich schnell umsetzen, wobei allerdings zu beachten sei, dass aus Pilotprojekten in Sharepoint-Umgebungen unversehens produktiv genutzte Anwendungen entständen. Und wenn dann weitere Abteilungen daran Interesse finden, sollten die Anwendung und die Infrastruktur im Vorfeld dafür ausgelegt worden sein.

Während der Funktionsumfang und die Heterogenität der Module Anwender dazu verführen, in Sharepoint ein Tool für alle Zwecke zu sehen, bemängeln Kritiker, dass die Microsoft-Lösung alles könne, aber nichts richtig. Aufgrund des breiten Spektrums und der in jedem Bereich vorhandenen Lücken entsteht rund um Sharepoint ein Ökosystem aus Partnern, die mit ihren Add-ons aushelfen wollen. Dazu zählt unter anderem eine ganze Reihe von nützlichen Erweiterungen wie beispielsweise "Search+ für Sharepoint 2007" von Intrafind. Es bringt der Suchmaske von MOSS 2007 Boolsche Operatoren bei, erlaubt den Einsatz von Wildcards und unterstützt die Verwendung von Synonymen.

Reibungspunkte mit ECM-Anbietern

Im Gegensatz zu Anbietern von solchen kleinen Erweiterungen tun sich die großen ECM-Hersteller weit schwerer in ihrem Verhältnis zu Sharepoint. Ihre umfangreichen Systeme überlappen sich in vielen Funktionen mit dem Microsoft-System. Während der Sharepoint Server einigen ECM-Anforderungen tatsächlich nicht genügen kann und der Ergänzung durch Spezialisten bedarf, stellt er in anderen Bereichen eine unübersehbare Konkurrenz für die Anbieter aus diesem Segment dar. Zu den offensichtlichen Mängeln zählen die fehlende Funktion für eine revisionssichere Archivierung inklusive Information-Lifecycle-Management sowie die nicht vorhandene Unterstützung zur Erfassung von Papierdokumenten. Außerdem sind Sharepoint klassische DMS-Disziplinen wie Postkorbanwendungen oder elektronische Akten fremd.

Bei einigen ECM-Anbietern auf der Sharepoint-Konferenz herrschte noch immer die Meinung vor, dass die Microsoft-Plattform primär ein hübsches Frontend sei, das für ernsthafte ECM-Anwendungen einer weitgehenden Unterstützung durch ihre Produkte bedürfe. Diese Einschätzungen beruhen teilweise noch auf den Erfahrungen mit der alten Version des Microsoft-Produkts. So werden häufig eine nicht ausreichende Skalierbarkeit und Verlässlichkeit sowie beschränkte Workflow-Funktionen bemängelt.

Fabian Moritz, Senior Consultant bei der Berliner Itacs GmbH, hält solchen Einwänden entgegen, dass MOSS 2007 hinsichtlich Ausfallsicherheit und Leistungsfähigkeit absolut Enterprise-tauglich sei. Die Einrichtung von Server-Farmen unter Verwendung von Load-Balancing-Techniken und die Verteilung der Aufgaben auf separate Frontend-, Anwendungs- und Datenbank-Server genügten auch gehobenen Ansprüchen. Angesichts der Möglichkeiten der Windows Workflow Foundation ließen sich Workflow-Anwendungen fast nach Belieben erstellen.

Angesichts der vergleichsweise hohen Lizenzkosten etablierter ECM-Systeme rät Moritz Unternehmen, dass sie prüfen sollten ob es sich lohne, statt eine kostspielige Lösung von Spezialisten anzuschaffen lieber Sharepoint über Erweiterungen von Drittanbietern und Eigenentwicklungen aufzurüsten.